Lautstark: Von 8-bit bis zum Symphonieorchester – Musik in Videospielen

Lautstark: Von 8-bit bis zum Symphonieorchester – Musik in Videospielen

Die vergleichsweise junge, turbulente Geschichte der Videospiele hat einige der eindrucksvollsten interaktiven Kunstwerke hervorgebracht, die ich in den letzten Jahren selbst erleben konnte – was mich oft noch länger beschäftigt, ist die Musik.

von Julian Tassev

»Tetris«, »Super Mario Bros.« oder »Halo«. Die Titelmelodien beziehungsweise Songs zu einem dieser drei Kult-Videospiele hat vermutlich jede*r Lesende sofort im Kopf. Selbst nach dem einschlagenden Erfolg der Videospielautomaten in den klassischen »Arcades« in den USA konnte wohl niemand damit rechnen, wo diese Industrie rund 50 Jahre später stehen wird. Exponentielle Fortschritte auf den Gebieten der 3D-Animation, hochauflösender Grafik und der künstlichen Intelligenz machen Videospiele zu einer der innovativsten und spannendsten Kunstformen (die Diskussion, inwiefern wir sie als Kunst betrachten können, würde ich auch noch gerne führen) unserer Zeit. Auch auf dem Gebiet des Sound-Designs und der Musik hat die Industrie gigantische Fortschritte gemacht.

Ataris »Pong«-Automat von 1972 hatte keinen eigenen Sound-Chip, vielmehr wurde der legendäre Ton völlig analog durch Spannungsspitzen in bestimmten Schaltkreisen erschaffen. Nach einem schwachen, ersten Vorstoß in den Markt der Heimkonsolen kämpften die großen Entwickler-Studios erneut um die Plätze der Videospiel-Hallen. Dieser Wettbewerb sorgte natürlich für immense Fortschritte in der Hardware, im Spiel-Design, nicht zuletzt aber auch in der Ton-Wiedergabe und den damit einhergehenden Möglichkeiten, Ton vermehrt funktional zu gestalten. So verhält sich zum Beispiel der Soundtrack in »Space Invaders« (1978) passend zum Rhythmus des Spiels, wird langsamer oder schneller, und damit zu einem wichtigen Bestandteil der Erfahrung.

Der große Videospiel-Crash von 1983 (definitiv ein Google wert, nicht zuletzt wegen des sagenumwobenen Spiels zu »E.T«, welches aus finanziellen Gründen tausendfach in der Wüste vergraben wurde) verhalf dem japanischen Industrie-Giganten Nintendo dabei, den westlichen Markt endlich mit einer weit entwickelten Heimkonsole zu übernehmen – dem »Nintendo Entertainment System« (NES). Dies läutete auch die Ära der 8-bit Musik ein, die heute teilweise immer noch nostalgisch betrachtet und endlos rezitiert wird (so zum Beispiel im beliebten Indie-Hit »Undertale« von 2015). Hier entstanden legendäre Soundtracks wie »The Legend of Zelda« von Koji Kondo oder eben die der »Super Mario«-Spiele.

Heutzutage sind der Musik in Videospielen keine technischen Grenzen mehr gesetzt. Die Soundtracks von AAA-Titeln (von Marktführern teuer produzierte Spiele) entstehen nicht anders als die eines großen Hollywood-Blockbusters. Riesige Arrangements unter bekannten Komponierenden wie Hans Zimmer (»Call of Duty: Modern Warfare 2« (2009)) oder Henry Jackman (»Uncharted 4: A Thief´s End« (2016)) verleihen den beliebten Spiele-Blockbustern die passende orchestrale Untermalung. Allerdings gilt auch hier: Mehr ist nicht immer besser – und so möchte ich euch noch einige meiner Favoriten der letzten Jahre und ihre Funktionsweise vorstellen.

Das Offensichtlichste vorweg: Ja, »The Last of Us« ist mein Lieblingsspiel und die Musik des argentinischen Komponisten Gustavo Santaolalla bringt mich immer noch zum Weinen. Es ist eine wahre Freude, im Making-Of des Spiels mehr über die Zusammenarbeit von Santaolalla mit Regisseur Neil Druckmann zu erfahren. Der Komponist, der zuvor vor allem für seine Arbeit mit Ausnahme-Regisseur Alejandro G. Iñárritu an Filmen wie »Amores perros«, »Babel« oder »Biutiful«, aber auch Ang Lees »Brokeback Mountain« bekannt wurde, beharrt auch in »The Last of Us« auf seinem minimalistischen, von Akustik-Gitarren geprägten Musikstil. Diese recht simplen, aber umso effektiveren Gitarren-Klänge funktionieren im Spiel so gut, weil sie einen emotionalen Anker liefern, zu dem ich als Spieler immer wieder zurückfinden kann, selbst wenn die Menschlichkeit des Protagonisten Joel mehr und mehr ins Schwanken gerät.

