Feminis:muss: Warum wir alle Feminismus brauchen

Feminis:muss: Warum wir alle Feminismus brauchen

Noch immer führen wir Debatten, wie wir die Strukturen unserer Gesellschaft ändern können. Das Ziel: eine gleichberechtigte Stellung der Geschlechter. Deshalb frage ich mich: Wieso ist das so? Weshalb müssen wir die Debatten über Gleichberechtigung noch führen? Warum wirkt der Feminismus für viele irgendwie uncool und überholt? Im Folgenden: ein Versuch, Antworten zu finden.

von Bianca Wilhelm

Die Gleichberechtigung der Geschlechter erlangen wir nicht allein mit Frauen, die über Sexismus, Ungleichberechtigung und Abwertung berichten. Es braucht auch »die Gewinner« unseres Systems – Männer – die ihre Privilegien und Ungerechtigkeit erkennen und sich für nicht-hegemoniale Gruppen einsetzen und sie unterstützen. Deshalb müssen auch Männer erkennen, dass auch sie in manchen Bereichen unter den Strukturen leiden und von gesellschaftlichen Vorstellungen eingegrenzt werden. Damit will ich zwei Sachen sagen: Wir alle brauchen die Gleichberechtigung der Geschlechter und um dies zu erlangen werden alle gebraucht.

Warum Feminismus »cool« für Männer ist

Eigentlich sollte es meiner Meinung nach schon cool genug sein, sich für Menschen einzusetzen, die unter einem System leiden, von dem man* selbst profitiert. Aber das reicht irgendwie nicht, um alle zu überzeugen sich für den Feminismus einzusetzen. Also stellt sich die Frage: Warum leiden auch Männer unter dem patriarchalen System?

Es sind vor allem die klassischen Geschlechterrollen, die für Männer zu Problemen werden können. Der gesellschaftliche Anspruch an Männer immer stark sein zu müssen – ob körperlich oder psychisch – und nicht über Probleme und Ängste zu sprechen, führt zu einem großen Druck, dem nicht alle stand halten können. Laut dem Statistischem Bundesamt wurden 2019 in Deutschland 76% der Selbstmorde von Männern begangen. Als häufigste Ursache für einen Suizid gelten psychische Erkrankungen, wie zum Beispiel Depressionen, die jedoch nach wie vor als »Frauenkrankheit« betitelt werden. Ist klar! Wenn’s um den Kopf geht, kann der Mann ja gar nicht betroffen sein. Er, der starke Mann, ist ja viel zu rational und so weiter, jaja. 

Die Tatsache, dass jährlich mehr Depressionen bei Frauen diagnostiziert werden als bei Männern, lässt sich darauf zurückführen, dass Frauen allgemein häufiger ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Dass dies vor allem der Fall ist, wenn es um präventive Arztbesuche geht, spiegelt sich auch in meinem Freundeskreis wieder: Während ich, wie eigentlich alle meiner weiblichen Freundinnen, seit meiner Jugend jährlich zu meiner Frauenärztin zur Krebsvorsorge gehe und im gleichen Zuge noch einen Chlamydientest mache, war mein Freund noch nie bei einem*r Urolog*in. Auch weitere männliche Freunde erzählen mir, dass sie nur aufgrund von akuten Problemen eine*n Urolog*in aufsuchten, nicht aber für Vorsorgeuntersuchungen. Komisch, zur jährlichen Zahnvorsorgeuntersuchung geht ja auch jede*r – hoffentlich. 

Klar, zur Zahnvorsorgeuntersuchung muss man* irgendwie, ansonsten zahlt die Krankenkasse im Falle einer Behandlung nicht. Aber vielleicht liegt auch hier der Fehler im System: Warum wird die jährliche Vorsorgeuntersuchung bei einem*r Urolog*in erst ab einem Alter von 45 Jahren von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, wenn eine vergleichbare Vorsorgeuntersuchung bei Frauen schon ab dem 20. Lebensjahr von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen wird? Wieso machen wir bei den Genitalien einen Unterschied?

Was mir in letzter Zeit auch vermehrt auffiel, ist, dass viele männliche Personen Schwierigkeiten haben über Gefühle zu reden. Dass sie es einfach nicht gelernt haben oder nicht so erzogen wurden. Ich möchte hierbei gar nicht verallgemeinern und sagen, dass es nicht auch Männer gibt, die sehr gut über Gefühle und Ängste reden können. Was man* glaube ich nicht außer Acht lassen darf, ist, dass die Zuordnung zu einem Geschlecht spätestens bei der Geburt erfolgt und gesellschaftlich viel mehr darstellt als nur einen Unterschied der Genitalien. Die Kategorie Geschlecht hängt mit Zuschreibungen zusammen, die letztendlich nicht mehr auf den rein biologischen Unterschied zurückzuführen sind. Beispielsweise eben jene Kategorien, die Mädchen und Frauen Emotionalität, Zärtlichkeit und Feingefühl zusprechen, während Jungen und Männern Rationalität, Härte und Klarheit zugeschrieben wird. Diese Kategorien sind omnipräsent, manchmal versteckt und schwer zu erkennen. Oft zeigen sie sich auch in kleinen Situationen, die aufgrund der Geschlechter gesellschaftlich unterschiedlich bewertet werden. 

So zum Beispiel auch, wenn wir zwei Personen miteinander kuscheln sehen. Handelt es sich um zwei Frauen, so ist der Anblick nicht weiter verwunderlich. Durch das Zurückgreifen auf die Kategorie »Frau« und das Übereinstimmen mit bestimmten Geschlechterrollen beziehungsweise Begriffen, erscheint uns die Situation normal. Anders verhält es sich, wenn zwei Männer miteinander kuscheln. Hierbei wird dann meist ein sexuelles Verhältnis vermutet. Die Tatsache, dass es sich auch trotzdem um eine platonische Freundschaft handeln kann, rückt in den Hintergrund, da das Verhalten nicht mit den Kategorien übereinstimmt.

Anhand der oben genannten Beispiele habe ich versucht, einige Nachteile, die sich für Männer in einer nicht-gleichberechtigten Gesellschaft ergeben, darzustellen. Wir sollten alle die alten Vorstellungen von »den« Geschlechtern fallen lassen, sollten reflektieren, wann wir noch in ihnen gefangen sind, um die Grenzen verschwimmen zu lassen, sodass sie hoffentlich bald gänzlich verschwunden sind.

Also liebe »starke Männer«: Nehmt ärztliche Hilfe in Anspruch, sprecht über Gefühle und Ängste, kuschelt mit männlichen Freunden, bringt das gesellschaftliche Bild des starken Mannes zum Bröckeln, bevor ihr daran zerbröckelt.

Falls ihr euch noch mehr mit dem Thema auseinandersetzen wollt, empfiehlt euch Bianca die Fernsehepisode »Mannomann! Moderne Männer, wo seid ihr?« des Reportagenformats Rabiat, das ihr in der ARD-Mediathek findet. Die Folge beschäftigt sich mit dem Thema Männlichkeit und Rollenbilder.

Beitragsbild: © Annika Weertz

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