»Belastende Männer« – Ein Vortrag von Veronika Kracher

»Belastende Männer« – Ein Vortrag von Veronika Kracher
Incels, Alpha-Männer, und noch vieles mehr. Mit einer kunterbunten Auswahl an hypermaskulinen Männlichkeitsidealen geht die Veranstaltungsreihe »Facetten des Faschismus« mit einem Vortrag von Veronika Kracher in die vierte Runde. Über etwas mehr als eineinhalb Stunden nimmt die Soziologin uns mit in die Online-Welt der Männlichkeit und was all das mit Faschismus und rechten Ideologien zu tun hat.

von Trishinia Daos, Amelie Steinwagner und Sophie Stigler

»Ich habe jede Menge Cringe-Content dabei«, sagt Veronika Kracher, als sie ihren Laptop auf dem Sprecherpult aufklappt und eine PowerPoint Präsentation öffnet. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Facetten des Faschismus« hält sie einen Vortrag über faschistische Männlichkeitsbilder in den Sozialen Medien, sogenannte Alpha Males und die Incel-Kultur. Die Reihe ist ein Projekt der GEW Hochschulgruppe Regensburg und erstreckt sich über mehrere Wochen. »Incels, Alphas, Bosstransformationen – soldatische Männlichkeit und digitaler Faschismus« von Veronika Kracher ist die vierte von sechs Veranstaltungen. 

Die Vortragende ist Soziologin, politische Bildungsreferentin und Expertin für digitale Misogynie und hat in Frankfurt am Main und Mainz Soziologie und Literaturwissenschaft studiert. Außerdem ist sie Autorin und beschäftigt sich seit Jahren größtenteils mit – Zitat – »belastenden Männern im Internet«. Ziel des Vortrags ist die Analyse bestimmter Männlichkeitsideale im Internet und wie sie in rechte Ideologien eingebettet sind.

Das Sorgenkind »Männlichkeit« 

Krachers übergeordnete These lautet: Die Männlichkeit befindet sich in einer ständigen Krise. Männer fühlten sich in einer modernen, diversen Welt zunehmend zurückgedrängt und inszenierten sich gegenreaktionär als »bedrohte« Minderheit, die unter emanzipierten Frauen und queerer Kultur leidet, so die Soziologin. Sie zeigt ein Video, in dem weiße, heterosexuelle Männer als »Sklaven der Gesellschaft« dargestellt werden. Ihnen wird eine wachsende Feminität und Passivität unterstellt, durch die sie aus ihrer dominanten gesellschaftlichen Stellung verdrängt werden.

Mit der Unabhängigkeit der Frau sei es für den Mann immer schwieriger, etwas zu »bieten«. Der Anspruch an monetäre Mittel sinkt, Frauen wünschen sich nun einen Partner, dem sie auf Augenhöhe begegnen können, der sich im Haushalt beteiligt und sie als Subjekt, nicht als Objekt wahrnimmt. Anstatt sich jedoch an diese Wünsche anzupassen, ziehen sich gewisse Männer gänzlich aus dem Diskurs zurück und etablieren die feministische Frau als Feindbild. Hier sind traditionelle Rollenbilder und frauenverachtende Narrative die Antithese zu einer modernen Partnerschaft. 

Digitale Misogynie – Von »Cringe Content« bis zur Gewaltfantasie

In sozialen Netzwerken, Foren und Kommentarspalten habe sich ein digitaler Raum entwickelt, in dem Frauenhass und antifeministische Ideologien aufblühen. Was oft mit scheinbar harmlosen Memes, Cringe-Videos oder ironischen Kommentaren beginnt, wird schnell zur Bühne für frauenverachtende Narrative, so Kracher. Begriffe wie Incel, Alpha Male und Red Pill stehen für Szenen, in denen Männer sich als Opfer einer angeblich »woken« feministischen Gesellschaft inszenieren.

Besonders in der sogenannten Incel-Community sammeln sich Männer, die sich von Frauen sexuell zurückgewiesen fühlen und darin die Wurzel all ihrer Probleme sehen. Aus Selbstmitleid und Frust entsteht in diesen Kreisen oft ein aggressiver Frauenhass bis hin zur Glorifizierung von Gewalt.

Hier kursieren immer gleiche Mythen: Männer hätten von Natur aus ein »Grundrecht auf Sex« oder würden von Feministen unterdrückt. Solche Erzählungen bieten einfach Schuldige für persönliche Krisen und schaffen ein Gefühl von Zugehörigkeit – oft für Männer, die sich verunsichert oder ausgeschlossen fühlen. 

