Klo-Kunst-Krimi: »(K)ein Raum für alle?«

Vom 15. bis 18. Mai zeigte der Neue Kunstverein mit der Ausstellung »(K)ein Raum für alle« die Lebensgeschichten von Menschen deren Leben von Obdachlosigkeit und einer Suchterkrankung geprägt ist. Weiteres Thema war die Problematisierung »defensiver Infrastruktur«. Ein Kommentar von Rafael Fischer.
von Rafael Fischer
Mit der Beschreibung öffentlicher Architektur als »defensive Infrastruktur« sind »bauliche Maßnahmen, die den öffentlichen Raum gegen unerwünschte Nutzer, Tiere und Aktivitäten schützen sollen« gemeint, erklärt die rote Aufschrift an der Glasfassade des Kunstvereins. Dazu zählt in Regensburg unter anderem die öffentliche Toilette am Schwanenplatz. Keine 50 Meter von der Ausstellung entfernt bildet das Klo einen zentralen Bezugspunkt zu der Ausstellung, denn hier spielt sich seit Sommer 2023 ein kleiner Klo-Kunst-Klau-Krimi ab.
Was wurde gestohlen? Abhängig davon, um wessen Perspektive man sich bemüht, wird man unterschiedlicher Auffassung sein. Zur Rekonstruktion blicken wir zurück ins Jahr 2022. Vor drei Jahren wird das Toilettenhäuschen eröffnet. Stolze 890 000 Euro hat der Bau gekostet und nennt sich mitsamt behindertengerechter Toilette sogar »Toilette für alle«. Entgegen dem Wunsch der Stadtverwaltung nutzen jedoch obdachlose Menschen die überdachte Bank innerhalb des Vorraums als Schlafplatz. So verschwand die Bank im August des darauffolgenden Jahres. Die Stadt gab diesen Aufenthalt von obdachlosen Menschen sowie die Nutzung der Bank als »Stützpunkt zur Fütterung von Tauben« als Grund für die Demontage an. Weiter beanstandete die Stadt ein Müll- und Schmutzproblem rund um den Wartebereich des Vorraums. Auch zu Bedrängnissen und Beschimpfungen gegen Mitarbeiter:innen der Stadt sowie Besucher:innen der WC-Anlage soll es gekommen sein. Als Konsequenz kam es zu Polizeieinsätzen und für die Stadt entstanden bei Reinigungen Mehrkosten von 400 Euro pro Einsatz.
Protest gegen die Maßnahme der Stadt ließ nicht lange auf sich warten. Unter anderem schmückten Anklagen auf Pappkartons, Transparente und gekleisterte Zettel die Fassade der Toilette. Ein Pappkarton in Verbindung mit mehreren Grablichtern prangerte an: »Hier liegt das letzte bisschen Menschlichkeit begraben«, und weiter »SPD gönnt Obdachlosen nicht mal ne Holzbank«. Unterschiedliche Gruppen gaben ihre Ablehnung auch in Form neuer Sitz- und Liegemöglichkeiten kund. Neue Bänke kamen und gingen, die ungenehmigten Interventionen wurden stets von der Stadt entfernt. Bis die Stadt dem Treiben ein Ende setzen wollte und den offiziellen Ersatz installierte. Acht eiserne Stühle teils in schrägen Winkel zueinander kürten nun den Wartebereich des Klohäuschens.
Doch auch dieses Arrangement blieb von den Aktivist:innen nicht unkommentiert. In einer weiteren nächtlichen Aktion griff die Gruppe Fußabdrücke ein und schraubte die Stühle ab, mit dem erklärten Ziel, sie zu einer Bank umzugestalten. Der zweite Schritt der Intervention scheiterte jedoch. Die Polizei schritt ein, bevor die neue Bank-Formation Gestalt annehmen konnte. Zwar stellte die Aktion keinen handfesten Diebstahl dar, da die Aktivist:innen die Stühle nicht behalten, sondern lediglich umfunktionieren wollten, markierte sie jedoch einen Höhepunkt des Krimis.
