Mitreden im Seminar – wie Man(n) den Mund aufkriegt

Mitreden im Seminar – wie Man(n) den Mund aufkriegt
In vielen Uni-Seminaren wiederholt sich Woche für Woche dasselbe Muster: Einige Studierende melden sich oft und selbstbewusst zu Wort, andere zögern, warten ab oder halten sich zurück. Doch diese Muster verlaufen nicht zufällig: Geschlecht spielt eine Rolle.

von Carlotta Wortmann

In Diskussionen (nicht nur in der Uni, sondern auch im Arbeitskontext) sprechen häufiger männlich gelesene Personen, oft ohne es vorher lange abzuwägen. Weiblich gelesene Personen scheinen öfter zu zögern – nicht unbedingt, weil sie weniger beizutragen hätten, sondern auch weil sie gelernt haben, sich zurückzunehmen.

Sozialisierung zur Zurückhaltung

Diese Unterschiede sind keine Frage individueller Schüchternheit, sondern gesellschaftlicher Prägung. Von Geburt an wird Mädchen oft vermittelt: » Sei nicht zu laut. Unterbrich nicht. Sei höflich und verständnisvoll. Handle team- und harmonierorientiert! «

Dagegen werden Jungen häufiger dazu ermutigt, sich durchzusetzen, ihre Meinung lautstark zu vertreten und wettbewerbsstark zu sein. Die Auswirkungen dieser Unterschiede in der Sozialisierung ziehen sich bis in die Universität und weit darüber hinaus. Ist ja klar: Wer früh gelernt hat, dass Auftreten belohnt wird, traut sich dies später auch öfter.

Im Seminar äußert sich das in Form von mehr Redebeiträgen und mehr Selbstsicherheit – oft unabhängig davon, ob der Inhalt tatsächlich durchdachter ist.

Angst davor, für dumm gehalten zu werden

Eine Studie der Arizona State University zeigt, dass jungen Studentinnen eher das Selbstbewusstsein fehlt, über das ihre männlichen Kommilitonen offenbar verfügen. Frauen schätzen nämlich ihre Intelligenz im Durchschnitt niedriger ein als Männer, selbst wenn man Männer und Frauen miteinander vergleicht, deren Notendurchschnitt gleich ist. Statistisch gesehen halten sich zudem Männer häufiger für intelligenter als ihre Mitstudierenden.

Leise=Schwach, Laut=Unangenehm

Doch selbst wenn eine Frau selbstbewusst auftritt und sich oft zu Wort meldet, wird sie oft als »bossy«, »zickig« oder »unsympathisch« wahrgenommen, wohingegen Männer für ein dominantes Auftreten eher respektiert werden. Frauen in der Öffentlichkeit erleben nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Kritik, Abwertung oder das Gefühl, sich besonders rechtfertigen zu müssen. Die Angst »zu viel« zu sein – zu laut, zu meinungsstark, zu präsent – sitzt oft tief.

Zwischen Anspruch und Realität

Viele strukturelle Ungleichheiten sind heute theoretisch bekannt. Und doch bestehen sie in der Praxis fort. Die Unsicherheit, sich in einem vollen Seminarraum zu Wort zu melden ist kein individuelles Problem, sondern ein kollektives Symptom.

Nicht jede Frau bleibt leise, nicht jede männlich gelesene Person dominiert in Diskussionen. Doch die Tendenz ist deutlich – und sie ist häufig beobachtbar. Sie zeigt sich in der Uni, in der Politik, in Unternehmen und in Redaktionen.

Sichtbar sein ist kein Ego-Trip

Sich zu melden, aufzustehen, das Wort zu ergreifen – all das ist nicht selbstverständlich. Gerade für Frauen bedeutet es oft, sich gegen erlernte Zurückhaltung zu stellen. Es bedeutet, Erwartungen zu brechen. Es bedeutet, sich angreifbar und sichtbar zu machen.

Doch genau darin liegt eine politische Kraft, denn Sichtbarkeit ist kein Ego-Trip. Gleichberechtigung heißt nicht nur Möglichkeiten zu haben, sondern auch gehört zu werden. Der Weg dorthin ist nicht individuell lösbar. Er beginnt mit strukturellem Bewusstsein – und mit Solidarität. Wer anderen Raum schafft, wer unterbricht, um Platz zu machen, wer darauf achtet, wessen Stimme fehlt, verändert etwas.

Nicht jede*r muss immer sprechen. Aber alle sollten es können. Ohne Angst. Ohne Schranken. Ohne Entschuldigung.


Titelbild © Olivia Rabe

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Studentin der Politikwissenschaft, Medienwissenschaft und Vergl. Kulturwissenschaft

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