Doch aus den digitalen Echokammern kommt nicht nur Gerede. Immer wieder wird klar: Die Radikalisierung im Netz hat tödliche Folgen. Attentate wie 2018 in Toronto (Amokfahrer, der vor allem Frauen getötet hat) werden von Tätern verübt, die sich offen auf die Incel-Ideologien berufen. Plattformen wie X (ehemals Twitter) sind dabei längst nicht nur frauenfeindliche Diskussionsräume, sondern auch Orte, an denen faschistische Inhalte normalisiert werden, so die Soziologin. Der Hass betrifft dabei nicht nur Frauen, sondern auch Queere, Linke und andere marginalisierte Gruppen – digitale Gewalt, die zunehmend auf die reale Welt überspringt. 

Ideologische Wurzeln: Faschismus, Kapitalismus und Antisemitismus 

Antifeminismus ist ein zentraler Bestandteil rechter Ideologien. Er verkehrt die Realität: Männer inszenieren sich als Opfer einer »feministischen Dystopie«, in der ihre Rechte durch Diversität und sogenannte »Cancel Culture« bedroht seien. Besonders in Online-Foren und sozialen Netzwerken entstehen Gruppen von Männern, die sich entmachtet und übergangen fühlen. In dieser Umkehrung der Täter-Opfer Beziehung müssen, laut der Männer, sie sich verschweigen und ihre Opferrolle akzeptieren. Das äußere sich in Frauenhass, Queerfeindlichkeit und antisemitischen Verschwörungstheorien.

Ein Schlüsselbegriff dieser Bewegung ist die »Red Pill«, ihr erster und eigentlicher Ursprung ist der Film The Matrix. Wer die rote Pille geschluckt hat, ist aufgeklärt und erwacht zur Wahrheit in dieser feministischen Welt. Doch darin besteht die Ironie: Die Regisseurinnen von The Matrix, Lana und Lilly Wachowski, sind zwei Transfrauen, der Film ist eine Allegorie für eine Transition und trägt eine inhärent transgeschlechtliche Botschaft. Außerdem steht die Rote Pille dabei symbolisch für eine Einnahme der Östrogenpille. Diese Bedeutung wird jedoch von Incel-Foren und Anti-Feministen ignoriert, um diese Metapher in ihrem eigenen Narrativ zu propagieren.

Verbreitet ist auch die Vorstellung vom »Kulturmarxismus«: eine antisemitische Verschwörungstheorie, die behauptet, dass jüdische Intellektuelle der Frankfurter Schule nach ihrer Flucht vor dem Nationalsozialismus die Universitäten und Medien in den USA infiltriert hätten. Laut diesem Narrativ  liegt die vermeintlich sinkende Geburtenrate an der Verweichlichung der Männer und der zunehmenden Emanzipation der Frau daran. Ihr Ziel sei die Zerstörung traditioneller, westlicher Werte durch die Verbreitung von Feminismus, Queerness und kultureller Vielfalt.

Männerbilder im Faschismus und Spätkapitalismus

Die Red-Pill-Community präsentiert diesen Männern den »Alpha Male«. Er sei körperlich dominant, beruflich erfolgreich, isst rohes Fleisch, trainiert im Fitnessstudio und zeigt keine Schwäche. Man kenne diese Figuren von Alpha-Männer als sogenannte »Chads«. Sie seien nur in Beziehungen mit submissiven, jungfräulichen Frauen und gut vernetzt mit anderen Alpha-Männern. Eigenschaften wie Solidarität und Sensibilität seien verboten und würden bestraft, da Disziplin und Erfolg mehr geschätzt werden.

Ein weiteres Beispiel ist laut Kracher das »Sigma Male«, die stille und individuelle Version des Alpha-Males, die besonders beliebt ist bei jungen, isolierten Männern, die sich selbst als überlegen und dadurch unverstanden sehen. Außerdem denken sie, dass sie besser als alle anderen seien. Sigma Males befinden sich ständig im Wettbewerb mit den anderen, und dadurch sehen sie sich als »eigenständig«. Der »harte Mann«, der »Hustler«, sei sowohl in der rechten Szene als auch in kapitalistischem Coaching zentral: Disziplin, Geld und »wir haben keine Zeit für Gefühle«.

