Mov:ement: Melancholie en masse!

Mov:ement: Melancholie en masse!

Melancholie. Was ist das eigentlich? Die Sehnsucht nach vergangenen Zeiten? Nach Zeiten, in denen alles besser war? Aber wie besser? Langsamer vielleicht? Gemeinsamer? Liegen wir da nicht einer Illusion auf? Oder bedeutet Melancholie etwas ganz anderes … Gesellschaftsdiagnose für eine neoliberale Welt? Zumindest in Susanne Heinrichs »Das melancholische Mädchen« scheint das der Fall zu sein.

von Anna-Lena Brunner

An einer Stelle fragt sich das melancholische Mädchen (Marie Rathscheck): »Wie bin ich all das geworden, was ich nie werden wollte?« Das klingt auf den ersten Blick nach ganz schön viel Pathos, nach Krisenmodus Ende 30, wenn man* bemerkt, dass er*sie doch lieber eine Finka auf Ibiza bewohnen würde als die Doppelhaushälfte in Travemünde. »Das melancholische Mädchen« ist viel. Aber kein Pathos und keine Krise. Die Reise durch diese »Diskurskomödie« (Andreas Busche im Tagesspiegel vom 29.06.2019) zeigt vielmehr, wie viel Pathos und Krise in unserer neoliberalistischen Gesellschaft steckt. Kleiner Spoiler: ganz schön viel.

Denn das melancholische Mädchen stellt sich oben erwähnter Frage nicht pathosheischend und verzweifelt. Sie tut es auf ganz unaufgeregte Weise, fast abwesend und gelangweilt. Genau dieser Tonfall von ihr zieht sich durch die 14 lose verknüpften Episoden und funktioniert so als Leitmotiv, quasi als monotone Erzählerinnenstimme, die den*die Zuschauer*in durch die kurzen Abschnitte trägt, die sich mit Themen wie Kunst, Sex, Drogenrausch, Liebe, Kinderkriegen uvm. auseinandersetzen.

Und so wird man* hineingezogen in Momentaufnahmen, die Leben als melancholisches Mädchen erzählen. Beispielsweise wenn sie sich auf die Suche nach einem Schlafplatz für die Nacht begibt, wenn sie beim Casting für eine Werbung ist oder im Café sitzt – ständig wird einer*m beinahe auf voyeuristische Weise kurz Einblick in ihr Leben gewährt. Diese szenischen Impressionen unterscheiden sich kaum voneinander. Die Szenerie ist grell, künstlich und überbelichtet – theaterhaft stilisiert. Den Erlebnissen des melancholischen Mädchens haftet so eine Universalität an, die es Heinrich erlaubt, das Dargestellte irgendwo zwischen Pop und Politik anzusiedeln. 

Der Film bietet Raum für einen eigenen Spaziergang durch den Film, die Deutungshoheit obliegt dem*der Zuschauer*in. Man* verweilt so nicht in Passivität, der Film ist vielmehr ein »happening«, eine aktive Auseinandersetzung mit dem Dargestellten, die vor allem (aber natürlich nicht nur!) in doch manchmal etwas lethargischen Pandemiezeiten Laune macht.

Das melancholische Mädchen gehört schon irgendwie zum Typus »depressives-Indiegirl-Mitte-Ende-20«. Sie entzieht sich aber auch gleichzeitig jeglicher Typisierung. Denn Heinrich weiß um die Klischeehaftigkeit ihrer Protagonistin und instrumentalisiert so jene auf nahezu polemische Weise. Dadurch durchbricht sie mit Humor und Ironie Rollenbilder sowie -kategorien und erschafft so einen Kunstfilm, der zugleich witzig und traurig, froh und melancholisch ist. Aber er ist vor allem eins: sehr klug.  

Den Film könnt ihr euch auf diversen Streamingplattformen, wie Amazon Prime oder Vimeo anschauen. Es lohnt sich!

Zitierter Artikel im Tagesspiegel: https://www.tagesspiegel.de/kultur/diskurskomoedie-das-melancholische-maedchen-neoliberal-in-pastelltoenen/24506570.html

Beitragsbild: © Salzgeber

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