Feminis:muss: Chivalry is dead, isn’t it?

Feminis:muss: Chivalry is dead, isn’t it?

Jede*r kennt sie: die schwarz-weiß getünchten Gentlemen aus den nostalgischen Wehmutsfilmen der 1950er Jahre. Sie geleiten die werte Dame zu Tische, schieben ihr den Stuhl zurecht, damit sie ihr zartes Pöchen nicht daneben platziert und bestreiten dann virtuos – und meistens ganz allein – eine Konversation (Monolog) von immenser Wichtigkeit. Hachja … das wünscht sich frau* doch zurück in Zeiten von Emanzipation und »Radikalfeminismus«. Oder?

von Anna-Lena Brunner

Vor einiger Zeit wollte es das Schicksal so, dass sich meine Wenigkeit in einer vollgestopften londoner U-Bahn zur Prime-Time-Rush-Hour wiederfand. Und jede*r, der*die jemals auch nur annähernd in einer ähnlichen Situation gewesen war, versteht mich, wenn ich sage: Welcome to hell on earth! 

Schwitzig stinkende Leiber reiben sich aneinander. Es liegt ein schaler und trauriger Geruch in der Luft, der an lieblose Büroräume und einmal zu oft getragene Hemden erinnert. Nie zuvor in der Geschichte des Neids wurden Menschen so sehr beneidet, wie jene, die einen der wenigen Sitzplätze ergattern konnten. Und einer dieser Glücklichen fixiert mich, die Glücklose, mit einem durchdringenden Blick. Wow, toll, here we go again, denke ich mir und starre gekonnt in die andere Richtung – bemüht niemandem direkt ins Gesicht zu sehen, was bei der schieren Dichte an Gesichtern sicherlich kein Zuckerschlecken ist. 

Ich spüre den Blick des Fremden immer noch auf mir und bete alle mir in den Sinn kommenden Götter und Göttinnen an, von denen ich jemals in einer Terra X Doku erfahren habe: Bitte macht, dass mich dieser Creep in Ruhe lässt! Sämtliche göttliche Macht, gespeist aus dem ZDF-Vorabendprogramm, hilft nichts und der Typ spricht mich an: »Hey there!«, flötete er in seinem britischen Singsang. »Would you like to take my seat?« Ich blicke kurz perplex drein und schaue mich um, ob er auch ganz sicher mich meint. Aber ja. Er guckt mich immer noch in freudiger Erwartung an, als ob er hoffe, gleich ein Leckerli oder ähnliches für sein gentlemännisches Verhalten zu bekommen. Wohl fühle ich mich dabei ganz und gar nicht, vor allem da um mich herum ältere Personen und BIPoC stehen, die er allerdings nicht gefragt hat. Also antworte ich mit piepsiger Stimme: »No, thanks!«  

Und das war anscheinend die falsche Antwort. Denn diese bricht einen Rant von Zaun, bei dem sogar Olli Pocher die Augen wässrig würden. Der not-so-gentleman-like Gentleman zetert: »Now you can’t even offer a woman a seat or what? That is not feminist enough, isn’t it? You know what? F*** Feminism! I was just trying to be nice you little c***! Because I’m a nice guy and you are a bitch! F*** you, bitch!«  

Ja, well. Was soll man darauf noch groß antworten? Meine Wenigkeit, die sowieso konflikttechnisch nicht unbedingt das größte Selbstbewusstsein hat, stiehlt sich so schnell sie kann aus der U-Bahn und wartet auf die nächste. Gentlewoman quasi, die ich bin. 

Ok, aber was hat der tollwütige Brite aus der U-Bahn mit dem charming Anzugträger aus den 1950ern zu tun? Mehr als man* denkt vielleicht. Denn beide – wenn auch auf sehr unterschiedlich Weise – bedienen sich des Narrativs der Chivalry, des Gentlementums, das im Grunde inhärent sexistisch, rassistisch und toxisch ist. Wieso? Ist doch ganz nett, wenn (weiße, heterosexuelle, cis-) frau* einen Platz angeboten bekommt oder die Autotür nicht selbst öffnen muss, oder? Ja, ganz nett … aber nur wenige Schritte davon entfernt, dass man* weiblichen Personen selbständiges Handeln und Denken versagt. Denn was suggerieren diese gentlemännischen Handlungen? Dass die weibliche Person zu schwach ist, um selbst die Tür zu öffnen, zu schwach, um fünf Minuten in der U-Bahn zu stehen und vom großen, starken Gentleman beschützt werden muss von allen Gefahren dieser Welt. Auch wenn die Gefahr gerade nur aus einer geschlossenen Tür besteht. 

Ich will hiermit keineswegs einem höflichen, rücksichtsvollen Miteinander abschwören. Wirklich nicht. Gerade in Zeiten wie diesen, erachte ich es als extrem wichtig, dass wir uns unsere Freundlichkeit bewahren. Einfach mal nett sein und mehr lächeln sind doch schöne Vorsätze für das Jahr 2021. 

Diese Vorsätze sollten meiner Ansicht nach aber nicht auf sexistischen und rassistischen Idealen basieren, die sich in einer Zeit generierten, in der die Frau noch die Erlaubnis des Ehemanns brauchte, um arbeiten gehen oder ein Konto eröffnen zu dürfen. 

Deshalb kleiner Tipp an alle woken Gentlemen da draußen und alle, die es noch werden wollen: Bietet doch euren Sitzplatz einfach mal dem älteren Mann an, der sichtlich Schwierigkeiten hat zu stehen. Oder kauft eine Packung medizinischer Masken und verteilt sie an Obdachlose. Es gibt so viele Möglichkeiten, gentle zu sein. Also packt die Gelegenheiten bei der Hand! Jede*r kann ein Gentleman*woman sein oder wie es immer so schön heißt: Just don’t be a fu***** as*****!

Beitragsbild: ©Annie Spratt on Unsplash

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