In der lang erwarteten, hoch kontroversen Fortsetzung, »The Last of Us Part II« von 2020 wird die Gitarre sogar zu einem zentralen Bestandteil der Story und der komplexen Beziehung zwischen der neuen Protagonistin Ellie und ihrer Vaterfigur Joel. Zu Beginn des Spiels schenkt Joel ihr die Gitarre und verspricht, ihr endlich das Spielen beizubringen. Die Gitarre ist sowohl das erste als auch das letzte Bild, welches wir sehen und sie fungiert sogar im Laufe des Spiels öfters als »Trigger« für emotionale Flashbacks. Die gesamte Beziehung der beiden Figuren wird über die ca. 30 Stunden anhand dieser Gitarre symbolisiert dargestellt. Nicht zu vernachlässigen sind allerdings die pulsierenden, dumpfen elektronischen Töne, welche die oft sehr brutalen Kampf-Sequenzen im Spiel prägen. Für diese erhielt Santaolalla Unterstützung von »Mr. Robot«-Komponist Mac Quayle.

Die schaurig-schönen Gitarren-Klänge werden aber wie so oft in Action-Adventure-Spielen dieser Art, in denen es oft darauf ankommt, unentdeckt an Gegnern vorbeizuschleichen, dazu verwendet, den Status der Spielfigur zu vermitteln. Wurde sie entdeckt, schwillt der Soundtrack plötzlich an, signalisiert einen bevorstehenden Kampf. Wurden alle Gegner besiegt oder ist die Figur wieder unentdeckt, kehrt der Soundtrack zurück zu ruhigen, spannungsgeladenen Klängen. Ein berühmtes Beispiel hierfür ist auch Jeremy Soules phänomenale Musik für die epischen Spiele der Fantasy-Open-World-Reihe »The Elder Scrolls«. Mit der Musik versinke ich als Spieler förmlich in der Welt, die vor mir liegt. Befindet sich allerdings ein Gegner in der Nähe, bin ich in meinen Bewegungen plötzlich limitiert, was sich nicht zuletzt durch die einsetzende »Konfrontationsmusik« äußert.

Bestimmte Aktionen im Spiel haben also eine bestimmte Reaktion in der Musik zur Folge. Wer aufgepasst hat, stellt hier allerdings eine wichtige Frage: Was, wenn ich in kürzester Zeit verschiedene Musik-Stücke auslöse? Dies passiert ständig, und klingt oft ziemlich abgehackt und unnatürlich. Auch hierfür ist »The Elder Scrolls« ein gutes Beispiel. Diese Kleinigkeiten gehören irgendwo aber auch zum Charme des Spiels. Im Podcast-Interview zum Spiel »The Pathless« (2020) spricht Komponist Austin Wintory (»Assassins Creed: Syndicate«) über die Herausforderung, die Musik so zu gestalten, dass sie dynamisch auf die Aktionen der Spielenden reagieren, sich ständig transformieren und somit ein ununterbrochenes Spielerlebnis erzeugen kann. Als Resultat taucht keiner der Tracks auf dem Soundtrack-Album in dieser Form im Spiel auf.

Ein weiteres Spiel, welches von der Musik lebt und mich seit einiger Zeit verfolgt, ist das Survival-Spiel »Subnautica«, erstmals veröffentlicht 2014. Nach einer Bruchlandung auf Planet 4546B, dessen Oberfläche größtenteils aus Wasser besteht, müssen die Spieler*innen nur mit Hilfe einer kleinen Rettungskapsel, einigen Gadgets und den Überbleibseln des abgestürzten Raumschiffs um das Überleben kämpfen. Hierzu ist es (leider) notwendig, die zweifellos wunderschöne Tiefsee-Welt rund um die Kapsel zu erkunden, anfangs nur mit Flossen, später zumindest in einem Mini-U-Boot und anderen Geräten. Die umliegenden Biome, hauptsächlich sonnengetränkte Dünen, Felsen oder Pflanzen sind dabei von ebenso schöner wie beruhigender elektronischer Musik durchzogen, die mir ein unvergleichliches Gefühl der Sicherheit gibt. Je weiter – und vor allem tiefer – ich mich allerdings ins Meer hinauswage, desto gemeiner wird auch der Soundtrack von Simon Chylinski. Die Musik wird zu einem Flüstern, hier ein Knacken, dort ein Ächzen. Ich habe das Gefühl, überall lauert eine Gefahr. Ein anschwellender, gespenstischer Chor signalisiert, dass ich zu Orten herabsinke, an denen ich nicht willkommen bin. Und bleibt die Musik einmal gänzlich weg – dann schalte ich einfach das Licht meines kleinen U-Boots aus und suche mir rasch einen Gott.

Die Geschichte der Videospiel-Musik ist unheimlich vielfältig und noch lange nicht am Ende angelangt. Mit dem Aufkommen von kostengünstigen VR-Brillen setzen sich Musik- sowie Rhythmus-basierte Spiele wie »Beat Saber« oder »Pistol Whip« mehr und mehr als eine völlig neue Form, anstatt nur einer kurzzeitigen Nebenerscheinung, auf dem Markt durch. Neue Technologien erzeugen neue Möglichkeiten, mit der Musik im Spiel kreativ zu werden. Ich für meinen Teil bin sehr gespannt, was die aktuelle, noch recht neue Konsolengeneration uns noch bringen wird.

Beitragsbild: © Sony Interactive Entertainment

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