Dopamin Decor

Bunt & knallig – der trendige Einrichtungsstil lässt Wohnungen vor positiver Energie sprühen und soll glücklich machen. Selbstverwirklichung, Räume so bunt wie das Leben – nur Deko oder doch Wissenschaft?
von Lea Amelie Stöbe
Der beliebte Wohntrend macht dem beigen Vanilla-Scandi-Style Konkurrenz und setzt statt Minimalismus und sterilen Farbnuancen auf saftige Kontraste und Eyecatcher.
Vor keinem Raum wird Halt gemacht – Dopamin-Schlafzimmer, -Wohnzimmer und sogar Dopamin-Badezimmer sollen eine Wohlfühlatmosphäre schaffen, in der durch visuelle Reize die Stimmung gehoben und man ins emotionale Gleichgewicht gebracht wird. Individualität wird in dieser Designphilosophie großgeschrieben, denn sie rührt aus der Sehnsucht nach einem persönlichen, maßgeschneiderten Rückzugsort, der sich anfühlt, als würde man in den Arm genommen – losgelöst von den Zwängen des «guten Geschmacks».
Im Detail betrachtet
Wer nicht weiß, wie die Good Vibes in die eigenen vier Wände zu bekommen sind, findet zahlreiche «Einmaleins des Dopamin-Decors» im Internet.
Wände müssen von gemusterten Tapeten, unterschiedlichen Texturen und auffälligen Farben bedeckt sein. Wenn das doch etwas zu viel für den eigenen Geschmack ist und die Wand dezenter bleibt, dann lassen verspielte Accessoires die Dopaminzufuhr wieder nach oben schießen: extravagante Skulpturen, Vintage-Stücke und wellenförmige Kerzenhalter sorgen dafür, dass der Blick im Raum haften bleibt. Ein «optischer Störer» lockert auf und gerade die Wellenform ist ideal, um geradlinige Räume optisch dynamischer und lebendiger zu gestalten. In besonderen Materialien wie Messing oder Lack bleibt Eleganz erhalten und lässt die Verspieltheit nicht überhand nehmen.
Auch runde Formen sind essenziell. Sie sprechen uns mehr an, wir empfinden sie als angenehm und irgendwie süß. Die neuen «Blobjects» aus engl. «blob» für Tropfen und «object» spielen damit. Mit kugelrunden oder getropften Silhouetten und ein wenig plumper Optik, die Gemütlichkeit verspricht. Zum Beispiel als bauchiger Lesesessel oder Couch mit abgerundeten Ecken und Lehnen.
Regale werden zweckentfremdet und sind nicht mehr Aufbewahrungsmöglichkeit, sondern Stillleben aus Büchern, gerahmten Prints, Blumen und Kuriosem. An die jeweiligen Räume angepasst, lassen sie die Wohnung zu einer kleinen Ausstellung werden.
Abgerundet wird all das durch natürliches Licht und indirekte Beleuchtung quietschiger Lampen und, nicht zu vergessen, luftreinigenden Pflanzen, die für ein gesundes Raumklima sorgen.
Die Wissenschaft dahinter
Dopamin – auch als «Botenstoff des Glücks» bekannt – spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie wir Motivation, Zufriedenheit und Freude erleben.
Neurobiologische Forschung hat ergeben, dass beim Betrachten ästhetisch ansprechender Kunst das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert wird – derselbe Bereich, der aktiviert wird, wenn wir verliebt sind. Dabei geht es jedoch nicht nur um Dopamin. Es ist ein komplexer Cocktail aus Neurotransmittern:
Serotonin zur Stimmungsregulierung, Oxytocin für Gefühle von Geborgenheit und Zugehörigkeit, Noradrenalin zur Erregung und Endorphine für das allgemeine Wohlbefinden.
Studien zur Farbpsychologie zeigen konsistente emotionale Assoziationen über verschiedene Kulturen hinweg. Diese sind nicht nur symbolisch, sie erzeugen messbare physiologische Reaktionen: Niedriger Blutdruck bei Einwirkung von Blau bis hin zu erhöhter Herzfrequenz bei Einwirkung von Rot. Menschen orientieren sich ungewöhnlich stark an optischen Signalen. Wissenschaftler:innen sprechen oft von einem farbigen Vokabular, das der Mensch über Jahrtausende ausgeprägt hat und das ihm heute noch als Orientierungshilfe dient.
Farben haben einen unmittelbaren Einfluss auf das Nervensystem. Veränderungen von Licht und Farbe wirken sich auf alle vegetativen Körperfunktionen wie Stoffwechsel, Atmung, Blutdruck oder Muskeltonus aus. Auch die Gefühle verändern sich mit den Farben. Und weil Gefühle die stärkste Antriebskraft eines Menschen sind, haben Farben die Macht, sein Denken und Handeln zu prägen.
Prof. Dr. Axel Buether, Professor für Didaktik der visuellen Kommunikation an der Bergischen Universität Wuppertal sagt „Begleitet von den richtigen Farben, fühlt man sich wohler und lebt gesünder, ist wacher und aufmerksamer, denkt und lernt konzentrierter und kommt schneller zur Ruhe.“
Realitätscheck
Offensichtlich wird der Interior-Trend seinem Namen gerecht.
Wie jeder andere Trend ufert er auch in andere Bereiche aus. So bieten Nagelstudios zum Beispiel „Wissenschaftlich fundierte Maniküre“ an: Farbberatungen nach unterschiedlichen Gefühlzuständen und nach emotionalem Ziel der Kund:innen. Montags-Motivationsmaniküre mit energiespendenden Rottönen gegen Müdigkeit zum Wochenanfang oder dezente Azur- und Himmelblautöne in stressigen Zeiten.
Wo der Trend noch Trend bleibt und wo überladene Maßlosigkeit und Besessenheit beginnen, lässt sich nicht einheitlich festlegen.
Fakt ist, Dopamin Decor kann die Gefühlslage in die Höhe pushen und die Stimmung in den eigenen vier Wänden positiv beeinflussen, wenn Alltag oder Außenwelt weniger bunt sind. Dennoch ist der Stil kein Heilmittel in schlechten Zeiten und bewahrt nicht vor tristeren Gemütszuständen. Je mehr Deko und Statement-Pieces, desto mehr Ausgaben und nötige finanzielle Liquidität, um den Trend umzusetzen. Vom Staubwischen auf unebenen Oberflächen ganz zu schweigen. Es gilt abzuwägen, was einem wichtiger ist. Dopamin Decor bereitet Freude und inspiriert, ist aber deutlich teurer und pflegeintensiver als minimalistischere Wohntrends.
Ein wiederkehrender Wow-Effekt bei Betreten der bunten Wohnungen bleibt allemal!
Titelfoto und Diashow © Lea Amelie Stöbe
Chefredakteurin & Kolumnenleitung des »Worts der Woche« - Studentin der Medienwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre