Er liebte die Liebe, nicht aber die Frauen

Er liebte die Liebe, nicht aber die Frauen
Die Kulturoptimisten bringen Rilkes Leben als Freilichtspiel auf die Bühne. Es wird im Schloss Höfling als Theaterprojekt der freien Szene uraufgeführt.

von Mia Fritzsche und Anne Nothtroff

Mitten im Wald, im Schlosspark von Höfling bei Regensburg-Burgweinting, nimmt das Publikum
zwischen Lavendelbüschen und Rosenstöcken auf einfachen Holzklappstühlen Platz. Die Freiluft-
Inszenierung spielt an einem besonderen Ort – unter freiem Himmel, in der Natur, eingebettet in die
stille Kulisse eines Schlossgartens. Inszeniert wird es von dem bayerischen Regisseur Joseph
Berlinger. Die Textgrundlage stammt von Eva Sixt, die Rilkes Geschichte nicht nur in zugänglicher
Sprache erzählt, sondern auch schauspielerisch in den Rollen der Frauen in seinem Leben überzeugt.

Rainer Maria Rilke (Alexander Maria Wagner) war ein Mann, dessen Leben und Werk eng mit den
Frauen verbunden ist, die ihn begleiteten und prägten. Jede Szene dieses Theaterstücks widmet sich
einer dieser Frauen. Das Publikum folgt Rilke auf einem eindrucksvollen Stationenweg durch sein
Leben – von Schauplatz zu Schauplatz, von Begegnung zu Begegnung. Die verschiedenen Kulissen im
Park werden dabei selbst Teil der Erzählung.

Ein trauriges Kind

Die erste Station führt zur Fürstin Maria von Thurn und Taxis (Eva Sixt). »Für meine Mutter sollte ich
nicht René (franz. Wiedergeborener), sondern auch eine Maria sein«, sagt Rilke – und deutet damit
an, wie tief der Schmerz seiner Kindheit reicht. Seine Mutter hatte bereits eine Tochter verloren.
Rilke, der Zweitgeborene, sollte das Mädchen ersetzen – nicht nur symbolisch. Erst wird er als
Mädchen erzogen und dann auf die Militärschule geschickt. Ein Kindheitstrauma, dass der Dichter
später in vielen seiner Gedichte verarbeiten wird.   
Die Verbindung zur Familie Thurn und Taxis bleibt auch heute präsent – allerdings mit einem
kritischen Beiklang: Das Verhalten der heutigen Fürstin Gloria von Thurn und Taxis steht in starkem
Kontrast zur einfühlsamen Auseinandersetzung mit Rilkes Leben und hinterlässt einen faden
Beigeschmack.

Alexander Maria Wagner, Eva Sixt, Birgit Riedenauer, Josefine Zimmermann © Uwe
Moosburger

Rilke fühlt sich zeitlebens missverstanden. Wörter erscheinen ihm wie Fallen, als würden sie mehr
verbergen als zeigen. Die Welt scheint sich ihm zu verschließen. Als er – zum Unverständnis der
Fürstin – die Schuhe auszieht, geschieht das nicht nur aus Exzentrik: Es ist ein Versuch, den Kontakt
zur Erde, zur Wirklichkeit, nicht zu verlieren.

Eine mysteriöse Sirene (Ruth Toledo Guillén) leitet die Reise ins Dickicht des Unwirklichen; mit ihrem
Gesang führt sie zu den nächsten Schauplätzen. Auf der Suche nach ihr führt die Handlung tief in den
Schlossgarten und in die Tiefen von Rilkes Psyche. Der Weg zur nächsten Szene führt über Umwege –
ein symbolischer wie realer Übergang, ganz im Sinne Rilkes. Auf dem verschlungenen Pfad durch den
Garten begegnet das Publikum ausgestellter Kunst sowie der nächsten Schlüsselfigur in Rilkes Leben:
Lou Andreas-Salomé (Eva Sixt), Schriftstellerin, Intellektuelle, Psychoanalytikerin – und Rilkes große
Verehrung.

Er sehnt sich nach Nähe, will sich ihr hingeben – doch sie weist körperliche Intimität zurück. Ihre
Beziehung bleibt geistig und emotional. Rilkes Lyrik hingegen ist durchdrungen von Gefühl – zu einer
Zeit, in der emotionale Tiefe noch mehr als heute, ins Private, ins Mädchentagebuch verbannt wird.
Seine Poesie überschreitet diese Grenzen und macht das Innere sichtbar.

