Bevor wir gut sind, sind wir naiv

Regisseurin Yvonne Kespohl macht das Antoniushaus zum mittelalterlich-modernen Schauplatz, in dem ein junger Parzival das Leben lernt und zeigt, dass Gutes erst gedeihen muss.
von Mia Fritzsche
Schön blöd. Hinter dieser Birke, das ist klar, kommt die nächste Birke. Aber was nach der zweiten kommt, das weiß Parzival (Max Roenneberg) nicht. Mit seiner Mutter Herzeloyde (Kathrin Berg) lebt er dort abgekapselt von der Außenwelt, bis er nach einer Begegnung mit zwei Rittern (Lilly-Marie Vogler und Jonas Julian Niemann) selbst einer werden will.
Damit wird Herzeloydes größter Albtraum wahr: Ihr Mann und ihre Söhne, alle Ritter, sind im Kampf gestorben. Aus genau diesem Grund flüchtete sie mit ihrem jüngsten Sohn in die Einöde, um ihn vor diesem Lebensweg zu bewahren. Widerwillig lässt sie ihn gehen und stattet ihn mit naiven Ratschlägen und einem närrischen Ritterkostüm aus.

Von den Bauern (Lilly-Marie Vogler und Jonas Julian Niemann) bis zu König Artus (Guido Wachter), für jede:n der ihm begegnet ist er vor allem eines: Blöd. Eine hellsehende Prinzessin (Michael Haake) sieht ihn als Erlöser an, aber keiner glaubt ihr. Aus Spaß gibt König Artus ihm den Auftrag, den entehrten Ritter Ither (Lilly-Marie Vogler) zu besiegen: Es gelingt ihm. Der Edelmann Gurnemanz (Michael Haake) nimmt sich ihm an, lehrt ihn die ritterlichen Tugenden und verspricht ihm dafür seine Tochter Liase (Paul Wiesmann), doch Parzival zieht fort. Nach einer kurzen Romanze mit der Königin Conduireamour (Joscha Eißen) verschlägt es Parzival in die mysteriöse Gralsburg. Dort trifft er auf den König Anfortas (Michael Haake), dessen Gebrechen ihn erschaudern lassen. Parzival, dessen naive Fragen sonst sein Markenzeichen sind, bleibt aber still und fragt ihn nicht, was ihm fehlt. Im Gespräch mit dem Einsiedler Trevrizent (Guido Wachter) merkt er wie groß sein Fehler war.
Bühnenautor Lukas Bärfuss schreibt den 1000 Jahre alten Versroman von Wolfram von Eschenbach neu und macht damit das Werk des fränkischen Minnesängers tauglich für die heutigen Generationen. Die Irrungen und Wirrungen der Adoleszenz bleiben über Epochen hinweg nämlich beständig.
Teufel, Engel oder Kuh. Was bist du?
Die Kostümierung spiegelt auf eingängige Art und Weise die Wesenszüge der Charaktere wider. Parzivals Mutter Herzeloyde trägt einen Pelzmantel. Aus der weißen Bundhaube sticht eine Sichelform heraus. Sind es Teufelshörner, ein gebrochener Heiligenschein oder die Hörner eines Schafs, das sein Lamm noch weiter vor der Außenwelt schützen will?
Auch an Parzivals Kleidung erkennt man die verschiedenen Stadien des Erwachsenwerdens, die er passiert. Er beginnt als Jäger in Lumpen, seine ersten Schritte in der Gesellschaft macht er im Narrenkostüm bis die Übernahme von Ithers Ritterkluft seine neue Position als Edelmann endgültig festigt. Ab da findet die Veränderung nur noch im Inneren statt. Er hat die Kultur gesehen und muss jetzt sich selbst wiederfinden.

Auch die sprachliche Gestaltung bietet viele Möglichkeiten, sich Parzivals Erwachsenwerdens zu vergegenwärtigen. Wenn die Witwe, die ihren verblichenen Ehemann durch die Wälder schleppt, »Mein Liebling« sagt, schaut Parzival verdutzt: »Mein Liebling? Aber das bin ja ich.« Seinen eigenen Namen hingegen kennt er nicht.
Auf rhetorisch gemeinte Fragen über seine Dummheit versucht er zuerst noch zu antworten, bis er sich selbst irgendwann an der Ironie versucht. »Halt! Das war keine Frage, das klang nur so.«, sein neuer Umgang mit Sprache überrascht ihn selbst. Das Gespräch ist trotz seiner Naivität von Anfang an Parzivals Stärke. »Er stellt durch naive Fragen ein System bloß, was er als solches gar nicht begreift«, erklärt Ausstatterin Lydia Huller.
Narrenkappen tragen wir alle
Jede:r war schon einmal Parzival. Wenn man eine E-Mail holprig formuliert, Autoritäten zu spät als solche erkennt oder Konventionen nicht beachtet, fühlt man sich schnell wie der junge Parzival im Narrenkostüm. Und noch öfter traut man sich erst gar nicht etwas zu tun, aus Angst, dumm da zu stehen. Doch die Angst ist unbegründet. Bevor etwas gut ist, ist es naiv. Von Gemälden zu Theorien, da ist der Mensch keine Ausnahme.
Parzivals Erfolgsgeheimnis ist es, sich ebendiese Naivität zu behalten, trotz der neuen Sozialisierung. Seine ehrlichen Fragen entkräften und Sorgen für Heiterkeit und selbst wenn die Lage aussichtslos erscheint macht er, was er am besten kann: Sich Rat holen und es nochmal probieren.
Weitere Informationen zum Stück gibt es auf der Website des Theater Regensburg (https://www.theaterregensburg.de/produktionen/parzival.html)
Die Vorstellung wurde mit Pressekarten besucht.
Titelbild © Tom Neumeier Leather