Öfter albern sein!

Öfter albern sein!
Warum »gestalte deine Freizeit so albern wie möglich« der beste Tipp war, den unsere Redakteurin in ihrem Praktikum bekommen hat und was das mit Psychologie zu tun hat.

Von Jule Schweitzer

Ich möchte Psychotherapeutin werden, sehr gerne sogar (man muss es auch wirklich wollen, solange der Staat sich weiter nicht sicher ist, wer die Weiterbildung zahlt, aber das ist ein anderes Thema). Ich möchte Psychotherapeutin werden und das habe ich an jedem Tag meines Praktikums in einer psychosomatischen Klinik von ganzem Herzen gemerkt.

Belastende Berufe

Auch gemerkt habe ich, dass ich nicht alle Themen in meinem Arbeitstag lassen konnte. Einige gingen mir nicht nur aus Mitgefühl nahe, sondern trafen mich persönlich. Während ich nicht per se denke, dass das als Therapeutin schlecht ist, ist es wichtig, sich in der Therapie auf Patient:innen konzentrieren zu können und ihre Themen nicht mehr als nötig zu eigenen zu machen, um sie mit Fokus behandeln zu können.

Ich kenne Tipps und Tricks aus der Stressbewältigung: Namensschild und Arbeitshandy in Schubladen sperren, nur auf dem Heimweg über die Arbeit nachdenken dürfen, Gedanken aufschreiben und wegsperren, Meditation und so weiter und so fort. Das alles sind tolle Tricks, viele davon werden aber schnell nur zu einem weiteren To-do, zu dessen Abhaken ich mich zwingen muss.

Im Gespräch erklärte mir dann eine Psychotherapeutin in Ausbildung, wie sie mit dem ernsten Alltag auf Station umgeht: »Ich versuche, meine Freizeit so albern wie möglich zu gestalten.« Und dieser Satz hat sich seitdem in meinen Kopf eingebrannt.

Was bedeutet es, albern zu sein?

Der Duden gibt dem Wort »albern« in einer eher abwertenden Bedeutung folgende Synonyme: einfältig, töricht, kindisch. Keiner davon ist ein Begriff, mit dem ich mich gerne selbst beschreiben würde, und doch wirkt die Vorstellung, meine Freizeit so albern wie möglich zu gestalten, mehr als befreiend. Denn eine kurze Reflexion über meine Freizeitgestaltung zeigt: Ich nehme alles ernst. Immer. Uni, Arbeit, Sport, Projekte mit anderen, meine Freundschaften… Manchmal vielleicht auch kein Wunder, wenn ich einmal die Woche am liebsten 12 Stunden Sitcoms auf Netflix oder nur noch die Wand anstarren möchte. 

Dabei ist Albernheit eine viel bessere Art, mit Stress umzugehen. Eine Studie der Universität Illinois hat gezeigt, dass Menschen, die sich spontan oder albern verhalten, weniger Stress empfinden bzw. besser damit umgehen können. Auch sind diese Menschen allgemein optimistischer und haben eine stärkere Resilienz. Wer mit anderen gemeinsam albern ist, stärkt das Gefühl von Zugehörigkeit und Bindung. 

Aus neurobiologischer Sicht ist Albernheit ziemlich komplex – wenn ein Mensch lacht, werden Bereiche wie der orbitofrontale Kortex (Bewertung von Belohnungen und Entscheidungsfindung), die Amygdala (Verarbeitung von Emotionen) und das ventrale Tegmentum (Belohnungssystem) aktiviert. Zudem werden alle drei Neurotransmitter, die wir bekanntermaßen mit positiven Emotionen verknüpfen, freigesetzt: Endorphine, Dopamin und Serotonin strömen bei Albernheit durch das Gehirn. Endorphine wirken übrigens als Schmerz-Antagonisten, können also sogar Schmerzen lindern!

Fazit

Zusammengefasst ist Albernheit also aus psychologischer und neurobiologischer Sicht ein sehr sinnvolles (und damit ja schon wieder fast produktives) Mittel, das eigene Wohlbefinden zu steigern und Stress abzubauen. Und: Wer in seiner Freizeit albern ist und auf diese Weise Stress abbaut, hat am nächsten Morgen wieder mehr Energie, um sich auf die ernsten Dinge des Lebens oder der Arbeit zu konzentrieren – daran mangelt es aktuell nun wirklich nicht.

Zum Schluss ein paar überhaupt nicht ernst gemeinte Tipps zum Albern sein, die sich entspannt in den Tag einbauen lassen: 

  • Papier nicht normal wegwerfen, sondern in Form von einer Papierkugel oder einem Papierflieger
  • Jedes Himmel und Hölle Hüpfspiel mitnehmen, das Kinder (oder Ikea) irgendwo aufgemalt haben 
  • grundsätzlich Hüpfen
  • Tomaten/Trauben/Beeren in den Mund werfen
  • mal rückwärts durch Türen gehen
  • Drehtüren mehrmals durchlaufen
  • Schaukeln
  • einfach mal wieder einen Purzelbaum machen

Beitragsbild © Olivia Rabe

Für Interessierte:

Studie Illinois The Playful Advantage: How Playfulness Enhances Coping with Stress – Illinois Experts

Studie Oregon Frontiers | How does playfulness (re)frame the world? Evidence for selective cognitive and behavioral redirecting in times of adversity

Lachen, Stress & Schmerz: Laughter therapy: A humor-induced hormonal intervention to reduce stress and anxiety – PMC

Warum Netflix nicht zur Stressbewältigung geeignet ist: Informationsüberflutung – Lautschrift

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