Frauenstimmen im Krieg

Frauenstimmen im Krieg
Das Musical »The Hello Girls« bereits zum zweiten Mal im ausverkauften Unitheater 

von Milena Brey und Anne Nothtroff 

»Stellt euch mal vor, dass die Welt sich bekriege…« – mit diesem eindrücklichen Satz beginnt das Musical »The Hello Girls« und stellt damit gleich zu Beginn klar: Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist keine ferne Fiktion. Millionen Menschen weltweit erleben Krieg als Realität – so auch die ersten weiblichen Telefonistinnen der US-Armee im Ersten Weltkrieg. Das Stück widmet sich ihrer weitgehend unbekannten, aber umso bedeutenderen Geschichte.  

Die Handlung erzählt das Leben von Grace Banker (Justina Rötsch), die im Jahr 1917 als Chief Operator eine Einheit junger Telefonistinnen anführte. Als erste Frauen im amerikanischen Militärdienst stellten sie rund 26 Millionen Verbindungen zwischen den Frontsoldaten her und leisteten damit einen entscheidenden Beitrag zur militärischen Kommunikation an vorderster Linie des Ersten Weltkriegs. Das Musical beginnt jedoch nicht an der Front, sondern 1918 in der Bell Phone Company. Dort leitet Grace bereits ein kleines Team, doch eine Beförderung zur Verkehrsleiterin bleibt ihr – wie allen Frauen – versagt, denn die Führungsrollen sind Männern vorbehalten.

Zwischen Bomben und Sexismus – Pionierinnen an der Front 

Auch der Wunsch, ihrem Land direkt an der Front zu dienen, wird zunächst von Lieutenant Captain Riser (Fabian Hägel) abgeschmettert. Männer wollen Soldaten als Vermittler am Schaltpult. Wenn ihr Leben an der Front von einem Telefonat abhängt, wollen sie dies nicht in die Hände einer Frau geben. Grace und ihrem Team wird nicht zugetraut in kriegsentscheidenden Momenten als Vermittlerinnen Am Schaltpult agieren zu können. 

Als die Frauen schließlich doch an die Front dürfen, beginnt ihr echter Kampf – nicht nur gegen die Herausforderungen des Krieges, sondern auch gegen den strukturellen Sexismus in den eigenen Reihen. Tagebuchschreiben ist ihnen verboten, ihre Erfahrungen bleiben lange ungehört. Immer wieder müssen sie sich beweisen, selbst gegenüber den eigenen Kameraden, die ihre Kompetenz anzweifeln. Doch mit der Zeit beginnt ein Wandel: Die Soldaten an der Front, die anrufen, sprechen die Frauen am anderen Ende der Leitung schlicht mit »Hello, Girls« an – ein Rufname, der ihnen schließlich auch den Titel gibt.  

Die Hello Girls bei der Arbeit © Anna Gress

»The Hello Girls« wurde anlässlich des hundertsten Jahrestages 2018 in New York uraufgeführt. Dass sich die Musical Minds der Ehre der deutschsprachigen Erstaufführung bewusst sind, zeigen sie nicht nur durch eine grandiose Inszenierung, sondern auch durch geschichtliche Aufarbeitung: Zu jeder Vorstellung wird eine Einführung angeboten und auch im Programmheft finden sich Hintergrundinfos. Das Musical der Telefonistinnen beruht schließlich auf wahren Begebenheiten: Grace Banker und Co. hat es wirklich gegeben. Sie und die restlichen »Hello Girls« haben als erste Soldaten einen wesentlichen Teil zur Einführung des Frauenwahlrechts beigesteuert. Schließlich kämpften auch sie für ihr Vaterland und haben somit, genau wie die Männer, das Recht ihr Land mit ihren Stimmen mitzugestalten. Männer wurden für Posten mit Verantwortung gerne bevorzugt, auch wenn längst klar war, dass Frauen kompetenter waren. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Frauen fünfmal so schnell Anrufe weiterleiten konnten als Männer, sagt Elisa Aschenbrenner in einem Interview auf dem Instagram Kanal @hellogirls_musical. Der Job der Telefonistin war hart und schlecht bezahlt. Das lange Sitzen war häufig mit Rückenschmerzen verbunden. Dass man bei den Telefonen damals noch nicht die Lautstärke verstellen konnte, hatte nicht selten Tinnitus zu Folge.  