Keine reine Repräsentation des Problems
Die Ausstellung vermittelte eine kritische Perspektive auf den Umgang der Stadt mit dem öffentlichen Raum. Vorsicht Interpretation: Sie problematisierte einen Diebstahl der Stadt an der freien Verfügung ihrer Infrastruktur für die Öffentlichkeit.
Zwei Räume des Neuen Kunstvereins wurden dafür thematisch aufgeteilt. Im ersten Raum gestaltete die bereits erwähnte Aktivist:innen-Gruppe Fußabdrücke, einen Pfad aus Bildern, an dem die Interventionen um das öffentliche Klo dokumentiert wurden. Neben den mal mehr, mal weniger kreativen Klebe- und Graffiti-Aktionen am Klohäuschen wurde hier der »Bauplan Stuhl-Bank« vorgestellt. In diesem wurde die geplante Umfunktionierung der bunten Stühle des Wartebereichs aufgezeigt, die stattgefunden hätte, wenn die Polizei nicht aufgetaucht wäre. An der gegenüberliegenden Wand fand eine Presseschau statt. Die ausgedruckten Artikel stellten eine Auswahl von über 70 regionalen und überregionalen Presseartikeln dar, die über das stille Örtchen am Schwanenplatz publiziert wurden. Ein Bewegungsmelder warnte Besucher:innen davor, auf der Fensterbank des Raums Platz zu nehmen – nicht aus Sicherheitsgründen, sondern als Teil einer kritischen Installation. Wer sich dennoch setzte, wurde von einer Stimme darauf hingewiesen, dass die »Nutzungszeit« abgelaufen sei. Die Installation machte auf eindrucksvolle Weise deutlich, wie digitale Technologien zur Durchsetzung defensiver Architektur eingesetzt werden können. Zugleich thematisierte sie in übertriebener Weise eine scheinbare Willkür, mit der der Zugang zu öffentlicher Infrastruktur eingeschränkt wird.
Im zweiten Ausstellungsraum kuratierte der Streetwork-Verein drugstop eine fotografische Serie, die die Lebensrealitäten obdachloser und oder suchterkrankter Menschen sichtbar machte. Gezeigt wurden Aufnahmen, die den öffentlichen Raum als unfreiwilligen Drogenkonsumort dokumentieren. Weitere Bilder zeigten Schlafplätze unter Brücken oder in verlassenen Gebäuden. Ergänzt wurde die nüchterne Bildreihe durch eine zweite Serie. Hier wurde Betroffenen analoge Einwegkameras gegeben, um Ausschnitte ihres Alltags festzuhalten. Entstanden ist ein für den Betrachter unverstellter Einblick; die Betroffenen als Urheber der Bilder konnten selbst bestimmen, welche Teile ihres Lebens relevant für die Öffentlichkeit sein sollen.
In den Räumen wurden so die Bedingungen eines Lebens am Rande des Hilfesystems veranschaulicht. Zusätzlich wurde der Diskurs um den öffentlichen Raum dargestellt, durch die Presseschau, sowie die Politik, symbolisiert durch die Entscheidungen der Stadt rund um die Bank nachgezeichnet. Die Ausstellung lässt sich auch als Wendepunkt lesen: Inzwischen wurde an der Toilette wieder eine Bank installiert. Nach der langen Auseinandersetzung konnten die Aktivist:innen damit einen Teilerfolg verbuchen. Die gezeigten Interventionen bleiben also nicht bei einer bloßen Darstellung des Problems stehen, sondern sie sind Teil eines aktiven Widerstands gegen Ausschlussmechanismen und wirken konkret in die Gestaltung des Stadtraums ein.
Quelle: https://www.regensburg-digital.de/tauben-und-obdachlose-sollen-weg-bank-bei-regensburgs-luxusklo-abgeschraubt/25082023/; zuletzt aufgerufen am 26.05.2025