Die Nähe zwischen dem neoliberalen Kapitalismus und faschistischen Männlichkeitsbildern sei kein Zufall, sondern ein Ausdruck eines Systems, das auf Konkurrenz, Dominanz und Ausbeutung basiert. R.W. Connells Konzept der hegemonialen Männlichkeit hilft, diese Phänomene zu verstehen. Es beschreibt die dominante, kulturell idealisierte Form von Männlichkeit, die andere Männlichkeiten und Weiblichkeit abwertet. »Alpha« oder »Sigma« stammen aus dieser Denkweise, die eine hierarchische Ordnung zwischen Männern aufbauen, erklärt die Soziologin.

Und wer ist schuld daran? In rechten Diskursen seien es »jüdische Eliten«, »woke Kapitalisten« und »Gender-Ideologen«. Es führe zurück auf antisemitische Verschwörungstheorien und wird modernisiert durch Algorithmen und die sozialen Medien. Influencer wie Andrew Tate und Jordan Peterson würden dieses Bild verstärken: Sie geben jungen Männern einfache Erklärungen für komplexe Probleme: Du bist nicht schuld, dass du keine Freundin hast, sondern die feministische Bewegung. Elon Musk nutze seine Plattform X, um Frauen- und transfeindliche Narrative zu verbreiten: Sogar seine eigene Tochter sei ein Feindbild für seine Transfeindlichkeit.

Warum diese Ideologien so anziehend sind

Warum üben solche Bewegungen gerade auf junge Männer so eine starke Anziehung aus?  Ein Grund ist das Versprechen von Stärke, Kontrolle und Zugehörigkeit. Wer sich von gesellschaftlichen Erwartungen überfordert fühlt, findet hier scheinbar einfache Antworten: Die Schuld liegt nicht bei einem selbst, sondern bei Frauen, Queers und »linken Eliten«. 

Diese Szenen bieten klare Feindbilder und einfache Lösungen – und sie passen gut in eine Gesellschaft, in der Schwäche oft als Markel gilt. Der Schulterschluss mit der »Self-Improvement«-Szene – von Life Coaches bis zu Finanz-Influencern – verstärkt das: Disziplin, Erfolg, Härte werden als männliche Ideale verkauft. Wer diese nicht erfüllt, gilt als Versager. So verschmelzen patriarchale und neoliberale Vorstellungen zu einem Weltbild, das Ausgrenzung und Gewalt als logische Folge inszeniert. 

Organisiert Euch! 

Faschistische Männlichkeitsideale seien kein Phänomen des Dark Web mehr, sondern ein reales, sehr gefährliches Problem, das sich mittlerweile ebenso in der Weltpolitik und dem gesellschaftlichen Mainstream eingenistet hat. Als Beispiel zeigt Kracher die Aussage des US-amerikanischen, republikanischen Politikers Nicholas J. Fuentes, welcher mit dem Tweet »Your body, my choice. Forever.« die Essenz der Bewegung benenne. Männer fühlen sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt, übergangen, können sich nicht mit den Veränderungen in unserer Gesellschaft arrangieren und reagieren auf die einzige Art, die sie kennen: Gewalt und Kontrolle.

Man(n) rotte sich in bürgerlichen Gemeinschaften und Online-Communities zusammen, die von Tag zu Tag Zuwachs bekommen und dadurch Frauenhass normalisieren, Transfeindlichkeit und Antisemitismus erneut salonfähig machen. Hass und Hetze seien omnipräsent, sei es mit der Weich-Waschung faschistischer Ideologien durch Memes der AfD, die Kracher ebenfalls als Beispiel anführt, oder Foren, in denen minderjährige Jungen über den gewaltsamen Tod ihrer Schwester fantasieren.

Veronika Kracher schließt mit einem Appell: »Organisieren Sie sich!« Nur durch das Zusammenfinden in politischen Organisationen und anderen Gruppierungen ist es möglich, sich effektiv gegen den Faschismus zu engagieren und hasserfüllte Propaganda einzudämmen. Es ist wichtig über das Phänomen faschistische Männlichkeit offen zu sprechen, in Aufklärungsangebote zu investieren und sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Noch wichtiger: Die Problematik muss benannt werden. Eine Umschreibung oder gar Ästhetisierung der Bewegung darf nicht geschehen, denn das gibt rechten Ideologien nur einen weiteren Zugangspunkt, über den sie sich in unserer Gesellschaft festsetzen können. 


Titelbild © Sophie Stiegler

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