»Indigenous Land-Based Fashion as Healing«– Kleidung als Symbol für Resilienz

Ein Synonym für Schutz und Funktion, Ausdrucksmittel der eigenen Identität oder Symbol kultureller Tradition – Kleidung hat viele Facetten. Für indigene Personen wird sie in Form von landgestützten Heilungspraktiken zurückreklamiert.
von Aleyna Ayan
Am 24. Juni hielt die Ph.D-Studentin Shawkay Ottmann an der Universität Regensburg einen Gastvortrag mit dem Titel Indigenous Land-Based Fashion as Healing als Teil ihrer Forschungsarbeit. Ottmann, Anishinaabe, von der Fishing Lake First Nation in Saskatchewan (Kanada), studiert an der Cornell University im Bereich Fiber Science und Apparel Design. Ihre Recherche konzentriert sich auf die Wiederbelebung traditioneller Herstellungspraktiken kanadischer und australischer Gemeinschaften zur Schaffung zeitgenössischer Mode. Dabei untersucht sie, wie sich diese Rückgewinnung auf Gesundheit und Wohlbefinden auswirkt – eine Korrelation von Kunst, Fashion und Dekolonisation. Zwar existiert keine festgelegte, ausgearbeitete Theorie zu indigener Kleidung, dennoch lassen sich, trotz nationenspezifischer Unterschiede, durch Betrachtung indigener Erkenntnistheorien, auch Gemeinsamkeiten wahrnehmen.
»Indigenous Dress Theory«
Für indigene Gemeinschaften in Nordamerika ist jede Form von Natur mit einem Leben erfüllt, die Beziehung zum Land gilt hier als zentrales Element: Nach der Botanikerin Robin Wall Kimmerer werden Menschen oft als die »jüngeren Brüder der Schöpfung« bezeichnet: Sie haben am meisten von der Natur zu lernen, weshalb ihnen beigebracht wird, achtsam und respektvoll gegenüber ihr, dessen Kreation sowie den Leuten, mit denen sie geteilt wird, umzugehen. Land wird in diesem Sinn als »living library« (»lebendige Bibliothek«) verstanden, ein Mittel, das die Verbindung zu menschlichen und nicht menschlichen Ahnen (»kin«) harmonisiert. Es gehört sich selbst, kann nur geteilt, nicht aber ge- oder verkauft werden. Diese Art von Repräsentation wird zum Beispiel durch das »medicine wheel« symbolisiert: Ein in vier Sektionen geteilter Zyklus, welcher die Beziehungen zwischen physischen, mentalen und spirituellen Aspekten des Lebens markiert und grundsätzlich zum Verständnis von Gesundheit und Wohlbefinden sowie der Balance zwischen einem Selbst und der Welt beiträgt.
Die Bedeutung von Kleidung
Vor dem Kontakt der Siedler war jede Form von indigener Kleidung landbasiert und wurde mit Elementen des Landes kreiert. Die jeweiligen Praktiken signalisieren mit ihrer lokalen Arbeit ein Zeichen des Respekts mit dem Land, dass sie mit den Ressourcen versorgt – das gehört zur Vereinbarung zwischen Mensch und Natur. Die Natur erhält das menschliche Leben und der Mensch muss sich im Gegensatz dazu an die natürlichen Gesetze halten, indem er beispielsweise bei der Jagd nichts vom Tier verschwendet. Geprägt wird davon auch die Kleidung, da diese aus Tierhäuten oder Pflanzenfasern besteht und somit als grundlegendes Material indigener Lebensweisen gilt.
Indigenes vs. Westliches Verständnis von Kleidung
Die Herstellung und das Tragen von Kleidung werden als kultureller Akt betrachtet, die Expression von Kunst gilt in indigenen Gruppen als höchste Ausdrucksform ihrer Visionen. Kleidung wird als mehr als nur reine Dekoration verstanden – man spricht hier nach Autorin Dr. Joanne Entwistle vom »Körper als Umgebung des Selbst«, einer dynamischen Grenze zwischen Individuum und der Gesellschaft. Sie umfasst nicht nur das Kleidungsstück selbst, sondern alles, was damit dazukommt. Während also indigene Vorstellungen Bewusstsein und Körper miteinander verbinden, findet sich im Westen oftmals eine Trennung von beidem. Ottmann schreibt auch: »Da die Modetheorie besagt, dass Kultur in der Kleidung verankert ist, die Menschen kreieren und tragen, und indigene Kultur grundlegend mit der Beziehung zum Land verbunden ist, wird Land durch Kleidung auf den Körper lokalisiert.«
Die Narben der Kolonisation
Der Kolonialismus unterbrach diese Verbindung und Beziehung indigener Personen zum Land: Die Residential Schools in Kanada, aka von der Regierung geförderten Zwangsschulen, in denen indigene Kinder von ihrer Familie getrennt wurden und in eine »europäisch-kanadische Kultur« assimiliert werden sollten, nutzten Kleidung als aktives Mittel dafür, indem sie mit physischer und psychischer Gewalt die Zwangsentkleidung und den Ersatz durch »westliche« Uniformen durchsetzen ließen – ein System mit dem Ziel der Auslöschung von Land und indigener Identität.
Regeneration und Heilung
Trotz kolonialer Gewalt und Unterdrückung nutzen indigene Personen unterschiedliche Wege, um ihre Form von Kleidung zurückzugewinnen. Ottmann erwähnt in ihrem Vortrag die Begriffe »survivance« und »thrivance« – während »survivance« sich auf die Widerstandsfähigkeit bezieht, erweitert »thrivance« dieses Konzept und markiert die erfolgreiche Verkörperung der Selbstbestimmung. Von der Community geschaffene Organisationen und Modeshows verhelfen dabei, nachhaltige und wirkungsmächtige Kleidung zu präsentieren, welche als Antithese zur aktuellen, kapitalistischen Fashion Industrie in Kanada gelten: Es geht darum, eigene creative spaces zu schaffen. Ein zentrales Beispiel dafür ist das »hide tanning«, die Behandlung von Tierhäuten zur Lederherstellung, was Ottmann unter anderem in ihrem Aufenthalt in Australien selbst mit indigenen Künstler: innen vor Ort ausprobieren durfte. Auf diese Weise wird aus traditionellen Vorgehensweisen zeitgenössische Fashion kreiert, die mit einer kulturellen Geschichte sowie tiefen Verbindung zu Land und Natur verbunden bleibt – in einer Kultur, die sich ständig in einem Prozess der Änderung und Weiterentwicklung befindet.
Als Quellen wurden Ottmanns Vortrag sowie ihre Artikel »land as kin« und »Indigenous Dress Theory and Dress in Canadian Residential Schools« benutzt. Diese sind bei genauerem Interesse zum Thema Indigenous Dress Theory/Land-Based Fashion und ihrer Arbeit online hier aufrufbar:
Land as kin: https://waronwant.org/fashioning-future/land-struggle-struggle/land-kin-shawkay-ottmann
Indigenous Dress Theory and Dress in Canadian Residential Schools: https://www.fashionstudies.ca/indigenous-dress-theory
Titelbild © Aleyna Ayan