Frauen, Macht und Merz

Mit der neuen Legislaturperiode unter Kanzler Friedrich Merz weht ein konservativer Wind durch Berlin. Doch was bedeutet das für Frauen, Gleichstellung und queere Lebensrealitäten in Deutschland? Ein Blick auf die Ministerien, den Koalitionsvertrag und die Person Merz.
von Ida Müermann
Frauen im Kabinett
Mit der neuen Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz ergibt sich ein eher konservativ geprägtes Kabinett, das bei der ausgewogenen Geschlechterverteilung nicht glänzt. Bedeutende Posten wie das Verteidigungs-, Innen- oder Außenministerium sind in männlicher Hand. Bei den Politikerinnen, die einen Posten im Kabinett bekommen haben, ergibt sich ein gemischtes Bild:
Katherina Reiche (CDU) ist Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, ein wirtschaftspolitisches Schwergewicht, das sie als ehemalige Geschäftsführerin des Verbandes kommunaler Unternehmen mit industriepolitischem Profil besetzt. Dorothee Bär (CSU) übernimmt das neue Ministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt. Das gerade erst gegründete Ministerium ist ein Bereich mit Innovationspotenzial, aber begrenzter politischer Reichweite. Dr. Stefanie Hubig (SPD) verantwortet das Justiz- und Verbraucherschutzministerium. Die frühere rheinland-pfälzische Bildungsministerin bringt juristische Erfahrung mit, ihr Ressort ist jedoch kein klassisches Machtzentrum. Karin Prien (CDU) führt das Ministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Diese Bündelung klassischer Care-Themen in einem Ressort spiegelt die Tendenz, soziale Verantwortung in weibliche Hände zu legen. Bärbel Bas (SPD), ehemalige Bundestagspräsidentin, ist nun Ministerin für Arbeit und Soziales. Damit hat sie ein zentrales sozialpolitisches Ressort übernommen, das große Reichweite entfalten kann. Nina Warken (CDU), bisher rechtspolitische Sprecherin der Union, leitet das Gesundheitsministerium. In der aktuellen Lage ist das ein hochsensibles Ressort mit enormem Reformpotenzial in der Nach-Corona-Zeit. Reem Alabali-Radovan (SPD), mit Migrationshintergrund und klarer Haltung in Integrationsfragen, verantwortet das Entwicklungsministerium. Ihre Besetzung steht symbolisch für Vielfalt, auch wenn das Ressort in der Bundespolitik häufig an den Rand gedrängt wird. Verena Hubertz (SPD), die aus dem Startup-Bereich kommt, ist Ministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Angesichts der Wohnungskrise ein bedeutendes Feld, doch bisher wenig sichtbar in der öffentlichen Debatte.
Es werden also acht der von 15 auf 17 durch neue oder aufgeteilte Posten erweiterte Ministerien von Frauen geleitet. Dass die Frauenquote bei fast 50 Prozent liegt, ist der SPD zu verdanken, die CDU/CSU setzt deutlich weniger Frauen als Ministerinnen ein. Ernüchternd fällt hingegen der Blick auf den Bundestag aus. Laut den aktuellen Zahlen sind nur 35 % der Abgeordneten Frauen, ein Rückschritt gegenüber den 40 % der vorherigen Legislaturperiode.
Gleichstellungspolitik im Koalitionsvertrag: Fortschritt mit Fragezeichen
Der Koalitionsvertrag der CDU/CSU-SPD-Regierung enthält durchaus ambitionierte Passagen zur Gleichstellung. Die Koalition spricht sich für eine aktive Umsetzung des Bundesgleichstellungsgesetzes aus, will Entgeltungleichheit bekämpfen und Frauen in Führungspositionen durch Quoten, Transparenz und Zielgrößen stärken. Im Bereich Gewalt gegen Frauen kündigt die Koalition an, Lücken im Hilfesystem zu schließen, Frauenhäuser zu stärken und Menschenhandel härter zu bekämpfen. Beim Thema Abtreibung bleibt der Vertrag hingegen vage. Statt einer klaren liberalen Reform des §218a StGB wird auf bestehenden Schutz und Beratung verwiesen, echte Fortschritte sind nicht absehbar.
Auch die Interessen von LGBTQ+-Personen werden nur am Rande behandelt. Zwar wird betont, dass Diskriminierung bekämpft werden soll, eine explizite Strategie zur Förderung queerer Lebensrealitäten oder zur Reform trans- und intergeschlechtlicher Rechte fehlt. Dies wirkt im Vergleich zu früheren Fortschritten, wie dem Selbstbestimmungsgesetz unter der Ampelregierung, wie ein Rückschritt.
Der Kanzler und die Frauen – Ein Problem namens Merz
Friedrich Merz ist kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um Geschlechterfragen geht. 2020 bezeichnete er das Gendern als »Sprachverhunzung« und setzte sich mehrfach gegen gesetzliche Frauenquoten ein. Auch sein zögerlicher Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Kirche oder #MeToo-Vorwürfen innerhalb der CDU offenbarte eine für Feminismus und Frauenrechte problematische Haltung.
Friedrich Merz hat 2024 im Wahlkampf ein veraltetes sexistisches Frauenbild beibehalten. In einem Interview zur Frauenbesetzung im Kabinett wies er eine Quote zurück, indem er sich mit folgenden Worten auf das Scheitern der Verteidigungsministerin berief. »Das ist so schiefgegangen in der letzten Bundesregierung mit der Verteidigungsministerin. […] Das war eine so krasse Fehlbesetzung, und das sollten wir nicht wiederholen. Wir tun damit auch den Frauen keinen Gefallen.« Der neue Kanzler pauschaliert individuelles Scheitern auf die Gesamtgruppe weiblicher Politikerinnen und lehnt deswegen das für die Gleichstellung wichtige Werkzeug der Frauenquote ab. Noch deutlicher wurde es, als Merz sich in einem Interview zur Sicherheitswahrnehmung äußerte. Auf die hypothetische Frage, ob er als Frau in ein Taxi mit einem Fahrer im Palästinensertuch steigen würde, sagte er: »Als Mann wahrscheinlich ja, als Frau wahrscheinlich nicht. Weil ich als Mann vielleicht ein anderes Selbstbewusstsein habe, aber auch vielleicht einen anderen Respekt in Anspruch nehmen kann.« Es fällt schwer, dem neuen Kanzlern nach diesen Aussagen Kompetenz und Unvoreingenommenheit gegenüber Gleichberechtigung und Frauen zuzutrauen.
Was bleibt jetzt nach Koalitionsvertrag und Kanzlerwahl? Die neue Regierung präsentiert sich rückwärtsgewandt in Sachen Gleichstellung. Feministische Errungenschaften der letzten Jahre drohen unter Merz zu stagnieren oder gar zurückgedreht zu werden. Der Feminismus in Deutschland wird also auch in den kommenden Jahren wachsam, laut und unbequem bleiben müssen.
Titelbild © Ida Müermann
Quellen:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2025/kw19-de-kanzlerwahl-bundesregierung-1063886
Kolumnenleitung »Wort der Woche« | Leitung Fototeam | Studentin der Deutschen Philologie