Wie Bonnie Blue den Feminismus um 100 Jahre zurückwirft

Wie Bonnie Blue den Feminismus um 100 Jahre zurückwirft
Die britische Only Fans Creatorin Bonnie Blue wird derzeit online stark für ihre kontroversen Aktionen kritisiert. Immer wieder liest man unter Beiträgen den Vorwurf, dass sie den Feminismus und alles, wofür Frauen seit Jahrhunderten im Patriarchat gekämpfen, zurücksetzt. Eine Frau, 1057 Männer und die Suche nach Verantwortlichkeit.

Von Helena Dyck

Worum geht’s?

Bonnie Blue (25) ist eine britische Only Fans Creatorin, die in den vergangenen Jahren aufgrund fragwürdiger Aktionen für viele Schlagzeilen sorgt. 2024 zieht sie erstmals die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, als sie junge, teilweise gerade erst volljährige Männer online dazu aufrief, mit ihr zu schlafen. Anfang dieses Jahres folgt die nächste Provokation: Bonnie schläft angeblich mit 1057 Männern in 12 Stunden, um einen neuen Weltrekord aufzustellen. Im Internet sind viele geschockt, aber trotz massiver Kritik treibt es Bonnie weiter auf die Spitze und plant, sich für einen Tag in London in einen Glaskäfig einzusperren, damit Männer dort mit ihr machen können, was sie wollen. Ohne Regeln oder Limit. Daraufhin wird sie von der Plattform Only Fans gesperrt, da extreme Challenges gegen die Richtlinien gehen. Aber auch wenn ihr Profil nun vorübergehend gebannt ist, gehen die Diskussionen um ihre Person weiter. Die einen machen sich Sorgen um sie, andere sind wütend und werfen ihr vor, den Feminismus zurückzuwerfen, wieder andere haben Bedenken, dass sie ein schlechtes Vorbild für junge Männer und Frauen sein könnte.

Warum macht sie das?

Auf Social Media liest man oft den Vorwurf, dass Bonnies Motivation in erster Linie Reichweite und Aufmerksamkeit sind – was sicher auch zum Teil zutrifft. Doch aus Podcast-Auftritten, Interviews und Kommentaren mit und von Bonnie geht noch ein viel tieferes Problem hervor. Auffällig ist, wie abfällig Bonnie sich über Frauen äußert, einschließlich über ihre eigene Person, und in welcher Verantwortung sie diese sieht: Männer glücklich zu machen.

So sagt sie in einem Radiointerview: »Wenn ein Mann eine harte Schicht hinter sich hat und seine Partnerin nicht bereit ist, ihn zu befriedigen, hat er jedes Recht, sich nach einer anderen Partnerin umzusehen.«  Der Glaube, dass Männer ein Recht auf Sex haben, ist ein zutiefst patriarchaler Gedanke, der impliziert, dass Männer Frauen übergeordnet sind und sie sich nach ihrem Willen zu benehmen haben. Damit gehen eine Objektifizierung und Entmenschlichung weiblicher Personen einher. Dass Bonnie als selbst weibliche Person diese Meinungen vertritt, ist ein Paradebeispiel dafür, dass internalisierte Misogynie auch bei Frauen ein Problem ist.

Sie selbst spricht online von sich als emanzipierte Frau. So zum Beispiel in einem Interview des You Tubers Rob Moore: »People say, I take woman back a hundred years. I´m like no, I am the clear example of how to be empowered. I use my body, I do what I want, when I want.«

Es stellt sich jedoch die Frage, wie frei es ist, über den eigenen Körper zu entscheiden, in der Überzeugung, dass man diesen zum Vergnügen der Männerwelt einsetzten muss. Wäre Freiheit nicht, über den eigenen Körper so zu entscheiden, wie man es für sich selber möchte – jenseits männlicher Erwartungen?

