Auf Männer pfeifen: Alltagssexismus gegen Schiedsrichterinnen im Fußball

Auf Männer pfeifen: Alltagssexismus gegen Schiedsrichterinnen im Fußball
Denen, die gelegentlich die deutsche Medienlandschaft verfolgen, mag in den letzten Jahren aufgefallen sein: Der Frauenfußball hat es tatsächlich in die öffentliche Wahrnehmung geschafft. Auch wenn die Berichterstattung kaum über Großevents hinausgeht, so ist dies doch immerhin als kleiner Schritt zu verzeichnen. Wie aber steht es um jene, die nicht spielen, sondern pfeifen?

von Leonore Franz

Triggerwarnung: Der Artikel enthält Beschreibungen und explizite Zitate verbaler, sexualisierter Gewalt.

In den drei Bundesligen der Männer muss man lange suchen, bis man sie findet – die eine Frau unter den Schiedsrichter:innen: Fabienne Michel. Michel pfeift mittlerweile die zweite Saison in Folge in der 3. Bundesliga. Als Frau war nicht nur ihr Weg hierhin deutlich schwerer als für ihre männlichen Kollegen, sondern auch ihr Berufsalltag jetzt. Dies zeigte der jüngste Vorfall bei einem Spiel am 28. März diesen Jahres: Michel unterlief ein Fehler und die Reaktion der Fans von Rot-Weiß-Essen (RWE) ließ nicht lange auf sich warten. Statt »Schieber, Schieber«, eine im Fußball übliche Bezeichnung gegenüber unliebsamen Schiedsrichter:innen, tönte es von den Rängen »Hure, Hure«. Während die Fans daraufhin lauthals ihre Vergewaltigungsfantasien grölten, blieb es ansonsten still – während dem Spiel und danach. Weder die Spielkommentation noch die Schiedsrichter:innen- und Fanbeauftragten meldeten sich zu Wort. Auch danach blieben Solidaritätsbekundigungen durch Spieler:innen, andere Fußballclubs oder Fans erstmal aus – der hierfür zuständige Deutsche Fußball-Bund (DFB) rührte sich zunächst gar nicht. Lediglich die Westdeutsche Allgemeine Zeitung sprach in einem Spielbericht von »vereinzelten sexistischen Gesängen«, statt den Vorfall als das zu benennen, was er ist – verbale, sexualisierte Gewalt und damit ein grundlegendes Problem des deutschen Fußballs.

Gewalt und Sexismus als Teil der deutschen Fußballkultur

Aggressive Beleidigungen und verbale Gewalt gegenüber Schiedsrichter:innen gehören im deutschen Fußball generell zur Tagesordnung. Schiedsrichter:in zu sein ist darüber hinaus insbesondere aber nicht nur im Amateur:innenbereich, wo es an Schutzkonzepten mangelt, gefährlich. So nahmen physische Übergriffe in den letzten Jahren immer mehr zu. Diese Gewaltzunahme lässt sich bei anderen Mannschaftssportarten nicht verzeichnen. Hinzu kommt, dass der deutsche Fußball noch immer so männlich dominiert ist, dass Sexismus alltäglich ist und nicht als solcher erkannt wird. Blickt man zu den Schiedsrichter:innen, so ist der Anteil der Frauen dort generell nicht viel höher als im Profibereich der Männer – in der Saison 2023/24 lag er bei nur 4,57 %. Die wenigen, die es gibt, steigen darüber hinaus deutlich früher als ihre männlichen Kollegen aus. Berichte lassen vermuten, dass dies nicht unwesentlich am tagtäglichen Sexismus, den sie auf und neben dem Spielfeld erleben, liegt. Auch die Gremien und hauptamtlichen Führungsebenen des DFB sind größtenteils männlich besetzt. Der DFB hat sich hier jedoch bis 2027 das Ziel gesetzt, den Anteil von Frauen auf min. 30 % zu erhöhen. Auch die Zahl der Spielerinnen, Trainerinnen und Schiedsrichterinnen soll um min. 25 % gesteigert werden. 2020 erschien zudem ein vom DFB in Auftrag gegebener Forschungsbericht zu Diskriminierungserfahrungen von Schiedsrichterinnen. Umso mehr enttäuscht, dass der DFB beim Verhalten der Essener Fans gegenüber Michel nicht direkt reagierte. Dass insbesondere auch die Szene an sich ein Problem hat, zeigt der zunächst ausbleibende Aufschrei von Medien, Fußballclubs und Fans. Es scheint, Frauen sind dann anerkannt (nicht aber ohne auch hier Sexismus zu erfahren), wenn sie in ihrer eigenen Domäne bleiben – also im Frauenfußball. Sobald sie aber in den Männerbereich vordringen wie Michel in die 3. Bundesliga, offenbart sich der ganze Sexismus. Es bleibt daher die Frage, warum dies in der deutschen Fußballkultur so alltäglich ist. Die Ethnologin Almut Sülzle von der Kompetenzgruppe Fankulturen und Sport bezogene soziale Arbeit meinte in einem Bericht über Sexismus in der Fußballfankultur gegenüber der Sportschau im November 2024, dass bei nicht wenigen männlichen Fußballfans ein stark veraltetes Rollenbild vertreten sei. Der Spieltag werde dann als Freifahrtschein gesehen – ein Tag, an dem man alles dürfe. Dies biete Schutz für Täter:innen. Darüber hinaus fehlt es Stadien meist noch immer an Schutz- und Aufklärungskonzepten bzgl. Sexismus und sexualisierter Gewalt. Wozu das führen kann, hat der Vorfall vom 28. März gezeigt.

