Kalte Herzen: Was hat Schule mit Faschismus zu tun? 

Kalte Herzen: Was hat Schule mit Faschismus zu tun? 
Hausaufgaben, Kälte und Faschismus. Was diese Begriffe miteinander zu tun haben, erklärte die Erziehungswissenschafts-Studentin Anna-Josepha Stahl bei ihrem Vortrag »Die Schmiede kalter Eisen. Wie Schule bürgerliche Kälte (re)produziert«. Damit ist sie die fünfte der insgesamt sechs Vortragenden in der von der GEW Hochschulgruppe organisierten Vortragsreihe »Facetten des Faschismus«.

von Marie Odenthal

Anna-Josepha Stahl ist Studentin der Erziehungswissenschaften an der Universität zu Köln und hat sich für ihren Vortrag extra auf den Weg nach Bayern gemacht. Sie ist außerdem Gründungsmitglied der Gesellschaft für kritische Bildung und hat 2025 an dem Sammelband »Halbbildung. Kritische Theorie der Pädagogik« mit einem Aufsatz mitgewirkt, um den sich ihr Vortrag an der UR drehte. 

»Schule ist die Keimzelle von bürgerlicher Kälte. Und das wiederum ist Nährboden für Faschismus«, sagt Anna-Josepha Stahl und holt tief Luft, um den etwa 25 Zuhörenden das große Ganze zu erklären. 

Die kapitalistische Gesellschaft basiert auf Konkurrenz

Der Vortrag beginnt mit einer grundlegenden Einführung: Seit Jahrhunderten hat sich das kapitalistische System in unserer Kultur festgesetzt. Dabei geht es nie nur um reine wirtschaftliche Verhältnisse und Produktionsprozesse, denn das System beeinflusst alles: Klassenbewusstsein, Lebensverhältnisse, unseren ganzen Alltag. Und laut der These, die Anna-Josepha Stahl aufstellt, auch unsere Herzen. Die, so die Autorin, werden nämlich kalt, wenn die Menschen im Kapitalismus erfahren: Ich muss mich ständig gegen andere durchsetzen und konkurrieren, um zu überleben. Diese bürgerliche Kälte führt dann etwa zu Gleichgültigkeit gegenüber den Mitmenschen. 

Wie sollen wir mit der Welt fertigwerden? 

Die meisten von uns kennen es: Schlechte Nachrichten prasseln im Minutentakt auf uns ein und die Welt erscheint zunehmend bedrückend und unmoralisch. Damit klarzukommen, ist nicht einfach. Kälte und damit emotionale Abschottung von dem Leid, das wir jeden Tag sehen, ist ein einfacher Weg, um nicht unterzugehen. Außerdem stumpfen negative Erfahrungen, die immer wieder den Widerspruch aufzeigen, ab: Die Welt sollte so nicht sein und sie ist es trotzdem, so Anna-Josepha Stahl. 

Die menschliche Antwort sei oft Kälte, die diesen Widerspruch zu überwinden hilft und uns lernt, dass wir nicht zuständig sind. »Unsere Hoffnungen auf ein solidarisches, gerechtes Zusammenleben werden immer wieder enttäuscht und wir müssen trotzdem klarkommen«, fasst die Autorin Anna-Josepha Stahl zusammen und drückt damit aus, was sicher viele Menschen täglich spüren. 

Das Schulsystem macht unsere Kinder kalt 

Die Schule ist ein Ort, wo Kinder auf die »echte Welt« vorbereitet werden sollen. Besonders in Klassenzimmern tauchen, so erklärt es die Vortragende, häufig Widersprüche zwischen Norm und Realität auf: So sollen zwar alle Kinder die gleiche Bildung erhalten, aber schwächere Schüler:innen werden oft zurückgelassen.

Eigentlich sollen die Kinder zu Mündigkeit erzogen werden, haben aber kaum Möglichkeit, eigenständig zu denken und zu arbeiten. Immer wieder erfahren Kinder: So wie es ist, sollte es nicht sein, aber ich kann nichts daran ändern. Auf diese Widersprüche zwischen Norm und Funktion und die erlebte Ungerechtigkeit reagieren die Schüler:innen mit Kälte. Sie lernen, so Stahl, zu akzeptieren und nicht zu hinterfragen.  

Dass Schule bürgerliche Kälte (re-)produziert, wird laut Anna-Josepha Stahls Rechercheergebnissen mithilfe der in den 90ern durchgeführten Kältestudien versucht zu belegen. Dabei wurden Schüler:innen aller Altersstufen befragt und ausgewertet, wie sie mit dem Schulsystem emotional umgehen. Bereits Grundschulkinder zeigten Anflüge von Gleichgültigkeit und akzeptierten das ungerechte System teilweise fraglos.

Bei älteren Kindern sei unter anderem zu beobachten gewesen, dass sie Bildung als Konkurrenzkampf verinnerlicht haben. Damit hat, so die These, das Schulsystem erfolgreich die zutiefst kapitalistische Idee der Konkurrenz gelehrt. Dieser erlernte Wert hält in der Gesamtgesellschaft das kapitalistische System aufrecht. 

Um den Bogen zurück zum Faschismus zu schlagen, erklärt Anna-Josepha Stahl: In einer kapitalistischen Gesellschaft sind die Voraussetzungen für Faschismus verstärkt gegeben und dazu gehört auch die bürgerliche Kälte, die den Kapitalismus selbst entscheidend befördert. Wie so oft hilft beim Verständnis dieses Phänomens nur der Blick auf das große Ganze. 

Die Zuhörer:innen dürfen am Ende des Vortrags noch einige Fragen stellen und so entsteht ein reger Austausch über eigene Meinungen und persönliche Erfahrungen. Es gibt also genug Anlass, sich mit diesem Thema weiter auseinanderzusetzen.


Titelbild © Marie Odenthal

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Kolumnenleitung von »Feminis:muss« und »Queer&Jetzt« – Studentin der Politikwissenschaft und Philosophie

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