Sex, Drugs and Rock n’Roll: Wie Misogynie mit Millionen belohnt wird

Sex, Drugs and Rock n’Roll: Wie Misogynie mit Millionen belohnt wird

Til Lindemann übernimmt gerade eine Schlagzeile nach der anderen. Doch nicht nur bei Rammstein führen Missbrauch und Misogynie zum Erfolg.

(TW: Der Text thematisiert Vergewaltigungsvorwürfe und Misogynie. Entsprechende Liedtexte werden zitiert.)

von Sophia Mayer

»So etwas hat es ja schon immer gegeben. Das ist in der Szene ganz normal.« Sätze wie diese begegnen mir häufig in Diskussionen über die Missbrauchsvorwürfe gegen den Rammstein Sänger Til Lindemann. Fans zeigen sich nicht wirklich überrascht, sondern schon fast etwas angegriffen, wenn ich die Anschuldigungen in ihrer Gegenwart thematisiere. Auf meiner TikTok For You Page scheint es auch schon zum Trend geworden zu sein, Videos von alten Konzerten zu posten und sich offen zu ihm zu bekennen, als würde Til Lindemann persönlich ihnen danach auf die Schulter klopfen.

Doch was hat Lindemann eigentlich gemacht? Der Frontsänger der Band Rammstein soll wohl ein ganzes System geschaffen haben, um Frauen sowohl nach, vor und auch zwischen seinen Konzerten hinter die Bühne zu rekrutieren. Diese soll er unter Drogen- oder Alkoholeinfluss zu sexuellen Handlungen genötigt haben und hierfür seine Position als deutscher Rock-Gott ausgenutzt haben. Ganz schön hart, diese Anschuldigungen.

Normal also. Ein 60-Jähriger scheint junge Frauen für Sex regelrecht zu casten und liegt damit noch absolut in der Norm?

Dass er diese Mädchen davor noch mit einer großen Menge an Alkohol oder Drogen gefügig gemacht haben soll, ist für die Hardcore Fans auch keine Überraschung. Hier scheint es noch eher zum guten Ton zu gehören, den Mädchen vor den Schäferstündchen auch eine Kugelschreiber-lange Line Kokain oder massig Alkohol anzubieten. Für mich wirkt es, als wären »Till’s Girls« ein offenes Geheimnis, von dem bereits vor den Anschuldigungen jeder wusste, weil sie es ja alle so machen.

Man dürfe ja nicht vergessen, dass es Frauen gibt, die es genau auf solche Situationen anlegen. Die das genau so wollen.

Groupies seien nämlich gerade in der Rock-Szene nichts Ungewöhnliches. Diese Frauen legten es bewusst darauf an in den Hotelzimmern ihrer Idole zu landen, um daraus Ruhm, Anerkennung oder das bloße Stauenen ihrer Freudninnen zu erlangen. Sie seien die eigentlichen Verführerinnen und nicht das Opfer, da es ja wohl ganz klar sei, was auf solchen Backstage-Partys passiert, und es schon sehr naiv sei, wenn man hier den Ablauf einer normalen Party erwarte.

Dass es auf Konzerten auch eine öffentliche Aftershowparty für jegliche Stars und Sternchen gibt, wird hier außer Acht gelassen.

Schnell verstehe ich allerdings: Lindemann ist kein Einzelfall. Da wäre einmal der Metal-Sänger Marilyn Manson, der nicht nur durch sein Auftreten oder seinen Liedtexten, sondern auch durch die Missbrauchsvorwürfe aus dem Jahr 2021 polarisiert. Er habe verschiedenste Frauen durch Drogen oder Schlaf- und Nahrungsentzug manipuliert und zum Sex genötigt.

Natürlich bestreitet Manson die Vorwürfe und bezeichnet sie als eine »Schreckliche Verzerrung der Realität“« Durch eine Recherche des Rolling Stone wird auch deutlich, dass Manson hierbei nicht nur von seinem Umfeld, sondern auch von der gesamten Szene gedeckt wurde.