Trotzdem ist der Kampf um Anerkennung für die Telefonistinnen nach dem Einsatz an der Front nicht vorbei. Obwohl sie, wie die Männer, an der Front waren, wird ihnen der Veteranenstatus nicht anerkannt. Nach weiteren 60 Jahren juristischem Kampf, gelingt der Sieg: 33 noch lebende Hello Girls erhalten den Veteranenstatus. Die schon verstorbene Grace Banker erhält durch ihre Enkelin die »WW1 Victory Medal«.  

Die Hello Girls unter sich © Anna Gress

Die Geschichte dieser mutigen Frauen wird am Theater an der Uni Regensburg von Anna Sluk und Fabian Hägel mitreißend inszeniert. Die Hello Girls überzeugen mit ihrer Wärme und zeigen gleichzeitig, dass sie genauso kompetent und ernst zu nehmen sind wie die männlichen Soldaten. Grace Banker (Justina Rötsch) unterscheidet sich anfangs ganz klar von ihrem männlichen Kollegen Captain Riser (Fabian Hägel). Während Riser sich mit Härte und bitterer Verbissenheit durchsetzt, gewinnt Grace schnell den Respekt ihrer Telefonistinnen mit einer warmen Strenge. Durch kluge Choreografien wird gezeigt, dass die Frauen sich genauso streng und soldatenhaft bewegen können, wie ihre männlichen Kollegen: Salutieren und stramm Stehen, Liegestütze und harte Mienen. Nur wird diese Härte immer wieder gebrochen, wenn die Frauen unter sich sind, die Bewegungen werden weicher, genauso auch ihr Verhalten.  

Justina Rötsch verleiht Grace Banker eine bemerkenswerte Tiefe: Sie spielt die Figur nahbar, menschlich und verletzlich, ohne dabei ihre Entschlossenheit und Autorität zu verlieren. Grace verkörpert Disziplin und Regelkonformität – doch unter der Oberfläche blitzt immer wieder ihr Widerstandsgeist auf. Etwa wenn sie zulässt, dass eine Uniform durch einen heimlichen Tanzabend mitfinanziert wird. 

Bühne, Kostüm und Musik: Eine kraftvolle Gesamtkomposition 

Die Bühnenbildkonstruktion aus mehreren Podesten nimmt den ganzen Raum auf der Bühne ein. Das verleiht ihr mehrere Ebenen und wichtige Tiefe, die im ganzen Stück geschickt genutzt wird. Mal verwandelt sich die Bühne in ein Schiff, mal in eine brennende Telefonzentrale. Die Kostüme überzeugen mit Authentizität. Die anfangs im bunten 1910er Style gekleideten Hello Girls salutieren später in ihren neuen, dunkelblauen Uniformen. Aber nur weil die Kleidung ihre Farbe verloren hat, haben das die Charaktere nicht. Äußerlich gleichen sie sich, so wie in den Choreografien, charakterlich zeigt sich jedoch die Stärke jeder einzelnen Frau.  

Unter der musikalischen Leitung von Simon Hensel und Sebastian Brantzen gelingt eine mitreißende musikalische Begleitung. Die Band aus Raphael Arulsamy (Gitarre), Phillip Reichert (E-Bass), Pia Rieder (Klarinette), Jonas Engert (Trompete), Jana Ludwig (Cello), Kristina Rau (Geige), Michael Painter (Schlagzeug), Sebastian Brantzen (Piano, Akkordeon, Bells) und Simon Hensel (Piano, Dirigat) unterstützt das überzeugende Ensemble. Sogar in einer kurzen Unterbrechung aufgrund von technischen Problemen überzeugt die Band mit einer kleinen improvisierten Zugabe. Die Songs, die von Ragtime bis Jazz reichen, spielen sie mit Präzession und reißen das Publikum mit. Als Bonus gibt es Bella Ciao als Exitmusic, so verlässt das Publikum tanzend den Saal. 


Weitere Infos: MusicalMinds Regensburg – Musical Minds 

Beitragsbild: Justina Rötsch und Ensemble © Anastasia Geenen 

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