GroKo auf Therapieplatzsuche

GroKo auf Therapieplatzsuche
Vor der Wahl machten sich nur vereinzelt Menschen Sorgen darüber, was die zukünftige Regierung bezüglich Psychotherapie plant. Heute kennen wir die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen. Im Folgenden ein kurzer Überblick dazu, was man alles über die Pläne der GroKo wissen sollte: Wird es in Zukunft noch schwerer für Behandelnde und Therapieplatzsuchende?

Von Sina Popp

»[Wir] stellen die Weiterbildungsfinanzierung in der Psychotherapie sicher« (Z. 3558)

Eine große Sorge vieler Menschen in Deutschland ist es, keinen Therapieplatz zu finden. Damit möglichst viele davon endlich eine ortsansässige Behandlung erhalten, braucht es mehr vollausgebildete Psychotherapeut:innen, das ist klar. Mit der Reform 2019 wurde die teure Ausbildung nach dem Studium durch eine vergütete Weiterbildung ersetzt. Diese wurde aus verschiedenen Gründen bis jetzt jedoch kaum in die Realität umgesetzt, sodass viele Studierende nach ihrem Abschluss nicht weiterkommen. Für die Sicherstellung dieser Weiterbildung gab es in den letzten Jahren einige Demonstrationen.

Leider steht im Koalitionsvertrag dazu nur dieser eine Halbsatz. Wie genau die komplexe Situation sowohl finanziell, als auch organisatorisch gelöst werden soll, davon wird nicht gesprochen. Neue Psychotherapeut:innen auf den Weg zu bringen scheint erstmal keine große Priorität für Union und SPD zu sein. Die Ansprüche an psychologische Leistungen sind dagegen gewachsen:

»Für gutes Aufwachsen und Chancengerechtigkeit für alle Kinder in Deutschland werden wir die verpflichtende Teilnahme aller Vierjährigen an einer flächendeckenden, mit den Ländern vereinbarten Diagnostik des Sprach- und Entwicklungsstands einführen.« (Z. 3111)

Die Idee: Viele Kinder fühlen sich schon in der Grundschule aus verschieden Gründen abgehängt. Mal sind die Deutschkenntnisse nicht gut genug um dem Unterricht zu folgen, zuhause gibt es niemanden der mit den Hausaufgaben hilft oder andere Umstände erschweren es zu lernen. Um solche Schwierigkeiten zu erkennen, sollen alle Vierjährigen eine umfassende Diagnostik ihres Sprach- und Entwicklungsstands erhalten. Eine solche Prozedur kann jedoch nicht jede:r mit Kindern durchführen: Auch dafür bedarf es hauptsächlich Psycholog:innen. Wie sollen diese aber die Kapazitäten für eine im besten Fall ausführliche Diagnostik des Sprach- und Entwicklungsstandes jedes vierjährigen Kindes in Deutschland aufbringen? Auch das wird im Koalitionsvertrag nicht erläutert.

Diagnose – und jetzt?

Auch eine Frage die man hier stellen sollte: Was passiert dann überhaupt mit den Informationen aus der Diagnostik? Schon heute können viele Kinder mit bekannten Schwierigkeiten nicht genug gefördert und inkludiert werden. Man hat dann einen Namen, eine Diagnose für das Kind im Brunnen, aber herausholen kann man es meistens trotzdem nicht. Es fehlt an Personal und Infrastruktur. Ein Ansatz Ressourcen im Gesundheitswesen allgemein besser zu verteilen, ist die Einführung einer Überweisungspflicht.

 »Zu einer möglichst zielgerichteten Versorgung der Patientinnen und Patienten und für eine schnellere Terminvergabe setzen wir auf ein verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte in der Hausarztzentrierten Versorgung und im Kollektivvertrag« (Z. 3379)

Hier liegt ein guter Gedanke zugrunde: Fachartpraxen sind überlastet und Patient:innen warten ewig auf einen Termin. Um hier Erleichterung zu verschaffen und vor allem Kosten zu sparen will man gezielter verteilen: Das Anliegen wird zuerst bei dem Hausarzt oder der Hausärztin vorgetragen und diese:r überweist einen dann an die passende Fachperson.

»Ausnahmen gelten bei der Augenheilkunde und der Gynäkologie« (Z. 3381)

Generell ist diese Regelung momentan noch sehr unklar. Psycholog:innen werden nie explizit erwähnt, weder im Koalitionsvertrag, noch im Konzeptpapier der Bundesärztekammer (BÄK). Sie werden aber auch nicht ausgeschlossen.

 »Erhalt des Erstzugangsrechts zur Psychotherapie – Veränderung der Koalitionsvereinbarung jetzt!« (Tania Ghosh)

Bei dieser Petition von Tania Ghosh haben bereits fast 90.000 Menschen unterschrieben. Sie warnt darin davor, dass ein weiterer Pflichttermin und damit noch längere Wartezeiten für einen Therapieplatz, zu einer Chronifizierung von Symptomen führen könnten. Spezifizierungen im Koalitionsvertrag und im Konzeptpapier zeigen, dass das aber nicht unbedingt so sein muss. So soll z.B. auch weiterhin die Zuweisung an Fachärzte und Fachärztinnen mittels der 116117 möglich sein, als auch eine Ersteinschätzung per Videokonsultation oder als Selbsteinschätzung per App. Die Therapieplatzsuche könnte so vielleicht sogar einfacher werden.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, der bei der Einordnung der Thematik berücksichtigt werden sollte. Es war noch nicht immer so, dass Psychotherapeut:innen unabhängig von Ärtz:innen praktizieren dürfen. Erst seit dem Psychotherapeuten Gesetz 1999 dürfen sie komplett selbstverantwortlich praktizieren. Diese erneute Anbindung von Therapie an ein vorheriges ärztliches Urteil, gefährde diese Freiheit, argumentieren deshalb Fachpersonen.

Was bleibt, ist Unsicherheit

Was Union und SPD in Sachen psychologischer Versorgung mit Deutschland genau vorhaben und welche praktischen Folgen das haben wird, ist also noch nicht ganz klar. Manche spekulieren sogar, dass es nur ein Versehen war, Psychotherapie nicht wie Gynäkologie und Augenheilkunde aus der neuen Regelung auszuschließen. An einer Stelle wird man aufgefordert, und an anderer Stelle nicht mal erwähnt. Viele der genannten Punkte werden aber noch viel diskutiert und es kann und wird sich noch viel ändern.

Was von dieser Momentaufnahme hängen bleibt: Besonders differenziert scheint sich die neue Regierung nicht mit dem auf uns zu rollenden Versorgungsnotstand befasst zu haben. Hoffentlich sind die Verantwortlichen nicht selbst bald wegen Burnout auf Therapieplatzsuche.


Beitragsbild: ©Dylan Johannson

Zum Koalitionsvertrag: Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD

Petition: Petition · Erhalt des Erstzugangsrechts zur Psychotherapie – Veränderung der Koalitionsvereinbarung jetzt! · innn.it

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