Langweilt euch mehr!

Langeweile hat in unserer Gesellschafft keinen guten Ruf. Sie aufkommen zu lassen, fühlt sich fast schon verschwenderisch an. Wir sind so daran gewöhnt, immer irgendwie beschäftigt oder unterhalten zu sein, dass entstehende Leere beinahe beängstigend wirkt. In Momenten von wirklicher Langeweile ist man jedoch weder produktiv leistend noch glücklich bespaßt. Die Abwesenheit von äußeren Reizen wirkt erstmal ungewohnt und nicht besonders erstrebenswert. Im Alltag füllt meistens das Handy entstehende Pausen. Weil wir jederzeit auf alles Zugriff haben, können wir auch immer etwas verpassen. Sich bewusst dafür zu entscheiden, mal überhaupt nichts zu machen, ist gar nicht so einfach. Aber – Langeweile ist auch mal wichtig!
Von Charlotte Schmidt
Was macht das Gehirn, wenn wir mal nichts machen?
Man könnte erwarten, dass unser Gehirn während Pausen einfach abschaltet. Das ist jedoch überhaupt nicht der Fall! Das Default-Mode-Netzwerk ist ein Netzwerk verschiedener Hirnregionen, die im Ruhezustand aktiv sind. »Default-Mode« heißt so viel wie Standard- oder Voreinstellungen und beschreibt hier den Zustand des Gehirns, wenn es nicht durch äußere Reize abgelenkt wird. Die Aktivierung des DMN geht mit verschiedenen Prozessen einher, die uns maßgeblich beeinflussen.
DMN und das Selbst
Die wichtigsten Regionen des DMN, wie der mediale präfrontale Kortex, der posteriore cinguläre Kortex und der Precuneus spielen eine wichtige Rolle bei Introspektion, autobiographischem Erinnern und selbst-bezogenen Gedanken. Das bedeutet, dass durch das DMN Prozesse der Selbstreflexion in Gang gesetzt werden. Durch das Nachdenken über sich selbst und die eigene Vergangenheit entsteht ein Bewusstsein und Gefühl für das Selbst. Zudem ist das DMN wichtig, um Emotionen wahrzunehmen und diese in das Selbst zu integrieren.
Soziale Verbindungen
Die Social Connection Hypothese besagt, dass das DMN maßgeblich an der Verarbeitung sozialer Informationen beteiligt ist. Das DMN hilft uns zu verstehen, welche Gefühle die Menschen um uns herum empfinden, was sie für Perspektiven haben und welche Ziele sie verfolgen. Das ist wichtig, um Empathie zu entwickeln, erfolgreich mit anderen zu interagieren und langfristig gute Beziehungen aufzubauen und zu erhalten.
DMN und Kreativität
Neben dem Einfluss auf das Selbst und unsere Beziehungen spielt das DMN eine wichtige Rolle für Kreativität. Es ermöglicht das Stimulus unabhängige Denken, also die Produktion von Einfällen, ohne dass irgendein äußerer Reiz dazu anregt. So können wir auf komplett neue Ideen kommen. Außerdem lässt die Aktivierung des DMN unsere Gedanken wandern, wodurch wir verschiedene Szenarien erkunden und durchspielen können. Es ermöglicht uns die Verknüpfung von völlig unterschiedlichen Konzepten zu neuen Ideen und hilft dabei, komplizierte Probleme zu lösen.
Fazit
Das DMN ist in vielen unterschiedlichen wichtigen mentalen Prozessen aktiv. Es ist essentiell für Selbstgefühl, soziale Verbindungen und kreatives Denken. Ständiges Ablenken hindert diese Prozesse, von denen wir eigentlich so stark profitieren könnten. Natürlich sollten wir auch nicht dauerhaft unterstimuliert sein und uns in Grübeln oder Gedankenspiralen verlieren. Trotzdem ist es wichtig, sich öfter mal der Leere zu stellen, das Handy zur Seite zur legen und der Langeweile ein bisschen Raum zu geben.
Beitragsbild: ©Julia Reitmeyer
Quellen:
Azarias (2025): The Journey of the Default Mode Network: Development, Function, and Impact on Mental Health
Menon (2023) 20 years of the default mode network: A review and synthesis