Postpartale Depression – Wenn das Mutterglück von Angst und Schuldgefühlen überschattet wird

Die Geburt des eigenen Kindes gilt oft als der schönste Moment im Leben einer Mutter. Doch was passiert, wenn das erwartete Mutterglück nicht einsetzt? Wenn sich stattdessen tiefe Traurigkeit, Angst, Schuldgefühle und Scham breitmachen?
Von Viola Wiesbauer
Mehr als die Hälfte aller frischgebackenen Mütter erleben in den ersten Tagen nach der Geburt den sogenannten Babyblues. Dieses vorübergehende Stimmungstief ist gekennzeichnet durch Traurigkeit, Reizbarkeit, Müdigkeit und ein Gefühl der Überforderung. Die Gesellschaft begegnet diesen Gefühlen oft mit Unverständnis und falscher Selbstverständlichkeit: Sätze wie »Das ist ja alles ganz normal, ein bisschen überfordert zu sein« oder »Freu dich doch, dass du jetzt Mutter bist!« sind dabei keine Seltenheit.
Vom Babyblues zur postpartalen Depression
Während sich der Babyblues meist nach einigen Tagen legt, bleibt bei einer von zehn Müttern das seelische Tief bestehen und es entwickelt sich eine postpartale Depression. Diese Erkrankung kann sich unter anderem durch Antriebslosigkeit, Freudlosigkeit, Schlafstörungen, Angst, starke Schuldgefühle und sogar Zwangsgedanken gegenüber dem eigenen Kind äußern. Viele betroffene Frauen fühlen sich so, als könnten sie ihrer Mutterrolle nicht gerecht werden und halten sich für unzureichend. Die Folge: Ein Teufelskreis aus Selbstvorwürfen und Schweigen entsteht.
Vom Babyblues zur postpartalen Depression
Die postpartale Depression ist gut behandelbar, wenn sie frühzeitig erkannt wird. Doch genau dies geschieht oft nicht. Ein wesentlicher Grund ist die mangelnde Aufklärung. Viele Betroffene und auch ihr Umfeld erkennen die Symptome nicht oder nehmen sie nicht ernst genug, um rechtzeitig gegenzusteuern. Noch schwerer wiegt jedoch die tief verwurzelte Scham, die viele Frauen davon abhält, sich Hilfe zu suchen. Ursache dafür ist das überhöhte Idealbild der Mutter: selbstlos, liebevoll und stark sein, um jeden Preis. Schon früh lernen viele Mädchen, dass eine »gute Mutter« ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellt, um das Wohl der Familie zu sichern. Harmonie wahren und stark bleiben werden zur Maxime. Doch diese unrealistischen Erwartungen führen dazu, dass Frauen ihre belastenden Gefühle verdrängen, aus Angst, als schlechte Mutter zu gelten. Ein folgenschweres Trugbild unserer Gesellschaft.
Erfahrungen mit postpartaler Depression
Um mehr Bewusstsein zu schaffen, veröffentlichte die Vogue 2021 einen Artikel zur postpartalen Depression und sprach mit vier Frauen aus unterschiedlichen Ländern über ihre persönlichen Erfahrungen. So unterschiedlich ihre Ursachen, Symptome und Auswirkungen auch waren, in einem Punkt waren sich Linn-Beate S. (25) aus Norwegen, Yasmin Regan (33) aus Australien/Neuseeland, Rachael Phillipson (29) aus Großbritannien und Kamerya Hanohano (34) aus Hawaii einig: Es ist essenziell, sich von der ungerechtfertigten Scham zu befreien und offen über die eigenen Gefühle zu sprechen. Denn Schweigen kann schwerwiegende Folgen haben.