Die Hingabe zur Liebe, die Entfremdung von der Welt

Die letzte Station führt zu Baladine Klossowska (Eva Sixt), einer Malerin, die Rilke liebevoll umsorgt.
Sie wäscht ihm die Füße – eine Geste tiefster Hingabe. Doch er zieht seine Schuhe wieder an. Der
Kontakt zur Welt scheint endgültig verloren. Mit jedem Wort scheint er sich von sich selbst zu
entfremden. 

Joseph Berlinger inszeniert ein eindringliches Porträt eines Dichters, der das Menschenwort fürchtet
und sich in seiner Sprache verliert. Bei Rilke ist Sprache keine Brücke zur Wirklichkeit, sondern ein
Hindernis. Sie verdeckt mehr, als sie zeigt. Die Welt wird ihm durch Sprache nicht zugänglich – sie
entzieht sich. Und zugleich ist die Sprache sein einziges Werkzeug, mit der Welt in Kontakt zu treten.

Baladine stellt ihn zur Rede: Frauen sollen sich ihm hingeben – und danach lautlos aus seinem Leben
verschwinden. Rilke hingegen rationalisiert seine Perspektive auf die Weise, die einem Romantiker
gebührt: Nur distanzierte Liebe ist vollkommen, denn sie entzieht sich der Wirklichkeit. 

Die Geschichte schließt dort, wo sie begonnen hat. Vor dem Schloss zeigt Rilke seiner Mäzenin stolz
seine fertigen Duineser Elegien. Fast manisch bittet er seine Mäzenin, sie vorzulesen, immer und
immer wieder. Die Sirene, der die Handlung hinterhergelaufen ist, diese idealisierte Zufriedenheit,
die Rilke so eifrig sucht, sitzt abseits und lässt sich die Haare bürsten.

Auf die Fassade werden Pflanzen projiziert. Als Frühlingsbild geben sie Hoffnung, bis sie
weiterwachsen und die Fassade fast ersticken. Ein weiteres Dickicht bahnt sich an.

Alexander Maria Wagner, Eva Sixt © Uwe Moosburger

Die Inszenierung spielt in einer Zeit, in der die patriarchale Ordnung erste Risse bekommt. Einzelne,
beeindruckende Frauen durchbrechen zunehmend die männliche Dominanz in Politik, Gesellschaft
und Familie. Zugleich erleben viele Männer diese Umbrüche als Identitätskrise – sie suchen Halt in
tradierten Rollenbildern, in Uniformen und militärischer Ordnung. Auch Rilkes Lebensweg spiegelt
diese Spannungen: Zwischen künstlerischer Sensibilität und gesellschaftlichen Erwartungen, zwischen
Freiheit und Verlust. 

Die Duineser Elegien, Rilkes bekanntestes Werk, entstanden in Großteilen auf dem Thurn-und-Taxis-
Schloss Duino bei Triest. Auch Schloss Höfling in Burgweinting ist seit 1882 in Besitz des
Fürstenhauses, es wird seit 1985 an die Grafenfamilie Walderdorff verpachtet. Das kleine Schloss
weit abseits von Siedlungen ist der ideale Schauplatz für die existentielle Krise Rilkes, die von nichts
mehr befeuert wird als durch die Isolation.

Er erzählt von Turnstücken, die ihm nie gelingen, weil er sich vor dem Absprung drückte, sieht sich als
hoffnungslos bettelnder Verehrer seiner Freundin Salomé und gleichzeitig ist ihm die tatsächliche
Aufopferung seiner Frau Baladine zu »vulgär«. Salomés Angebot einer Psychoanalyse schlägt er aus,
er hängt an der leidenden Figur, die er ist. Wie vor einem Traualtar entblößt sie sein verklärtes Bild
von Liebe, die Dunkelheit und die stechenden Mücken unterstreichen die unangenehme Vermählung
mit der Realität. Jegliche Zuwendung und ehrliche Verbundenheit stößt Rilke von sich, doch er weiß
selbst: Wer Gedichte schreibt, muss gelebt haben. Vor dem kuratierten Schlossgarten fernab von der
Zivilisation predigt er für die Zugänglichkeit der Welt und lebt das Gegenteil. Mit genug Abstand fällt
es ihm leicht, das Leben der Bauern zu romantisieren. Die Nähe, die ihm fehlt, kann ihm aber nur das
geben, was die Traumwelt nicht bieten kann: Verletzlichkeit.

Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website der Kulturoptimisten


Der Artikel wurde auf Grundlage des Generalprobenbesuches verfasst.  
Titelbild: Alexander Maria Wagner, Eva Sixt © Uwe Moosburger

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