Zuhause auf Zeit

Zwischen Umzugskisten, neuen Gesichtern und flüchtigen Umarmungen versucht ein Kind, ein Gefühl von zu Hause zu finden. Ein leiser Text über das ständige Neuanfangen und das stille Hoffen – das Gefühl, nirgends wirklich anzukommen, nur Stationen, keine Beständigkeit.
von Sophie Stigler
Ein neues Wochenende. Wieder Sachen packen. Wieder durch die Stadt laufen.
Wieder auspacken. Wieder warten. Wieder einpacken. Wieder zurück.
Jede Woche. Wieder packen. Dann auspacken. Packen. Auspacken.
Neue Wohnung. Neuer Geruch. Neues Zimmer. Neuer Weg zur Schule.
Alles neu, und doch so vertraut.
Immer wieder zurück. Immer wieder gehen. Immer wieder neu.
Neue Gesichter sehen. Wieder lächeln. Hand schütteln. Nett sein. Unvoreingenommen sein.
Dann immer wieder nett sein. Immer wieder lächeln. Aus dem Handdruck wird eine Umarmung. Zum Geburtstag. Zu Weihnachten.
Sich wieder binden. Sich öffnen. Erinnerungen schaffen. Momente teilen. Über Schwierigkeiten reden.
Dann nochmal packen. Diesmal alles. Diesmal Kisten mit Erinnerungen. Fotos. Bücher. Alte Briefe. Ein Brief, den man längst vergessen hat.
Eine Notiz auf der Rückseite. „Hab dich lieb“. Wegpacken. Nicht lesen. Nicht jetzt.
Möbel abbauen. Woanders wieder aufbauen. Auspacken. Dekorieren. Sich neu einrichten. Sich neu zu Hause fühlen.
Hoffen, dass es diesmal bleibt.
Hoffen, dass diesmal Ruhe einkehrt.
Dann wieder ein neues Wochenende.
Wieder packen. Diesmal mit dem Auto in die Stadt gefahren werden. Wieder auspacken. Warten. Wieder einpacken. Abgeholt werden. Zurück nach Hause.
Ist das Zuhause?
Dann wieder Alltag. Wieder lachen. Wieder weinen. Wieder freuen.
Wieder packen. Auspacken.
Dann Streit.
Schreie.
Schweigen.
Autoreifen.
Motor.
Und weg.
Tränen. Trösten.
Immer wieder.
Schreie. Stille. Auto. Und weg.
Trennung.
Einpacken. Diesmal schneller. Diesmal nicht mehr so viele Kisten. Weniger Bücher. Weniger Erinnerungen. Abbauen und woanders wieder aufbauen.
Wann endlich ankommen?
Und wieder alles neu.
Neues Zimmer. Neues Bett.
Neue Nachbarn.
Neuer Weg zum Supermarkt.
Wieder einrichten. Wieder lächeln.
Wieder hoffen.
Was ist zu Hause?
Wieder einpacken. Wieder auspacken.
Wieder neu. Wieder anders.
Immer wieder.
Immer wieder anders. Immer wieder hoffen.
Vielleicht ist es das. Immer wieder hoffen.
Titelbild: © Olivia Rabe
Studentin der Politikwissenschaft, Vergl. Kulturwissenschaft und Kollektivwissenschaft