Mit Bettlern lachen

Mit Bettlern lachen
Die inklusive Theatergruppe Kraut und Rüben spielt die Dreigroschenoper und bildet den bitteren Überlebenskampf im Londoner Stadtteil Soho ab – mit so viel Witz und Unfug, dass man aus dem Lachen nicht rauskommt.

von Mia Fritzsche

1837, die Krönung der Königin Victoria steht bevor und zwei Londoner Gauner streiten sich: Der »Bettlerkönig« Peachum gegen Macheath oder Macky-Messer, einen zwielichtigen schmierigen Kriminellen. Als Macky-Messer in einer Nacht- und Nebelaktion Peachums Tochter Polly heiratet entfacht er eine Verfolgungsjagd, in der er früher oder später jede:r jede:n verrät. In der Unterschicht Londons zwischen Polizist:innen, Dieb:innen und Prostituierenden steht das eigene Wohl an erster Stelle. So geben es die Figuren selbst auch zu: »Erst kommt das Fressen, dann die Moral.«, predigt etwa Peachums Frau Celia.

Wenn ein:e Schauspieler:in der Schauspielgruppe Kraut und Rüben diese Zeilen auf der Bühne rezitiert, wie am 30.04. im Aurelium in Lappersdorf, enthält sie jedoch eine ganz andere Nuance als in herkömmlichen Theatern. Es ist nämlich ein inklusives Theater in Kooperation mit der Lebenshilfe Regensburg. Die Lebenshilfe bietet geistig beeinträchtigten Personen betreutes Wohnen, Arbeit, ein Freizeitangebot und Begegnungsmöglichkeiten wie diese.

Von spazierenden Vorhängen und singenden Putzfrauen

Zu der jede:r-gegen-jede:n Stimmung im Stück könnte die Laune im Publikum und auf der Bühne kein größerer Kontrast sein. Ab Minute eins, als ein Schauspieler einen rot bemalten Pappkarton der »Vorhang« liest über die Bühne spaziert, wurde pausenlos gelacht. Neben dem Vorhang grenzt ein kurzes Durchfegen der Putzfrau die einzelnen Szenen voneinander ab.

Der Schauspieler, der die Rolle von Peachum verkörpert, überzeugt das Publikum mit theatralischen Reden über das Wohl seines Bettler-Imperiums und seiner Familie. Zu Beginn präsentiert ihm ein Handlanger drei neue Bettler-Charaktere: Den bierbäuchigen Hungerhaken Markus, Kato Krawall und Padre Pietro. Auf kaputten Krücken machen sie sich bereit dafür, bei der Krönung der Königin die Gutmütigkeit des Volkes auszunutzen. Im Laufhaus von Spelunken-Jenny versteckt sich Macheath vor den Fängen der Polizei und schäkert dort neben zwei charmanten und bunt kostümierten Kurtisanen mit seiner ehemaligen Geliebten Jenny. Letztlich dann doch hinter Gittern, beteuert er seiner ersten Frau Lucy seine Liebe: »Mit dir möchte ich mein Leben verbringen.« – »… o.k.«, antwortet sie schlicht und hilft ihrem Mann aus der Misere. Für die letzte Szene, wenn Macheath vor versammelter Mannschaft seinem Schicksal doch entgegenblickt, haben Brecht und Co-Autorin Elisabeth Hauptmann auch noch ein erzählerisches Ass im Ärmel.

Worüber man nicht lacht, darüber bleibt man unsicher

»[…]so prunkvoll gedacht, wie nur Bettler sie erträumen,« und »doch so billig […] dass Bettler sie bezahlen können.« Bertolt Brecht übernahm diese Beschreibung von seinem Schriftstellerkollegen Lion Feuchtwanger. In diesem Geiste wird das Stück auch inszeniert: Die Kostüme sind mit Pailletten besetzt und die Karten kostenlos.
Kein Prinz macht einer Dame den Hof. Ein Gauner nimmt eine Ganoventochter zur Frau: »Da gibt es kein Nein«, erklärt Polly nüchtern. Die Krönung ist ein Rand-Event, Macheath und Polizeichef Brown trinken Kurze und Polly kommandiert die Kleinkriminellen und das Publikum mit einem resoluten »Ihr doofen Hackfressen, schaut nicht so dumm!«. Jeder ist ein Sünder, aber jeder ist sympathisch. Wer wenig Berührungspunkte mit Behindertenarbeit hat, den:die kann es überraschen, wenn das Publikum lacht, weil jemand den Text vergisst, wenn ein:e Schauspieler:in kurz auf der Bühne auftaucht und wieder verschwindet oder einfach etwas Lustiges sagt. Doch spätestens nach der Pause ist klar: Hier haben alle Spaß.

Im Minutentakt wird geklatscht, weil die Putzfrau das Steckenpferd wie einen Golfschläger schwingt oder wenn Macheath dem Pferd daraufhin mit dem Schlachter droht. Es ist als würde man mit Freund:innen lachen, sogar wenn man auf der Bühne niemanden kennt. Damit inszeniert die Gruppe Kraut und Rüben das bürgerliche Lustspiel auf eine Weise, die herkömmliche Theater so nicht nachmachen können. Man kommt, man lacht und am Ende freut man sich, dass alle eine schöne Zeit hatten.


Titelbild © Mia Fritzsche

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