Von Tod und Trauer

Ein Text über eine Trauer, die alle Sinne durchdringt. Ein leiser Nachhall von Liebe – und der Schmerz, der bleibt wenn sie geht.
von Neda Bayat
Meine Trauer schmeckt nach Geburtstagskuchen.
Sie schmeckt nach Essen, das meine Mutter nicht mehr kocht.
Sie schmeckt nach einer angefangenen Zigarette, die ich nicht rauche.
Sie riecht nach Tabak.
Nach Parfüm, von dem mir übel wird.
Sie riecht nach einem alten Volkswagen, der lange in der Sonne stand.
Nach Krankenhäusern mit unhöflichen Ärzten und Corona-Regulationen.
Sie sieht aus wie ein Führerschein.
Ein Abitur. Ein Umzug.
Wie jeder Meilenstein.
Sie sieht aus wie ein Mittwoch, an dem ein Mann in der S-Bahn aussieht wie du.
Wie jeder Vater-Tochter-Tanz auf Hochzeiten.
Sie hört sich an wie leere Versprechen.
Wie Geschichten von Verwandten, die ich nicht kenne.
Meine Trauer hört sich an wie Musik, die du gerne mochtest und ich als Kind schrecklich fand.
Wie Hunderte von Diskussionen, die wir hätten führen sollen.
Meine Trauer fühlt sich an wie Wut.
Wie Neid auf jeden, der 10 Jahre älter ist. 10 Jahre mehr Zeit mit dir hatte.
Sie fühlt sich an wie Reue für jede Umarmung, die ich losgelassen habe.
Wie ein unerwünschter Gast an jedem Esstisch.
Und manchmal fühlt sich meine Trauer an wie Liebe.
Wie ein Beweis, dass ich geliebt habe.
Und, dass jemand mich geliebt hat.
Bedingungslos und ganz.
Meine Trauer ist der Preis, den ich dafür zahlen muss.
Titelbild: © Neda Bayat