Lautstark: Die ganze Bandbreite jugendlicher Gefühlswelten

Lautstark: Die ganze Bandbreite jugendlicher Gefühlswelten

Gute Musik und engagierte junge Musiker*innen starten nie direkt in den Charts und bei den großen Plattenlabeln, sondern meistens im eigenen Wohnzimmer und auf den minikleinen Bühnen der Bars ihrer Heimatstädte. Deshalb soll in dieser Lautstark-Ausgabe eine Singer-Songwriterin aus Regensburg vorgestellt werden, bei der es sich definitiv lohnt, mal reinzuhören. Vorteil, wenn man* in der Regensburger Musikszene unterwegs ist: Im Gegensatz zu den meisten in dieser Kolumne vorgestellten Künster*innen, die auf eine Interviewanfrage vermutlich nie antworten würden, haben wir uns direkt mit Ronja Künkler unterhalten können. Sie erzählt Euch also selbst von ihren Songs, politischer Musik und Kunst in Corona-Zeiten.

Das Interview wurde geführt von Lotte Nachtmann.

Ronja Künkler studiert an der Uni Regensburg im sechsten Semester Politikwissenschaft, Philosophie und das Frei Kombinierbare Nebenfach. Sie stammt ursprünglich aus Weiden in der Oberpfalz und kam 2018 für ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Evangelischen Studierenden Gemeinde in die Donaustadt. Musik macht sie aber schon seitdem sie denken kann. Anfang 2020 hat sie ihr Debüt-Album »Gartenparty« releast. Die Solokünstlerin hat in ihrer Jugend in mehreren Big Bands gespielt und ist seit vergangenem Jahr zusätzlich Teil einer a capella Band B’n’T und eines weiblichen Jazz-Trios Mayflys Memory.

Lotte Nachtmann: Du kommst aus einer sehr musikalischen Familie. Musik begleitet Dich also bereits Dein ganzes Leben lang?

Ronja Künkler: Meine Eltern waren sehr darauf bedacht, dass meine Geschwister und ich mindestens ein Instrument richtig lernen. Ich habe ganz klassisch mit Blockflöte und Klavier angefangen, später kam das Saxofon dazu. Meine Geschwister sind in andere Richtungen gegangen. Mein Vater spielt selbst in einer Band und meine Eltern sind beide in Bläserchören. Deshalb war es immer normal, dass man gemeinsam Lagerfeuermusik macht oder einfach mal so die Gitarre auspackt und gemeinsam singt.

Hast Du denn auch schon früh Deine eigene Musik geschrieben und aufgeführt?

Als kleines Kind habe ich mir durchaus schon gerne Melodien ausgedacht. Ich weiß noch, dass ich meinem Klavierlehrer meine ersten „Kompositionen“ vorgespielt habe. Er hat das dann zum Anlass genommen, um mir ein bisschen mehr Musiktheorie beizubringen. Mit zwölf Jahren habe ich mir Gitarrespielen selbst beigebracht, um zu covern. In diesem Zuge habe ich meine ersten Songs geschrieben, die ich aber eigentlich ganz schnell ziemlich schrecklich fand. Vor allem textlich. Deshalb habe ich diese Songs auch nicht gezeigt. Als ich die ersten eigenen Songs Leuten außer meiner Mutter vorgespielt habe, war ich dann schon 17.

War es für Dich nie eine Option, Musik zu studieren?

Doch, während meiner Abiturzeit habe ich überlegt, Saxofon zu studieren oder an eine Berufsfachschule zu gehen. Allerdings war das Saxofon für mich immer ein zwiespältiges Instrument: Auf der einen Seite habe ich es geliebt, in Big Bands zu spielen, auf der anderen Seite habe ich immer mehr eine Leidenschaft für das Singen und Songwriting entwickelt. Ich hatte aber das Gefühl, noch nicht gut genug zu sein, um Gesang zu studieren.

Während meines FSJ in Regensburg habe ich bereits in einer Studierenden-WG gewohnt und hatte den Wunsch nach einem ganz klassischen Studileben, anstatt jeden Tag in der Uni Saxofon zu spielen. Der ausschlaggebende Punkt war, dass ich mehr Allgemeinbildung erfahren wollte. Bei einem Saxofonstudium hätte ich die Angst gehabt, komplett in diese Welt einzutauchen, den ganzen Tag nur noch über Musik zu reden und meine anderen Interessen nicht weiter ausbilden zu können: die Faszination für Literatur und das Weltgeschehen. Außerdem wusste ich nicht, WIE ich Musik studieren möchte, in welche Richtung ich reinpasse, Jazz, Klassik …?

Seit etwa einem Jahr spiele ich nun aber doch wieder mit dem relativ konkreten Gedanken, nach dem Bachelor Musik zu studieren. Trotzdem ist es für mich wichtig, den jetzigen Bachelor für meine persönliche Entwicklung zu machen. Wissenschaftliches Arbeiten hätte ich bei einem Musikstudium vermutlich nie gelernt.

