Feminis:muss: Eine Ode an Vulva & Vagina Teil II

Feminis:muss: Eine Ode an Vulva & Vagina Teil II

*** Den ersten Part dieses Artikels findest du in der Jubiläumsausgabe der Lautschrift auf Seite 42. ***

Die weibliche Anatomie ist so vielschichtig, dass zwei geschriebene Seiten kaum ausreichen, um die Faszination um Vulva und Vagina zu schildern. Während im ersten Teil dieses Artikels vorrangig auf den Aufbau und die Funktionsweise der weiblichen Geschlechtsorgane eingegangen wurde, liegt der Fokus hier noch spezifischer auf einzelnen Feinheiten. Still spreading some Vulvina-Love!

– von Paula Boden

Diese Fortsetzung beginnt mit einem Rückbezug auf unseren Lieblingsanalytiker Sigmund Freud. Während Freud zwar vor mehr als 100 Jahren der Welt mit seiner Psychoanalyse viel Gutes tut, verbarrikadiert er die Frau in dunkle Tiefen: Er erfindet den weiblichen »Penisneid«. Denn da wo er etwas baumeln sieht, hat sie nur ein Loch, das gefüllt werden müsse. Die Frau fühle sich ohne Penis defizitär. Dabei wird doch die vaginale Penetration, wie bereits erwähnt, deutlich überbewertet.Gesellschaftlich bedeutet das erste Mal Sex allerdings glasklar, penetriert zu werden. Ein für die Frau passiver Prozess, der ihr ohne das Zusammenspiel mit der Vulva und anderen erogenen Zonen keine Lust bereitet.

Die Orgasm-Gap

Es wundert also kaum, dass frau* deutlich weniger zum Orgasmus kommt als man(n). Belegt ist auch, dass Frauen insgesamt weniger Sex haben. Wenn frau* Sex hat, ist jeder dritte Orgasmus vorgetäuscht. Sagt euch die »Orgasm-Gap« etwas? Eine Studie, die 2017 in der Fachzeitschrift Archives of Sexual Behavior erschien, zeigt, dass 95 Prozent der heterosexuellen männlichen Probanden beim Sex zum Höhepunkt kommen. Heterosexuelle Frauen dagegen erleben nur zu 65 Prozent einen Orgasmus, während lesbische Frauen wiederum in 86 Prozent der Fälle zum Orgasmus kommen. Warum? »Weil die lustvoll erlebte Sexualität in den meisten Fällen fehlt. Weil die Frau keine Lust auf den vom Mann postulierten Sex hat: penetrieren und ejakulieren,« ermahnt Dr. Mandy Mangler, Chefärztin für Gynäkologie und Geburtsmedizin am Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg. Laut Freud und dem mittlerweile tief in unserer Gesellschaft verankerten Sexualbild braucht frau* also den bewegten Penis in der Vagina, um zu einem »erwachsenen Orgasmus« zu kommen. Wir haben es so gelernt, konstatiert Mangler: »Überall im Internet, in jedem Porno begegnet dir der Penis und die Frage, wie masturbiere ich als Mann richtig und wo kann ich abspritzen?« Kein Wunder, dass 80 Prozent der Pornokunsument*innen aktuell männlich sind. Stellen wir uns die Situation aber einmal umgekehrt vor – dass es in Pornos nur noch um die weibliche Stimulation und Befriedigung ginge. Dass an Bushaltestellen Vulven an die Glaswand geschmiert und Schulbänke anstelle vieler kleiner Penisse mit vielen kleinen Vulvinas übersät wären: eine komplett andere Welt. »Die Männer würden sich so wundern«, überlegt Mangler. 

Die unzähmbare Lust

Nehmen wir dieses Gedankenspiel zum Anlass, der weiblichen Lust mehr Raum zu geben und ihr hier und jetzt das Wort zu erteilen. Schon in Part I dieses Artikels wurde der Blick auf die Klitoris gerichtet. Mit ihren 8 000 Nervenenden ist sie 50 Mal sensibler als die Eichel des Mannes, bei Erregung kann sie sich verdoppeln. Im Schlaf hat frau* genau gleich viele Erektionen wie ihr männliches Pendant: acht Mal pro Nacht, insgesamt eine Stunde und 20 Minuten. Sagenhaft!

