Fanfiction – Ist das Literatur oder kann das weg?

Mit dem Großwerden des Internets Anfang der 00er-Jahre begann auch eine Leser:innenschaft von online veröffentlichten fangeschriebenen Werken rapide zu wachsen. Bei heute Millionen Nutzer:innen der entsprechenden Websites stellt sich die Frage, warum dennoch die wenigsten Fanfiction im selben Atemzug wie andere populäre Literatur nennen.
von Pauline Kral
Fanfiction zu schreiben und zu lesen ist nur eine von vielen Arten, wie Fans liebgewonnene Popkultur interaktiv konsumieren können. Auch wenn das Urheberrecht bei den ursprünglichen Schöpfer:innen liegt, ist das völlig legal, solange keine Versuche unternommen werden, aus den sogenannten Fanfics eigenen monetären Profit zu schlagen. Es sind vor allem Figuren oder fiktionale Welten als Settings, die Büchern, Filmen oder sogar Videospielen entnommen und verarbeitet werden. Dabei kann zum einen der ursprüngliche Plot nachverfolgt oder so erweitert werden, dass der neue Blinkwinkel oder die neue Timeline nicht im Widerspruch zum offiziellen Kanon steht, sondern sich darin eingliedert. Zum anderen können Charakteristika, Hintergründe und Geschehnisse frei umgeschrieben und sogar in Alternativuniversen versetzt werden. So werden beispielsweise ursprüngliche Nebenprotagonist:innen ins Spotlight gerückt oder tragischen Held:innen ein (aus Sicht der Fans verdientes) Happy End geschenkt. Häufig erforschen Autor:innen auch (romantische) Beziehungen zwischen Figuren, die entweder »einfach Sinn machen«, weil sie bereits zwischen den Zeilen des Originals herausgelesen werden können oder doch weit hergeholt sind. Am Ende bleibt vom Quellenmaterial oft nur mehr die Essenz übrig.
Fanfiction im Bücherregal
Wie das aussehen kann, erkennt man überraschenderweise mit Blick auf ausgewählte Bücher, die nicht etwa auf den bei Fanfic Leser:innen populären Internetplattformen wie FanFiction.net oder dem Archive Of Our Own (AO3) erschienen sind. Denn so manches, das heute den Status der publizierten Literatur innehält, nahm als Fanfiction seinen Anfang. Die Chroniken der Unterwelt von Cassandra Clare sind nach bald zwanzig Jahren noch immer in den meisten Buchhandlungen vor Ort erhältlich. Kaum jemand kann sich allerdings daran erinnern, dass die Autorin mit Plagiatsvorwürfen zu kämpfen hatte, da die Serie auf ein Harry-Potter-Fanfic der Autorin zurückgeht und einige Parallelen trotz aller Versuche, sie unkenntlich zu machen, erhalten blieben. Auch in der BookTok-Sensation The Love Hypothesis von Ali Hazelwood erkennen Star Wars-Fans noch immer deutliche Spuren eines vier Jahre zuvor online erschienenen Fanfics der Autorin. Sogar Percival Everetts James, das 2025 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde, erfüllt technisch gesehen sämtliche Kriterien für Fanfiction, wird aber keineswegs so beworben. Dabei stammen die Charaktere in bester Fanfic-Manier direkt aus Mark Twains Die Abenteuer des Huckleberry Finn (1884), lediglich ein Perspektivwechsel wurde vorgenommen, der folglich das Narrativ bestimmt.
Wenn die Grenzen zwischen Literatur und Fanfiction ohnehin verschwommen sind, woher
kommt dann das Bedürfnis, sie trotzdem zu trennen?
Literatur, die kann man studieren und erforschen. Man kann sich in Literatur über Literatur vergraben, ihre Ansprüche, ihre Inhalte und ihre Bedeutung diskutieren. Was ist »echte« Literatur ist und wer beherrscht die »wahre« Kunst des Schreibens? Ein Maßstab, der oft angelegt wird, ist Originalität. Etwas, das die bloße Idee der Fanfiction angeblich vermissen lässt. Doch ist es ein faires Kriterium, denn gibt es Originalität überhaupt?
Literatur wird von Genres dominiert und somit nach grundliegenden Gemeinsamkeiten kategorisiert. Noch enger gefasst orientieren sich manche Autor:innen an Tropes, wie »enemies to lovers«, »fake dating«, »love triangle«, »the chosen one«, etc. – eine lange Liste an Beschreibungen von plotbestimmenden Dynamiken, die Leser:innen in aller Kürze teils aussagekräftiger als so mancher Klappentext über den Buchinhalt informieren. Aufgrund der Popularität bestimmter Tropes erscheinen aktuell immer mehr Bücher, die auf identischen Strukturen beruhen, um die herum sich der restliche Plot entfaltet. Wie sieht es da aus mit der Originalität?
Vorurteile machen blind für Vorteile
Wer darüber hinaus über die Qualität des Geschriebenen die Nase rümpft, der vergisst, was Fanfiction im Grunde ist: ein Medium, um frei von stressigen Deadlines und strikten Verlagsvorgaben der Kreativität freien Lauf zu lassen. Autor:innen können ihre Freude am Schreiben und ihre Liebe zum Originalmaterial ausleben und sich dabei sowohl in ihren Schreibfertigkeiten als auch persönlich (Stichwort: Schreiben als Copingstrategie) weiterentwickeln. Das aktive Einbringen in eine Community ermöglicht nicht zuletzt eine
eigene Leser:innenschaft aufzubauen, ohne das Hobby zum Beruf machen zu müssen. Wenn Fanfiction nun möglicherweise für immer als minderwertig betrachtet werden wird, dann ist das vielleicht sogar gut so: Die kapitalistischen Zwänge des Buchmarktes würden nur zerstören, was sie im Herzen auszeichnet und für Millionen von Leser:innen so wertvoll macht.
Titelbild © Pauline Kral