Spiegelt sich Dein Politikstudium in Deiner Musik wider? Du engagierst Dich ja schließlich auch in der Fachschaft und für Umweltthemen.

Als ich jünger war, habe ich ein paar klassische Protestsongs geschrieben, die ich aber nie aufgenommen habe und auch nicht mehr spielen könnte. Diese Songs kommen mir aus heutiger Perspektive sehr naiv vor. Bei meinen nächsten Songs soll aber wieder mehr Gesellschaftskritik einfließen. Im letzten Jahr habe ich einige Texte zu Themen geschrieben, die mich bewegen, wie Body Shaming oder Feminismus. Aber in den bisher aufgenommenen Songs merkt man noch nicht viel von solchen Gedanken. Bei »Gedankenmeer« steckt tatsächlich eine politische Geschichte dahinter. Den habe ich geschrieben, als ich mich über eine Politiker*innen-Talkrunde während der Flüchtlingskrise aufgeregt habe, da ich nicht verstehen konnte, was für Äußerungen da teilweise getätigt wurden. Gleichzeitig wollte ich diese Sichtweise aber auch nachvollziehen können. Aus diesem Zwiespalt ist der Text entstanden, wobei man von der politischen Thematik im Song nichts mehr hört.

Deine bisher veröffentlichten Songs haben also andere Inspirationsquellen?

Ja, diese Songs drehen sich vor allem um meine Jugenderfahrungen im Alter von 16 bis 18: verliebt sein, Liebeskummer, auf Reisen sein, Zukunftsorientierung, Perfektionsdrang bzw. sich diesem zu verweigern. Die Bandbreite meiner jugendlichen Gefühlswelt quasi.

Trittst Du nach Deinen Big Band Erfahrungen inzwischen mehr als Solokünstlerin oder mit Bands auf?

Die letzten Jahre war ich meistens ganz alleine unterwegs, nur mit Gitarre und/oder Klavier, wenn eines vorhanden oder aufzutreiben war. 2020 habe ich das Release-Konzert meines Debüt-Albums zum ersten Mal mit einer ganzen Band gespielt. Meine Musik ist auch eher darauf ausgelegt, um sie mit vielen Instrumenten zu spielen. Deshalb ist es immer ein wenig frustrierend, zu viel alleine zu spielen, weil ich weiß, dass es eigentlich anders klingen sollte.

Beim Release-Konzert in der Alten Mälzerei am 31. Januar 2020 und ein paar Open-Stage-Auftritten in der Heimat waren wir zu viert. Eigentlich hatte ich auch die Zusage, dass ich ein Konzert in der Newcomer-Förderung der Heimat hätte spielen und als Vorband hätte auftreten können. Das hat wegen Corona aber nicht mehr stattgefunden.

2018 hast Du schon einmal eine EP rausgebracht. Was das Album dann noch einmal eine andere Herausforderung?

Für den Kopf ja, praktisch war es im Grunde genommen gar nicht so viel anders. Ich habe beides sehr ähnlich produziert, und zwar bei einem Freund in Bayreuth. Der hat das Abmischen übernommen. Auch dem Schlagzeuger und dem Bassisten haben ich sehr viele Freiräume gelassen. Deshalb klingt es jetzt auch so, wie es klingt und das ist gut so. Aber ich weiß, dass ich für die nächsten Songs einen anderen Sound möchte. Insofern war der Schritt zwischen EP und Album nicht so groß, weil sich der Sound kaum verändert hat; es waren einfach nur mehr Lieder.

Was möchtest Du denn für die nächsten Songs anders machen?

Ich möchte dieses Mal sehr viel mehr selber machen. Während der Semesterferien werde ich jetzt fast jeden Tag im WG-Keller-Studio eines Kollegen aus meiner Acapella-Band sein, die Songs selber aufnehmen und auch schneiden. Das Mixen und Mastern werde ich dann wieder ihm überlassen, aber ich möchte mehr Einfluss nehmen als noch bei dem Album. Da ich das alles aber noch nie selber gemacht habe, wird es natürlich länger dauern. Deshalb werden es erstmal zwei bis drei Songs, die ich als Singles veröffentlichen möchte.

Du befindest Dich also in einer Art Orientierungsphase?

Ich war jetzt an dem Punkt, ein erstes Album zu haben, mit dem ich auch zufrieden bin. Aber inzwischen kann ich mich schon fast nicht mehr damit identifizieren. Momentan weiß ich einfach noch nicht, wo es als nächstes stilistisch hingehen soll, wie meine nächsten Songs klingen werden. Worauf ich aber weiterhin viel Wert lege, sind meine Texte. Sie sollen Sinn ergeben und nicht nur leere, banale Phrasen sein, die einfach nur wiederholen, was hundert andere vor mir schon einmal gesungen haben. Die Themen bleiben zwar immer die Gleichen in der Musikwelt, aber die Worte, mit denen ich sie beschreibe, sollen sich von denen anderer abheben. Ansonsten ist meine Musik bisher sehr akustisch; man hört also genau, welche Instrumente gespielt wurden. Das wird größtenteils auch so bleiben. Sicher werden ein paar elektronische Elemente einfließen. Häufig genug habe ich aber noch Big Band Instrumente im Kopf, wenn ich meine Songs komponiere.