Der weibliche Orgasmus dauert im Schnitt sogar ganze 17 Sekunden, der männliche dagegen im Durschnitt nur zwischen drei und acht Sekunden. Noch dazu kann auch frau* während des Sex abspritzen – schon seit über 2 000 Jahren wird wissenschaftlich über den »feuchten Orgasmus« geschrieben, seit der Antike scheint Squirting also ein gängiges Phänomen zu sein. Hierfür sind die sogenannten Skene-Drüsen verantwortlich, sie sitzen neben der Harnröhre und können jederzeit Flüssigkeit von sich weisen, auch mitten im sexuellen Kontakt.

Der sagenumwobene G-Punkt

Er wurde viel gesucht, viel diskutiert, aber noch nicht durch objektive Daten verifiziert. Der Erfinder des als in den 80er Jahren bekanntgewordenen »Sweetspots weiblicher Lust« ist der deutsche Gynäkologe Ernst Gräfenberg. In einem Aufsatz im International Journal of Sexology schreibt er 1950: »An der vorderen Vaginalwand unterhalb der Urethra sitzt eine ausgeprägte erogene Zone, die bei der Behandlung weiblicher sexueller Mangelzustände eine größere Bedeutung erhalten sollte.« Gräfenberg hat nie den Ausdruck Punkt, also Spot verwendet. Er beschreibt seine Entdeckung als Areal, das sich vier oder fünf Zentimeter vom Vaginaleingang entfernt an der vorderen Vaginalwand befindet. In den 80er Jahren erinnern dann zwei Sexualforscher John D. Perry und Beverly Whipple an den bis dahin unbekannten Gynäkologen und beschreiben das G-Areal als »Ursprung des pelvinen, nerval-uterinen Orgasmus.« Was sagt die Wissenschaft heute dazu? Leider gibt es genauso viele Studien, die den G-Punkt belegen, wie diese, die ihn gekonnt widerlegen. Die eine schwört auf ihr G-Areal, die andere kann aber getrost darauf verzichten und erfreut sich an dem Können ihrer anderen erogenen Zonen. 

Spannende Sidefacts – zum Angeben

Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf ein paar Fakten, die wir vielleicht nicht so auf dem Schirm haben, die aber trotzdem irre spannend sind. Wie faszinierend ist die Scheidenflora – das saure Milieu der Vagina? Sehr! Denn die Vagina hat einen pH-Wert von 3.8 bis 4.5 – ganz ähnlich wie Bier, vergleichen Julia Prosinger und Esther Kogelboom im Podcast »Gyncast«. Das vaginale saure Milieu mit Milchsäurebakterien und das Mikrobiom sind wichtig, um Bakterien abzutöten. Deshalb wird auch empfohlen, Vulva und Vagina mit geruchsneutralen und natürlichen Produkten zu reinigen – und von parfümierten Mittelchen abzusehen. Evolutionsbedingt ist sogar davon auszugehen, dass die natürlichen Gerüche, die sich zum Beispiel in vulvären Haaren sammeln, als Lockstoff für potentielle Sexualpartner dienen. Komisch also, dass der Trend in unserer übersexualisierten Welt seit Jahren in Richtung der glattrasierten Mädchen-Vulva geht.

Das Loblied an Vulva und Vagina ist fürs erste gesungen – allerdings ist klar, dass an und für sich noch unzählige Seiten beschrieben und gefüllt werden müssten, um den lustvollen, gebärenden und respekteinflößenden weiblichen Genitalien in ihrer Gänze gerecht zu werden. Vielleicht ist dieser Artikel, bestehend aus Part I und II, ein kleiner Anstoß, dich, egal ob m/w/d, eingehender mit dir, deinem Körper und dem deines Gegenübers auseinanderzusetzen. Vielleicht ist das bewusstere Dasein von Vulva und Vagina eine winzige Lösung, eben ein kleiner Mosaikstein im großen Gender- und Geschlechterdiskurs. Merken wir uns einfach: Don’t stop spreading some Vulvina-Love!

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Wenn ihr euch noch mehr mit dem Thema auseinandersetzen wollt … hier ein paar Empfehlungen von Paula:

Der »Gyncast«; Hinweis: Felix Möller / Tagesspiegel oder TSP

»Periode ist politisch«, Franka Frei (Randomhouse, 18 Euro)

»Vulva und Vagina – Neue Einblicke in die weibliche Lust«, Doku auf 3sat.de, 2020

»Frauenkörper neu gesehen«, Carol Downer (Orlanda Verlag, 24,50 Euro)

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Beitragsbild: © Charles Deluvio on Unsplash

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