Geschlechterspezifische Gewalt auf dem Vormarsch

Der Hauptkritikpunkt an Bonnie Blue ist, dass durch ihre Aktionen (sexuelle) Gewalt an Frauen nicht nur normalisiert, sondern zum Teil auch zelebriert und dass potentielle Täter sich dadurch ermutigt fühlen.  Ohne Bonnie Blues Handeln dabei zu relativieren, stellt sich hier jedoch die grundlegende Frage, in was für einer Welt es überhaupt jemals möglich sein kann, Gewalt an Frauen zu normalisieren. Die traurige Antwort: in dieser.

Eine Studie aus dem Jahr 2020 analysiert 304 Szenen populärer Pornos, wovon 88,2% physische Aggression wie Würgen oder Schlagen enthalten. Pornhub Insight zeigt außerdem einen Anstieg der Suchanfragen wie »forced« oder »non-consensual« seit 2020 mit Beginn der Coronapandemie. Seitdem bleibt die Beliebtheit der Kategorien kontinuierlich auf einem hohen Level. Aber nicht nur in der Pornoindustrie wächst die Nachfrage nach gewaltvollen Inhalten gegen Frauen, auch in der Realität erfahren Frauen immer mehr Gewalt. Das Bundeskriminalamt erfasst 2023 180.715 Frauen, die Opfer von Häuslicher Gewalt geworden sind, 5,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen ist im Trend – und das schon lange.

Die grundlegende Voraussetzung dafür ist die Gewaltbereitschaft von Männern gegenüber Frauen. Diese mag von Bonnie Blue durchaus provoziert werden, vor allem aber wird sie demonstriert. Der Vorwurf, Bonnie Blue alleine verharmlose und sexualisiere Gewalt an Frauen, ist zwar berechtigt, aber zu kurz gegriffen, denn dadurch wird der strukturelle Hass gegen Frauen übergangen.

Ganz nach dem Motto »Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin« stellt sich hier ebenfalls die Frage: Wieso sind so viele Männer erschienen? Vergebene, Verheiratete und Väter. Ist es wirklich eine Frau, die im Alleingang den Feminismus zerstört oder sind es die 1057 Männer?  Ist es Bonnie, die für junge Männer und Frauen falsche Werte vermittelt oder sind es die teilnehmenden Männer, die zeigen, dass es normal ist, so mit anderen Menschen, insbesondere Frauen, umzugehen? Wenn keiner gekommen wäre, dann hätten die Medien wahrscheinlich über eine einzelne Frau ohne Selbstrespekt und mit krankhaften sexuellen Vorlieben berichtet. Jetzt haben wir die Offenlegung eines strukturellen Problems. Nicht erschaffen von einer Frau, sondern sichtbar gemacht von 1057 Männern.

»Bonnie Blue sets feminism back by 100 years!«

Bonnie Blue ist keine Feministin, und ihre Aktionen fördern Frauenfeindlichkeit und geben Gewalt an Frauen eine unkritische Bühne. Aber Bonnie Blue ist nicht verantwortlich für die misogynen Strukturen in unserer Gesellschaft, dank denen offen ausgelebter Frauenhass zu einer Form des Entertainments geworden ist. Dass als erste Reaktion in der Öffentlichkeit die Verantwortlichkeit und Schuld bei einer Frau gesucht wird, anstatt bei den 1057 Männern, ist bezeichnend für den Punkt, an dem die Gesellschaft im Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter steht und wer in diesem System noch immer verliert. Bonnie zeigt, wenn auch unbeabsichtigt und aus der falschen Motivation heraus, wie tief verankert Misogynie in unserer Gesellschaft bis heute ist, obwohl seit über hundert Jahren Feminist:innen dagegen ankämpfen.


Titelbild © Helena Dyck

Quellen:

https://xyonline.net/sites/xyonline.net/files/2018-04/Bridges%2C%20Aggression%20and%20Sexual%20Behavior%20in%20Best-Selling%20Pornography%20Videos%202010.pdf

https://www.bka.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/Kurzmeldungen/241119_BLBStraftatengegenFrauen2023.html

https://www.glamour.de/artikel/bonnie-blue-onlyfans-kontroverse#bonnie-blue-sagt-frauen-seien-schuld-dass-manner-fremdgehen

https://www.tagesanzeiger.ch/viele-maenner-glauben-dass-sie-ein-recht-auf-sex-haben-661563216184

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