Linn-Beate S. (25, Norwegen) führt den Ausbruch ihrer postpartalen Depression auf die massiven Schlafstörungen ihrer neugeborenen Tochter zurück. Sie war völlig erschöpft, musste stündlich stillen, fühlte sich hilflos und als Versagerin. Der erste Schritt war ein Gespräch mit ihrem Partner und einer Pflegekraft. »Im Moment, in dem ich es aussprach, spürte ich schon eine Erleichterung.« Es folgten Gespräche und Therapiesitzungen, in denen sie ihre Gedanken »totquatschen« konnte, was einen wichtigen Teil ihres Heilungsprozesses darstellte.
Yasmin Regan (33, Australien/Neuseeland) beschreibt die postpartale Depression als »das Heftigste, was ich jemals durchgemacht habe«. Bereits im letzten Schwangerschaftsdrittel verspürte sie extreme Wut und Überforderung. Das letzte Warnzeichen waren ihre Suizidgedanken. Sie begann eine Therapie und erhielt Antidepressiva, doch was ihr besonders half, war ihre Offenheit auf Instagram. Dort konnte sie ihre Gefühle mit Menschen teilen, die sie nicht bewerteten oder verurteilten.
Rachael Phillipson (29, Großbritannien) wurde nach der sechs Wochen zu frühen Geburt ihrer Tochter von tiefer Angst um ihr Neugeborenes überwältigt. Sie lebte nur noch dafür, ihr Baby zu beschützen. Albträume, emotionale Leere, Freudlosigkeit und schließlich auch Suizidgedanken bestimmten ihren Alltag. Als sie sich ihrem Mann und ihrer Hebamme anvertraute, erhielt sie therapeutische Unterstützung und medikamentöse Behandlung. Sie berichtete, wie sehr es ihr geholfen hatte, sich mitzuteilen, und dass sie gerne früher gewusst hätte, dass es in Ordnung ist, über diese Gefühle zu sprechen und dass sie niemand dafür verurteilen würde.
Kamerya Hanohano (34, Hawaii) berichtet von insgesamt fünf postpartalen Depressionen. Die Diagnose wurde jedoch erst nach der Geburt ihres zweiten Kindes im Rahmen einer Therapie gestellt. Jede dieser Erfahrungen war unterschiedlich. Nach ihrer zweiten Entbindung litt sie unter extremen Stimmungsschwankungen, die sie schließlich dazu veranlassten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei erkannte sie auch die Parallelen zu ihrer Gefühlslage nach der ersten Geburt. Durch Therapie und medikamentöse Unterstützung gelang es ihr, wieder Stabilität zu finden.
Ein neues Verständnis von Mutterschaft
Mütter sind Menschen mit eigenen Bedürfnissen, Gefühlen, Ängsten und Grenzen. Sie sind keine unerschöpfliche Quelle von Liebe und Kraft. Auch sie dürfen erschöpft sein, zweifeln, traurig oder überfordert sein, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Ihr physisches und psychisches Wohlbefinden ist die Grundlage für eine gesunde Bindung zum Kind, für ein stabiles Familienleben und für die eigene langfristige Gesundheit. Wenn wir das Muttersein ausschließlich mit Selbstaufopferung gleichsetzen, zwingen wir Frauen in Rollen, die sie krank machen können. Wir brauchen ein neues Verständnis von Mutterschaft, das Menschlichkeit erlaubt und Schwächen zulässt. Hilfe zu suchen, darf nicht als Versagen gelten. Und Fürsorge darf sich nicht nur auf das Kind richten, sondern muss auch der Mutter selbst zustehen. Denn manchmal bedeutet Fürsorge für das eigene Kind, zuerst auf sich selbst zu achten.
Es ist an der Zeit, dass wir als Gesellschaft das Tabu brechen und offen über postpartale Depression sprechen, damit keine Mutter mehr unter Schamgefühlen leiden muss. Und damit Hilfe kein letzter Ausweg ist, sondern ein selbstverständlicher erster Schritt.
Titelbild © Olivia Rabe
Quellen:
https://www.vogue.de/beauty/artikel/postnatale-depression-erfahrungen
https://www.researchgate.net/publication/357558744
https://ediss.sub.uni-hamburg.de/bitstream/ediss/10060/1/Dissertation_KD_StabiVeröffentlichung.pdf