Und die Fans? Die glauben ihm, unterstützen ihn, wenn er sich darüber beklagt, dass er nun wohl nie wieder auf Tour gehen, geschweige denn sein Buch veröffentlichen kann, anstatt den Frauen Glauben zu schenken, und das System dahinter zu hinterfragen.

Das System. Ein Begriff, der auch in dem Zusammenhang mit Lindemann immer wieder auftritt. Doch auch hier sehen wir das Phänomen von Fans, die eher an einer Verschwörung der Frauen glauben, als dass ein mächtiger Mann seine Position ausnutzt und seine Texte verwirklicht.

Doch das System ist kein Problem der Rock- oder Metalszene. 2016 wird der Rapper XXXTentacion von seiner schwangeren Freundin beschuldigt, sie wiederholt verprügelt und missbraucht zu haben. Eine Haftstrafe muss er später antreten, weil er diese dazu zwingen will, diese Vorwürfe zurückzunehmen. Auf Twitter macht er Witze darüber, schreibt sogar »All I ever abused was that pussy«, bestreitet die Vorwürfe im Gefängnis allerdings weiterhin. Alles Tweets, die heute nicht mehr zu finden sind. Während seiner Zeit im Gefängnis sei seine Popularität gestiegen und Labels sollen ihm bereits hier Verträge mit Vorschüssen im sechsstelligen Bereich angeboten haben.

Ich erinnere mich noch, als er im Sommer 2018 starb, und er in Instagramstories gefeiert wurde wie ein Gott. Ein schöner Gott ist das, der schwangere Frauen verprügelt und damit auch noch gefeiert wird.

Das erinnert mich an den Fall des Deutschrappers GZUZ, der seit Anfang des Jahres hinter Gittern sitzt, weil er auf der Reeperbahn eine Frau geschlagen hatte, als sie ihn um ein Selfie bat. Dass ein Mann, der mit seinem Kollegen Bonez MC Texte wie »Baller der Alten die Drogen ins Glas (haha) / Hauptsache Joe hat seinen Spaß«  schreibt, kein Feminist ist, der Frauen mit Respekt gegenüber tritt, ist für mich nicht wirklich verwunderlich. Ganz im Gegenteil. Ich sehe auch hier, wie Misogynie mit Milliarden Streams belohnt wird und das Narrativ der Frau als (Sex)Objekt bedient.

Frauenfeindlichkeit und Missbrauchsfantasien lassen sich also gut vermarkten, egal in welcher Branche. Die Frau, die vergewaltigt wird, das macht sich gut. Und hinter ihr? Ein Mann, der die Macht besitzt. Natürlich können wir jetzt anfangen Rammstein zu boykottieren und ihre Songs aus unseren Playlisten entfernen, doch lösen wir so das Problem noch lange nicht, wenn wir weiter Lieder anderer Künstler mit derartigen Inhalten konsumieren. Wie sollen Männer einen solchen Umgang mit Frauen unterlassen, wenn sie weiter lautstark Lieder hören, die diesen thematisieren?

Ich für meinen Teil werde mir genauer anschauen, wen ich mit meinen Streams unterstütze. Der Künstler Makko hat beispielsweise in seinem neuen Album völlig auf sexualisierende Begriffe verzichtet und eine Freundin hat mir gerade erst das neue profeministische Lied der bairischen Band Dicht und Ergreifend »Viva la Vagina« geschickt, welches ich auch gerade in diesem Kontext weiterempfehlen kann

Quellen:

https://www.metal-hammer.de/marilyn-manson-beklagt-das-ende-seiner-karriere-1992747/

https://www.thedailybeast.com/xxxtentacion-kodak-black-and-how-hip-hop-rewards-rappers-for-abusing-women?ref=scroll

Beitragsbild:

Maeva Vigier via Unsplash

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