Fühlt sich komisch an, oder?

Fühlt sich komisch an, oder?
Eine durchschnittliche Familie. Szenen, wie viele sie jeden Tag erleben. Doch irgendetwas ist anders.

Von Celia Thor

Am Morgen:

Der Vater steht auf, macht sich im Bad hübsch für den Tag. Er muss sich beeilen, schließlich muss er noch die Brotdosen für Frau und Kinder vorbereiten. Die Mutter steht nun auch auf, sie setzt sich an den Esstisch und liest Zeitung. Der Mann stellt ihr den morgendlichen Kaffee hin. Sie nimmt einen Schluck. Anstatt eines einfachen »Danke« bekommt er ein Augenrollen. »Der Kaffee ist viel zu stark. Du weißt, dass ich das nicht mag. Was soll das?« Auch die Kinder sind nun aufgewacht, die Tochter setzt sich zur Mutter an den Esstisch und isst ihr Frühstück. Es ist Sommer. Es soll der bisher heißeste Tag des Jahres werden. Der Sohn entscheidet sich für ein Tanktop und eine kurze Hose, schließlich gibt es im Klassenzimmer keine Klimaanlage.

Auf der Arbeit und in der Schule:

Bei der Arbeit angekommen, betreut der Mann direkt die erste Kundin. Sie wirkt skeptisch. »Wo finde ich denn Ihre Chefin? Ich würde gerne mit einer Expertin sprechen.« Später hat er noch ein Teammeeting, es sind überwiegend Frauen anwesend. Er bringt eine Idee ein, diese wird direkt verworfen. Eine Kollegin erklärt ihm etwas, was er schon längst weiß. »Du weißt schon, dass du gerade Womansplaining betreibst, oder?«

»Was redest du dir schon wieder ein? Ihr Männer müsst immer direkt emotional werden und überreagieren. Ich will dir doch nur helfen. Beruhig dich.«

Die Frau muss heute im Büro Bewerbungsgespräche führen. Sie fragt die Bewerber:innen, ob diese denn Kinder hätten. Bei den Frauen fällt kein weiterer Kommentar, bei den Männern hakt sie nach: »Wie planen Sie, Kinder und Job miteinander zu vereinbaren?« Später fragen sie ihre Kolleg:innen, ob sie nach der Arbeit noch auf ein Bier mitkommt. Sie verneint, sie muss heute die Tochter von der Mittagsbetreuung abholen. »Ich wünschte, meine Frau würde mir auch so mit den Kindern helfen, bei uns ist das noch Männersache, meine Frau ist da leider traditionell«, äußert ein Kollege.

In der Schule spielt die Tochter in der Pause Fußball mit ihren Freundinnen, die Jungs sitzen am Rand und gucken zu. Einer von ihnen fragt, ob er mitspielen könne. Die Mädchen verneinen, Fußball ist nichts für Jungs.

Der Sohn sitzt im Unterricht. Sein Lehrer mustert ihn. »So etwas Freizügiges kannst du aber nicht in der Schule tragen, man sieht ja deine ganzen Schultern. Damit werden deine weiblichen Lehrerinnen und Mitschülerinnen vom Unterricht abgelenkt. Das geht so nicht, hol dir bitte ein T-Shirt aus dem Sekretariat.«

Am Nachmittag:

Nach der Arbeit geht der Mann einkaufen, er muss sich beeilen. Schließlich muss er auch noch putzen, kochen, den Kindern bei den Hausaufgaben helfen.

Die Frau holt die Tochter von der Mittagsbetreuung ab. Sie weint. Ein paar andere Mädchen haben sie geärgert. »Mädchen weinen nicht. Hör auf damit.«

Der Sohn verabredet sich für den Abend mit einem Freund.

Am Abend:

Der Vater kocht. Die Mutter sitzt mit einem Feierabendbier vorm Fernseher. Das Essen ist fertig. Die Familie isst gemeinsam. Die Frau beschwert sich über alles Mögliche, der Mann nickt verständnisvoll.  Als er etwas einwirft, verdreht sie die Augen und tauscht einen wissenden Blick mit den Kindern aus, sie grinsen. Er hat wohl wieder etwas Dummes gesagt. Der Sohn sagt, dass er sich gleich noch mit einem Freund treffen würde. Er muss nicht abgeholt werden, er kann laufen. Es ist Freitag, er soll spätestens um Mitternacht zuhause sein.

Nachts:

Der Sohn macht sich auf den Heimweg. Sein Puls geht hoch, er dreht sich immer wieder um. Es ist dunkel. Er hält seinen Schlüssel fest in der Faust, redet sich ein, sich verteidigen zu können. Trotz Wärme hat er sich einen Pulli übergezogen, das ist sicherer. Ihm kommt eine Frau entgegen. »Hey! Du siehst gut aus, hast du eine Freundin? Gib mir deine Nummer. Na komm, wieso denn nicht? Hast du Angst? Ist doch nur ein Kompliment, was stellst du dich so an?« Sein eigentliches Selbstbewusstsein fühlt sich plötzlich dünn an, er hat Angst. Er gibt ihr seine Nummer, wer weiß, wie sie auf ein »Nein« reagieren würde.

Fühlt sich komisch an, oder? Stell dir vor das wäre Realität, denn für  viele ist es genau das. Nur andersherum. Ich wünsche mir, dass unser Alltag irgendwann nicht mehr vom Geschlecht bestimmt wird.


Titelbild © Nicolas Neumüller

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