Zwischendrin

Ein Text über den Zustand, zwar Teil einer Gruppe zu sein, aber sich trotzdem nicht wirklich dazu gehörig zu fühlen.
von Amelie Steinwagner
Die steinernen Treppenstufen fühlen sich hart an meinem Hintern an. Ich verlagere mein Gewicht ein wenig, der Stoff meines Sommerkleides flattert mir um die Knöchel. Dort, wo ich sitze, ist es schattig, das Gesumme der Menschenmasse fühlt sich wie eine Decke über meinen Gedanken an. Alles verschwimmt. Ich blinzle die Tränen weg, die sich in meinen Augen sammeln.
Die Gruppe vor mir zieht sich immer weiter in einen engen Kreis zusammen, Stimmen flattern durch die warme Luft, einzelne Wortfetzen setzen sich in meinen Ohren fest. Es fühlt sich an, als würde ich ein geheimes Ritual beobachten, einen Tanz, zu dem ich die Schritte nicht kenne. Ich sitze am Rand und starre zu ihnen hinauf. Meinen Freunden. Nur ein Wort, immer nur ein Wort. »Freund« ist wie »Freiheit«, irgendwie bedeutet es alles oder nichts. Ich frage mich ständig, wann dieses schwammige Gefühl endlich der Sicherheit Platz macht.
Ich blinzle hinauf in den blauen Himmel, versuche, lange genug Blickkontakt mit einer der Wolken dort oben zu halten, sodass sich das Wasser in meinen Augen gleichmäßig verteilt und nicht auf den Asphalt zu meinen Füßen tropft. Sie blicken sich nicht zu mir um. Ihre aneinandergereihten Rücken sind wie eine Mauer aus Desinteresse. Ich könnte jetzt aufstehen und gehen. Verschwinden in der Masse, die sich um uns herum tummelt. Ich und die Gruppe. Das eine gehört nicht zum anderen. Gehöre ich überhaupt jemals irgendwo hin?
Der Gedanke ist so melodramatisch, dass ich kurz grinsen muss, die Lippen jedoch anschließend aufeinander presse, als mir keine Antwort einfällt. Manchmal denke ich, dass es für immer so sein wird. Dass ich immer nicht wissen werde, ob ich es gerade richtig mache. Ob ich dazugehöre. Vielleicht ist das bemitleidenswert. Aber wenn man ständig in einer Grauzone lebt, wünscht man sich eben einfach mal schwarz oder weiß. Eine finale Antwort ist das einzige, was ich nie bekomme.
Ich wabere um diese Gruppen herum, wie ein Phantom, formlos. Versuche meine rauchige Silhouette so anzupassen, dass ich zwischen den Lücken hindurch schlüpfe. Ein Moment der Zugehörigkeit, wenn man es schafft. Schließlich wird man jedoch stets wieder weggeblasen, eine Brise und ich zerstäube in tausend Teile, muss wieder von vorne anfangen. Ein Gespenst, das nicht durch Wände gehen kann. Ein Gespenst, vor dem sich keiner fürchtet. Ein Gespenst.
Ich wende mich ab und gucke hinunter auf meine Schuhe, wie sie an der Kante der tieferen Treppenstufe abrutschen. Die Worte bleiben mir im Hals stecken, als ich wieder aufschaue und auf eine leere Straße treffe. Irgendwo höre ich ihr Lachen durch die Luft driften, aber sie sind weg. Da ist niemand mehr auf dem Asphalt vor mir. Nur die Menschenmenge, mein Sommerkleid, die Treppe und ich. Auf einmal sehe ich sie, dort, auf der anderen Straßenseite. Ihre Köpfe verschwinden hinter Wimpeln und Zeltplanen und dann sind sie verschwunden. Haben sich nicht umgedreht.
Ich will ihnen hinterherrufen. Will lachen und schreien »Hey, vergesst mich nicht!«. Meine Schuhe rutschen auf der Treppenstufe ab und ich sacke in mich selbst zusammen. Nichts ist ganz, nichts ist halb. Da ist nur dieses schwere Gefühl in meiner Brust, wie als hätte ich irgendeinen wichtigen Moment verpasst. Mein Sommerkleid verheddert sich an meinen Beinen, als ich aufstehe, und ich taumle, stolpere langsam in eine Gasse. Verschwinde in die entgegengesetzte Richtung. Zwischen den Häusern, zwischen den Menschen. Zwischendrin.
Titelbild: © Olivia Rabe