Konsequenzen im Fall Fabienne Michel

Im Fall Fabienne Michel wirkten Medien, insbesondere die Sportschau, im Nachgang daraufhin, dass der DFB auf den Fall aufmerksam wurde und RWE in einem Sportgerichtsverfahren zu einer Geldstrafe verurteilte. Michel hat zudem auf zivilrechtlichem Wege Anzeige erstattet. RWE dagegen scheint das Ausmaß des Problems bis heute nicht begriffen zu haben: Erst neun Tage nach dem Spiel entschuldigte sich der Verein öffentlich bei Michel für das Verhalten der Fans und sprach sich gegen Diskriminierung und Sexismus aus, haderte jedoch noch immer damit, das Verhalten der Fans als verbale, sexualisierte Gewalt spezifisch zu benennen. Stattdessen verwies der Verein auf seine Bildungs- und Integrationsprojekte. Bei genauerem Hinsehen fällt jedoch auf, dass diese keinen Sexismus thematisieren, sondern Nachhaltigkeit, Inklusion und Rassismus. Die Auseinandersetzung des Vereins mit dem Vorfall lässt sich daher wohl eher dem öffentlichen Druck, als einem tatsächlichen Problembewusstsein zuschreiben. Es bleibt die Frage, was dieser Vorfall über unsere Gesellschaft an sich aussagt – eine Gesellschaft, die den Erfolg »ihrer Frauen« gern belächelt oder sich teils auf die eigenen Fahnen schreibt, gleichzeitig aber in den Stadien und auf den Fußballplätzen Schutzräume für Täter:innen, statt für Frauen schafft. Dafür reicht es aber nicht, gelegentlich über Frauenfußball zu berichten. Was es braucht, ist eine klare Benennung des Problems und eine Kampfansage an die sexistische Machokultur des Fußballs, um aus ihm das zu schaffen, was er ermöglichen könnte: nämlich einen Sport für alle.


Titelbild © Olivia Rabe

Quellen:

https://www.dfb.de/frauen/frauen-im-fussball

https://www.dw.com/de/gewalt-gegen-amateurschiedsrichter-offenbar-ein-fussball-phaenomen/a-51555396#:~:text=EineDW-Umfrageunterden%20Mannschaftssportarten%20in%20Deutschland%20bringt,nicht%20vor%20oder%20sie%20ist%20die%20absolute%20Ausnahme

https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga3/statement-von-rot-weiss-essen-laesst-fragen-offen,sexismus-schiedsrichterin-102.html

https://www.sportschau.de/fussball/sexismus-gegen-schiedsrichterin-der-aufschrei-bleibt-aus,sexismus-schiedsrichterinnen-100.html

https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga3/dfb-verhaengt-geldstrafe-gegen-rot-weiss-essen,rot-weiss-essen-156.html

https://www.sportschau.de/fussball/bundesliga3/dfb-leitet-nach-sexistischen-rufen-von-rwe-fans-ermittlungen-ein,sexismus-schiedsrichterin-100.html

https://www.sportschau.de/regional/rbb/rbb-sexismus-im-fussball-das-rollenbild-vieler-fangruppen-bietet-einen-schutzraum-fuer-taeter-100.html

Thaya Vester, » So eine Fotze, die sieht doch nichts! « – Eine empirische Annäherung an das Erleben und den Umgang mit persönlichen Diskriminierungen von Schiedsrichterinnen im deutschen Amateurfußball, August 2020, FuG – Zeitschrift für Fußball und Gesellschaft 2 (1-2020)

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