Ein Glanz, der trügt

Das Musical »Merrily we roll along« feiert am Theater Regensburg seine deutschsprachige Erstaufführung
von Anne Nothtroff
Nach dem Erfolg mit The Rocky Horror Show widmet sich Intendant Sebastian Ritschel erneut dem Musical-Genre – diesmal jedoch mit einer deutschsprachigen Erstaufführung: Merrily We Roll Along, ein Werk des gefeierten Broadway-Komponisten Stephen Sondheim. Und wie der Titel verspricht, rollt die Geschichte – allerdings rückwärts. Der Abend beginnt im schillernden Hollywood-Glamour der 1970er, und endet auf dem Dach eines Studentenwohnheims, wo drei junge Menschen noch nichts als Träume haben.
Mit dramatischem Pathos eröffnet die Ouvertüre den Abend, doch die Musik ebbt schnell ab – der Vorhang hebt sich leise, fast zart. Schnell wird das Publikum in die Welt des erfolgreichen Songwriters und Produzenten Franklin Shepard (Andreas Bieber) gezogen. Glanz, Ruhm, Partys – Franklin scheint einer der gefragtesten Köpfe der Branche zu sein. Doch schon bald wird klar: Hinter der funkelnden Fassade verbirgt sich ein einsamer Mensch. Beruflich auf dem Höhepunkt, privat längst entgleist.
Das Ensemble bringt diesen inneren Zerfall pointiert auf den Punkt: »Wie ist das alles passiert? « und »Wie konnte sich ein Leben so drehen?« – diese Fragen durchziehen das Stück wie ein Refrain. Spätestens als Mary (Friederike Bauer), Franklins Jugendfreundin, betrunken auf der Bühne steht und sagt, sie würde selbst in tiefstem Elend nicht mit Franklin tauschen wollen, ist klar: Die Entfremdung hat begonnen.

Die Entscheidung, die Handlung rückwärts zu erzählen, ist dramaturgisch reizvoll, aber nicht ohne Schwächen. Zwar bringt sie interessante Perspektivwechsel mit sich, doch leidet darunter die Spannung. Weil das Ende – oder besser: der Anfang – von Beginn an bekannt ist, fehlt es über weite Strecken an Überraschung und Sog. Man sieht dem tragischen Auseinanderdriften der Freundschaft eher analytisch zu, als wirklich mitzufiebern. Jedoch besonders berührend: Die Szene, in der sich Franklin sich von seinen Freunden entfernt, um sich seiner späteren Geliebten Gussie (Fabiana Locke) zuzuwenden. Er verschwindet mit ihr in ein Nebenzimmer und lässt nicht nur seine Freunde, sondern auch sein Klavier zurück. Am Ende der Szene bleibt das Klavier nicht nur physisch, sondern auch symbolisch allein auf der Bühne zurück. Auch das Komponieren gerät in Franklins Leben in den Hintergrund: Die Kunst bleibt allein zurück, während Franklin dem Ruhm folgt.
Hinzu kommt, dass Franklin in der ersten Hälfte sehr distanziert und emotional verschlossen gespielt wird. Andreas Bieber verleiht seiner Figur zwar die nötige Bühnenpräsenz, bleibt dabei aber oft kühl und unnahbar – ein Effekt, der sich durch das rückläufige Erzählen zwar teilweise erklärt, die Identifikation mit der Figur aber erschwert. Auch choreografisch lässt die Inszenierung zunächst auf sich warten: Die erste Tanzszene erfolgt erst am Ende des ersten Aktes – und kommt damit überraschend spät für ein Musical.

Je weiter die Zeit zurückgedreht wird, desto lebendiger wird das Stück. Die zweite Hälfte lässt das Publikum miterleben, wie Franklin, Mary und der dritte im Bunde – Charley (mit Felix Rabas hervorragend besetzt) – erste gemeinsamen beruflichen Erfolge feiern, hemmungslos, euphorisch, mit jugendlichem Idealismus. Man taucht mit ihm ein in Szenen seiner ersten Ehe, die nicht nur für das freundschaftlicher Dreiergespann wichtig ist. Das große Finale – das chronologisch gesehen der Anfang ist – birgt eine intensive, fast intime Szene auf dem Dach eines Studierendenwohnheims: Drei junge Menschen mit großen Träumen, voller Selbstzweifel, aber volle Naivität und der Annahme man wisse schon wie man richtig mit Erfolg umgehe. Es ist einer der stärksten Momente des Abends – ehrlich, leise und voller Hoffnung.
Sondheims Kompositionen sind komplex, oft verschachtelt und in ihrer englischen Originalfassung für ihre Wortgewandtheit bekannt. Die deutsche Übersetzung von Sabine Ruflair und Jana Mischke bemüht sich um Eingängigkeit, bleibt jedoch stellenweise blass und wie für Sondheim typisch, ohne Mitsing-Charakter. Die Partitur ist jazzig und so dirigiert Andreas Kowalewitz durch einen nahezu dreistündigen Abend mit musikalischem Groove und Bigband-Charakter.
Merrily We Roll Along erzählt von Sondheims eigener Lebensrealität, von den Brüchen, die mit Erfolg kommen – eine Erkenntnis, die alles andere als neu ist, aber in der Regensburger Inszenierung durchaus berührend umgesetzt wird. Ein Musical, das seine stärksten Momente dann entfaltet, wenn es nicht laut, sondern leise wird. So wird nicht nur die Premiere, sondern auch die zweite Folgevorstellung mit Standing-Ovations gefeiert.
Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (Theater Regensburg – Merrily We Roll Along)
Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht.
Titelbild: Andreas Bieber & Ensemble © Marie Liebig