Sind die Ersti-Wochen overrated?

Sind die Ersti-Wochen overrated?
Die Ersti-Wochen sind Etwas, das jede:r Studierende durchleben durfte. Und neben neuen Freund:innen und spaßigen Veranstaltungen sind sie auch mit viel Druck, Stress und Angst verbunden. Deswegen stellen sich für viele unausweichlich die Fragen: Warum ist das so? Sind die Ersti-Wochen overrated? Warum das Ganze, wenn man sich dabei teilweise so miserabel fühlt?

von Katharina Meier

Wenn ihr, so wie ich, gerade euer Studium startet, dann beginnt die Reise in einen neuen Lebensabschnitt nicht erst am 13. Oktober, wie für diejenigen, die sich schon in einem höheren Semester befinden, sondern oft schon eine Woche davor. Und das nicht ohne Grund, denn ab dem ersten Oktober stehen für die Neulinge der Uni die berühmt berüchtigten Ersti-Wochen in den Startlöchern und versprechen neue Freunde, viel Spaß, coole Aktivitäten und auch das ein oder andere Bierchen.

Doch zwischen »Hast du Insta? Dann können wir uns connecten.«, »Was studierst du?« und »Weißt du, wo PT 1.0.17A ist?« verbergen sich nicht nur lange Abende mit neuen Leuten und eine aufregende Zeit, sondern auch Stress, Unsicherheiten und der Druck, unbedingt Kontakte knüpfen zu müssen, weil »Wenn ich jetzt keine Freunde finde, dann finde ich später erst recht keine mehr, dann haben sich schon Grüppchen gebildet und ich? Ich bin ganz allein.«

Die Ersti-Wochen entpuppen sich also für Viele auch als negative Erfahrung. Man verspürt teilweise eine enorme Belastung, die auf dem Rücken des unsicheren und überforderten Erstis liegt und fragt sich vielleicht »Wieso fühle ich mich so?« und »Warum das Ganze, wenn diese Zeit so viel Schlechtes mit sich zu bringen scheint?«.

Warum stressen uns die Ersti-Wochen?

Ich glaube, dass sich diese Gefühlsachterbahn aus mehreren Faktoren ergibt. Zunächst mal sind wir junge Erwachsenen einer häufig noch nie dagewesenen Situation ausgesetzt. Viele sind das erste Mal von Zuhause ausgezogen. Weg von Freunden und Familie, weg von der bekannten Umgebung. Wir wohnen jetzt allein oder in einer WG, das System einer Uni ist eine neue Art sich zu bilden und zu lernen und unterscheidet sich gänzlich von dem der Schule, an das wir uns bereits gewöhnt haben. Die gesammelten Eindrücke sind zunächst wahrscheinlich sehr überwältigend und können überfordern. Unser Geist muss sich erstmal daran gewöhnen. Das stresst.

Des Weiteren verspürt man vielleicht einen gewissen Zwang, an allen Ersti-Veranstaltungen teilzunehmen, weil man das Gefühl hat, nur so zukünftige Freund:innen kennenzulernen. Selbst wenn man vielleicht keine Lust auf einen Spieleabend hat, weil einem Brettspiele langweilen oder wenn man nicht an einer Campus-Rallye teilnehmen möchte, weil man den Campus bereits in Ruhe und ausgiebig ausgekundschaftet hat oder man sich für das falsche Outfit entschieden hat und jetzt friert – der ein oder andere überwindet sich trotzdem, aus Angst, sonst außen vor zu sein.

Und auch wenn solche Veranstaltungen eigentlich Spaß machen sollen, unverbindlich sind und den Zweck haben, die Erstis mit offenen Armen willkommen zu heißen, wird es für viele zum Zwang. Das stresst.

Der wichtigste Aspekt hierbei ist jedoch wohl die Angst vorm Alleinsein. Wir wollen unbedingt neue Leute kennenlernen, sodass wir am Ende bloß nicht alleine dastehen. Wir führen Gespräche mit hunderten Leuten pro Tag, von denen wir den Namen nach zwei Sekunden eh wieder vergessen haben. Wir zwingen uns zur fünften Kneipentour, weil man nur so Kontakte knüpfen kann. Und wenn wir mal bei irgendetwas nicht dabei sein können, frisst uns die FOMO förmlich auf.

Und das alles nur, weil wir nicht allein sein möchten. Am besten so viele Leute wie möglich kennen lernen, dass man sich am Ende des Tages Gedanken machen kann, mit welchen davon man mehr connecten möchte. Eigentlich geht es nicht um eine gute Zeit und schöne Gespräche, sondern nur darum, Menschen zu kennen, einer Gruppe anzugehören – aus Angst. Das stresst.

Ich denke vor allem aus diesen Gründen sind die Ersti-Wochen oft mit teilweise enormen Druck verbunden und für viele nicht so toll, wie es suggeriert wird. Ich bin selbst Ersti und habe mich teilweise auch so gefühlt, obwohl ich eigentlich ein offener, extrovertierter Mensch bin, der gerne auf Leute zugeht. Und genau das ist der Punkt: Ich glaube, jeder kann sich mehr oder weniger mit diesen Aspekten identifizieren. Das ist natürlich schade, weil die Ersti-Wochen ja eigentlich einen einladenden Charakter ausstrahlen sollen.

An was sollten wir denken, sodass uns die Ersti-Wochen nicht (so sehr) stressen?

Dass es nahezu allen so geht, beruhigt die individuelle Persönlichkeit, weil man sich nicht alleine fühlt. Die Fassade von »jeder findet seine Besties am ersten Tag und hat den Spaß seines Lebens« bricht so zusammen. Es ist wichtig, sich mitzuteilen und offen darüber zu kommunizieren, weil sonst die Mauer des High-Lifes bleibt. Es ist wichtig zu verstehen, dass die Erst-Veranstaltungen lediglich gut gemeinte Angebote von den Fachschaften sind, die Spaß machen sollen.

Wenn du keine Lust hast, aus welchem Grund auch immer, dann gehe nicht hin. Du wirst nichts verpassen, außer Unternehmungen, an denen du nur teilnimmst, weil du dich dazu gezwungen fühlst. Und darauf kannst du auf jeden Fall verzichten. Du wirst deswegen nicht dein ganzes Studium alleine verbringen müssen.

Mit vielen Leuten, die du in den Ersti-Wochen kennen lernst, wirst du in vier Wochen keinen Kontakt mehr haben und Andere, die du am Ende des Semesters kennen lernst, werden deine besten Freund:innen werden. Kontakte zu knüpfen ist ein organischer Prozess, bei dem es natürlich hilfreich ist, auf diejenigen zuzugehen, bei denen man das Gefühl hat, dass sie zu dir passen. Es kann aber auch zufällig und unerwartet passieren.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Ersti-Woche als Möglichkeit, spaßige Sachen zu unternehmen, die Uni kennenzulernen und auch den ein oder anderen Kontakt zu knüpfen zu sehen ist – aber das alles ohne Zwang. Vielleicht findest du ja schon ein paar Leute, mit denen du dich gut verstehst und vielleicht findest du diese Leute auch erst später und das ist okay. Leb dich erstmal ein bisschen ein und mach dir selbst nicht so viel Stress, eine aufregende Zeit liegt vor dir.

Und für alle, die sich durch diesen Artikel aus der Seele gesprochen fühlen und die Tage gezählt haben, bis die Ersti-Wochen vorbei sind: Glückwunsch, du hast es überstanden!


Titelbild © Linus Ziegler

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