Wie schätzt Du das Standing von jungen Künster*innen in der Gesellschaft generell ein? Wie häufig hast Du schon gehört: »Jetzt mach doch mal etwas Gescheitetes!«

Bisher habe ich tatsächlich kaum solche klassischen Kommentare gehört, sondern, dass ich zu viel von mir teilen würde. Menschen, die mir näher stehen, haben mich davor gewarnt, dass ich aufpassen solle, wie viel ich von meinen Emotionen preisgebe. Aber mir geht es gut damit, weil meine Kreativität auch von meinen Emotionen kommt. Ansonsten bin ich vermutlich noch vor derlei Kommentaren geschützt, da ich etwas anderes studiere. Obwohl viele bei Politikwissenschaft zwar auch nicht die besten Zukunftsperspektiven vermuten, konnte ich die Leute mit »handfesten« Jobs wie Journalismus oder Stiftungsarbeit beruhigen. Wenn ich im Anschluss wirklich Musik studieren sollte, dann wird das wahrscheinlich noch einmal anders.

Aber, wie Du schon angekündigt hast, fließt das Politikwissenschaftsstudium bald mehr in Deine Texte ein.

Ja, grundsätzlich möchte ich mehr politisch schreiben. Ich habe nur letztlich den klassischen Powi-Schock erlitten, dass man mit dem Studium erst einmal die Orientierung verliert. Aber die Erkenntnisse, die ich inzwischen gesammelt habe, können mit Sicherheit in Zukunft einfließen. Es ist nur schwieriger, diese Gedanken schön zu formulieren, finde ich. Idealerweise noch in Reimform. Aber Texte, die einfach nur idealistische Parolen rausschreien, kann ich inzwischen auch einfach nicht mehr vor Publikum spielen. Ich möchte die Dinge differenzierter darstellen.

Wenn wir schon bei Kunst und Politik sind: Wie war es für Dich als Musikerin durch Corona nicht auftreten zu können, vor allem kurz nach Deinem Album-Release?

Ich hatte noch das Glück, dass ich vor Corona bereits einige auch kleinere Konzerte zur Promotion meines Albums gespielt hatte. Dadurch, dass ich im Sommer und Herbst dann auch wieder ein paar Mal auftreten konnte, habe ich allerdings gemerkt, wie sehr mir vor allem das Feedback fehlt. Deshalb habe auch viel gezweifelt und mich gefragt, ob ich gut genug bin. Bei meinen Live-Auftritten gibt sonst immer zumindest ein-zwei Leute, die ich total mit meiner Musik abholen kann, und die mir das auch mitteilen. So etwas motiviert natürlich und gibt mir die Selbstsicherheit, weiter zu machen.

Für viele hauptberufliche Künstler*innen ist die Zeit gerade sehr hart und geht an die Existenz. Wurde Deiner Meinung nach genug getan für die Kulturszene?

Ich glaube schon, dass die politischen Entscheidungsträger*innen das Richtige machen wollen und sich Mühe gegeben haben, Gelder auf den Weg zu bringen. Aber dafür verstehen sie häufig zu wenig von der Lebensrealität vieler Künstler*innen. Deshalb wurden Richtlinien teilweise so festgelegt, dass die Maßnahmen Betroffenen kaum etwas bringen.

Diese fehlende Verbindung zwischen Künstler*innen und Politiker*innen sagt meiner Meinung nach auch viel über den Stellenwert von Kunst in der Gesellschaft aus.

Ich hoffe einfach, dass diese Situation eine Bewusstsein dafür schafft, dass auch Künstler*innen Geld verdienen müssen. Häufig wird vergessen, dass es auch Geld kostet, Musik zu produzieren: die Instrumente, das Studio, Fahrtkosten, Miete für einen Proberaum. An der Musikbranche hängen ja auch noch andere Berufe wie Veranstaltungsmanager*innen oder Tontechniker*innen. Wenn ich an Öffnungsstrategien denke, verstehe ich schon, dass andere Bereiche erst einmal essentieller sind, als beispielsweise Theater. Andererseits zeigt diese eindeutige Priorisierung auch, dass die Kultur- und Freizeitbranche als so »unwichtig« erachtet wird, dass nicht einmal darüber nachgedacht wird, was infektionstechnisch möglich wäre. Deshalb bleibt lieber alles pauschal dicht. Andererseits möchte ich auch nicht die Entscheidung treffen, was vertretbar ist und was nicht.

Auf Ronjas Webseite und Instagram Profil findet Ihr Aktuelles und natürlich ihre Musik.

Beitragsbild: ©WildShifts Pictures

Und zum Schluss noch ein paar Empfehlungen aus Ronjas Repertoire:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert