Drag in Regensburg – Die Transgression hält Hof

Drag in Regensburg – Die Transgression hält Hof
Drag kann alles. Herzzerreisender Operngesang, Bubblegum-Comedy, von Verkleidung bis Lipsync. Ruby Tuesday und Vicky Voyage laden ein und zeigen, was die deutsche Dragszene zu bieten hat. Alles unter dem Stern der Selbstverwirklichung.

Von Mia Fritzsche

Nanu! Ist denn der ZDF Fernsehgarten heute in Regensburg unterwegs, oder wieso wird im Antoniushaus auf eins und drei im Takt geklatscht, an diesem verregneten Junisonntag?

Fast. Es ist der 15. Juni, die Uhr schlägt 19 Uhr. Ruby Tuesday (@rubytuesdayneoburlesque) und Vicky Voyage (@vicky.voyage) – sozusagen die Florian Silbereisen und Helene Fischer der bayrischen Drag Szene – bitten zur Audienz und bereichern Regensburg um sechs schillernde Persönlichkeiten.

Nach einer Ansprache von Ruby Tuesday und Alex von Queeres Regensburg macht Daisy Dick (@daisy_dick_drag) den Auftakt. Sie singt sich in roten Latex-Kniestiefeln und Leotard durch Selbstfindung und Partnersuche, eins erfolgreicher als das andere. Die Sportskanone Vicky Voyage räkelt sich erst zu Shirin Davids »Bauch Beine Po« lasziv an einem rosanen Gymnastikball und dann um eine Poledance Stange. Ihre beeindruckenden Figuren bringen die Stange zum wackeln und das Publikum zum Jubeln.

Die romantischere Seite des Programms leitet Drag-King Martwy (@martwadrag) ein, er bezirzt das Publikum mit Anzug und Rose, bis er nur noch in Lederharness und Slip auf der Bühne steht. Aber keine Sorge, er hat noch ein paar Rosenblätter an einem ganz besonderen Ort versteckt. Nach der Pause zeigt er den Regensburger:innen, was passieren kann, wenn man wirklich einmal macht, worauf man Lust hat. Ein Spoiler: es beinhaltet dämonische Krieger und zwei pinke Pompoms. Bibi Lebon (@hendrikbibilebon), quasi das Gegenstück zu Martwys Casanova, singt ein Chanson von ihrem Verflossenen, findet ihn im Publikum wieder und spielt ein kleines Puppentheater mit ihm. Als Bühne zu ihrer Wiedervereinigung (mit Happy End) dient ihre Oberweite. Die wohl erste Inszenierung eines »Tittentheaters«.

Der klassisch versierte Theaterfan kommt an diesem Abend auch nicht zu kurz. Die ukrainische Opernsängerin Samantha Jackson (@samanthajackson.ua) begeistert sowohl mit einer Arie als auch mit Nina Hagens »Du hast den Farbfilm vergessen« und die britische Apple Derrieres (@applederrieres) redet sich musikalisch aus einer Konfrontation mit dem Gesetz, nachdem sie beim Tampons klauen erwischt wird. Katy Perrys »I kissed a girl« hat sie an diesem Abend für eine akkuratere women loving women-Repräsentation auch gleich umgeschrieben. Jetzt weiß Regensburg auch, wie man diesen inoffiziellen lesbian-anthem beim diesjährigen CSD am 05. Juli anstimmen kann, ohne sich hinterher und währenddessen den Kopf über internalisierte Heteronormativität und Weltraumraketen zu zerbrechen. »I kissed a cunt and i liked it« Was will man mehr?

Diese transzendentale Erfahrung wird nur durch die Performance von Drag-King Ashton Butcher (@the.ashton.butcher) übertroffen. Ashton tanzt sich erst in detailreichem Puppenkostüm aus der Gender Binärität und steigt sodann als biblisch akkurater Engel zu den Celestialkörpern auf.

Wig-Reveals, Stripper Heals, Outfit Changes, Death Drops, alles war dabei, die Dragszene Bayerns zeigt sich an diesem Abend im Antoniushaus von ihrer besten Seite.

Das Spiel mit dem Körper, der Gerte und der Normen

Drag ist Absurdismus pur.

Silikonbrüste, die vorm Publikum geschüttelt werden, Klapser auf den Po mit einer Gerte, die davor im Hosenbein versteckt war, Waffen, die abgeleckt werden und Puppentheater auf ausgehöhlten Pappbrüsten. Drag Shows lassen einen nicht nur lachen, sie erinnern uns daran, dass alles geht. Dass die Natur erlaubt und nur die Kultur verbietet. Drag hält uns und unseren Vorstellungen den Spiegel vor und zeigt, was es jenseits des uns vertrauten gibt. Es ist schwerer definierbar und umso vielseitiger. Die Drag-Show ist alles, von erregend bis lustig, von rührend bis ordinär.

Die Kunst des Drags grast das volle Spektrum des Spiels mit dem Geschlecht ab: Eine charmante Persönlichkeit steht auf der Bühne. Überlegungen, in welche Sparte man diese Person nun stecken kann, führen ins Nichts. Die Attraktivität wird nicht an zuvor vorgelegten körperlichen »Trends« gemessen, sondern allein an der (Bühnen)präsenz der Queen/des Kings.
Das komplette Gegenteil: Bibi Lebon frägt ihren Geliebten »Do you want a tighter pussy? Or a bigger ass?« und kommt mit einer fast platzenden Papp-Oberweite zurück. Die Fetischisierung des weiblichen Körpers wird in die absolute Lächerlichkeit gezogen. Es kommt keine:r zu kurz, bis auf den:die, der:die sich nicht von diesen Konventionen loslöst.

An den Christopher Street-Day am 05. Juli wird nochmal erinnert. Die Parade muss aus Sicherheitsgründen verkürzt werden, die Drag Show dient als Trost.


Beitragsbild: © Nadine Vaders

Das Komplette Programm des Pride Months ist unter diesem Link einsehbar: https://www.queeresregensburg.de/csd/

Die Instagram-Seiten der Queens und Kings gibt es hier:

Ruby Tuesday: https://www.instagram.com/rubytuesdayneoburlesque/

Vicky Voyage: https://www.instagram.com/vicky.voyage/

Daisy Dick: https://www.instagram.com/daisy_dick_drag/

Martwy: https://www.instagram.com/martwadrag/

Bibi Lebon: https://www.instagram.com/hendrikbibilebon/

Samantha Jackson: https://www.instagram.com/samanthajackson.ua/

Apple Derrieres: https://www.instagram.com/applederrieres/

Ashton Butcher: https://www.instagram.com/the.ashton.butcher/

Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht.

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