»Rechtes Land« – eine Ausstellung über rechte Gewalt in Deutschland

Was haben eine Parkbank, eine Autobahn, ein Wohnhaus und ein Hockeyplatz gemeinsam? Sie sind alle Schauplätze rechter Gewalt. Seit der Wiedervereinigung lassen sich 219 Todesopfer durch rechte Gewalt zählen, dabei soll die Dunkelziffer weitaus höher sein. Viele Menschen schauen weg, Julius Schien nicht. Als Fotograf hat er mit seinem Projekt »Rechtes Land« einen Weg gefunden, dem Thema mehr Sichtbarkeit zu schaffen.
Titelbild © Olivia Rabe
von Mia Fritzsche und Olivia Rabe
Vernissage im M26 Regensburg
Sein Fotoprojekt zeigte er erstmals am 31. Mai um 19 Uhr dem Regensburger Publikum im M26. Nach Eröffnungsreden auf Seiten des M26 und des Fotografen selbst, durfte jede:r die Ausstellung erkunden. Die Exposition ist sehr minimalistich gehalten. Der Fokus liegt auf den Aufnahmen, die in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind. Auf den ersten Blick erscheinen die menschenleeren Bilder wie unscheinbare Stillleben des Alltags.
Das für die Besucher:innen beigefügte Booklet bietet Kontext: Es zeigt die Tatvorgänge der rechtsextremen Verbrechen auf. Auf einer Deutschlandkarte an der Wand sind die Schauplätze der Gewalt markiert. Ein gemeinsamer Nenner der Karte, des Booklets und der Fotografien sind die Kennnummern, die den Daten der Morde entsprechen. Nach und nach gehen die Besucher:innen mit dem kleinen Heftchen durch die Bilderreihen und ins Gespräch mit Julius Schien. Ein Ausstellungsgästebuch steht den Anwesenden zur Verfügung.
Hinter die Idylle schauen – Wenn das Umfeld zum Tatort wird
»Zwei Tage lang ringt Enver Ş. mit dem Tod. Eine Kugel durchschlägt seinen Arm, eine andere trifft seine Brust. Fünfmal treffen die Täter seinen Kopf, ein achtes Geschoss streift seinen Ellenbogen. Vier Projektile bleiben im Schädel des Opfers stecken. Die Täter schießen mit zwei Pistolen auf ihn. Er hat keine Chance. Enver Ş. kommt nicht mehr zu Bewusstsein. Am 11. September 2000 um 12 Uhr stellen die Ärzte den Tod fest. Er wird 38 Jahre alt. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth leitet Ermittlungen wegen Mordes ein. Es ist der Beginn einer der aufwendigsten und bizarrsten Ermittlungen in der Kriminalgeschichte der Bundesrepublik. Zwischen September 2000 und April 2006 werden neun weitere Menschen mit der gleichen Waffe ermordet. Die Täter werden erst im November 2011 ermittelt, als man sie in einem ausgebrannten Wohnmobil mit der Waffe findet. Enver Ş. ist das erste Opfer der terroristischen Neonazivereinigung »Nationalsozialistischer Untergrund«.
https://www.rechtes-land.de
Diesen und weiteren Fällen ist Julius Schien nachgegangen, hat sich in die Akten eingelesen und sie für sein Projekt Rechtes Land visualisiert. Die zunächst nach Schnappschüssen aussehenden Fotos sind Resultat tagelanger Vorarbeit und Abwartens von richtigen Lichtverhältnissen, bis er sie mit seiner Analogkamera festhält. Die Bilder sind frei von jeglicher Assoziation. Kein Zeichen von Menschen oder bewegten Objekten. Kein Hinweis auf eine zeitliche Einordnung. Keine Ablenkung vom Wesentlichen. Schien schafft damit einen wertfreien Raum. Sie sind Produkt einer reinen Dokumentation des Tatortes.
Das rassistische Attentat in Hanau und das antisemitische Attentat in Halle waren ausschlaggebend für seine Idee. Hinzu kommt der stetig steigende Rechtsruck in Deutschland und der damit Hand in Hand gehende Umgang mit Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft. All das führt vor vier Jahren zum Beginn seiner Fotodokumentation.





Bilder © Olivia Rabe
Was im Alltag verborgen bleibt, darf niemals vergessen werden
Zu sehen ist ein gewöhnlicher Waldweg. Ein Weg den jede:r von uns täglich entlang gehen könnte ohne Hintergedanken, ohne dem Ganzen eine tiefere Bedeutung zu geben. Ein Gang durch die Galerie hat ebenso etwas Gewöhnliches an sich, bis der Inhalt einen neuen Blinkwinkel offenbart. In diesem Fall führt der Weg von Bild zu Bild dazu, dass die eigene Wahrnehmung des alltäglichen Lebens verändert wird. Das Zusammenspiel aus der Deutschlandkarte, dem Büchlein und den Fotografien führt beim Durchgehen zu einer Entwicklung der eigenen Emotionen und der Realisation, dass rechte Gewalt allgegenwärtig ist. Rechte Gewalt hat nie aufgehört, die Gesellschaft hat nur aufgehört hinzusehen. g
Viele schaffen die Ausstellung nicht in einem Durchgang. Die Schwere der Tatsachen und die Nähe zum eignen Leben fordern Pausen zum Verarbeiten und Durchatmen ein. Julius Schien will die Schicksale hinter den Statistiken wieder in den Vordergrund stellen und damit Bewusstsein schaffen sein eigenes Umfeld zu analysieren und rechte Strukturen im Alltag zu erkennen. Es ist ihm gelungen. Diese Konfrontation ist hart, aber wichtig, spätestens nach der Ausstellung sollte man die Augen nicht mehr verschließen.
Die Ausstellung kann noch bis zum 15. Juni im M26 (Maximilianstraße 26) angesehen werden. Am 14. Juni um 19 Uhr gibt es noch die Möglichkeit mit dem Fotografen Julius Schien ins Gespräch zu kommen.