Lautstark: Pop Extravaganza á la Xiu Xiu

Lautstark: Pop Extravaganza á la Xiu Xiu

Wer oder was ist bitte schön Xiu Xiu? Wieso schon wieder so eine Nischenreview? Kann es nicht mal eine Bandvorstellung geben, bei der man* wenigstens den Namen aussprechen kann? Ja, kann es – nur nicht heute. Denn heute ist Xiu Xiu dran, eine der wichtigsten Bands, wenn es um whacky, experimentelle Popmusik geht.

von Celina Ford

Eine Band für das »worst case scenario«

»How does a pig even walk back into the house with only one not broken leg?«, »What if the bear was just a dumbass?« Ohne Zweifel die großen Fragen des Lebens. Nein, hier hat niemand »random question generator« auf Google eingegeben, das sind Lyrics der aus San Jóse (USA) stammenden Band Xiu Xiu.

Xiu Xiu (wird [ʃuː ʃuː] ausgesprochen) wurde 2002 von Jamie Stewart nach der Auflösung seiner Band »Ten In The Swear Jar« gegründet. Der Name ist eine direkte Anspielung auf den chinesischen Film »Xiu Xiu: The Sent Down Girl« (1997), der laut Stewart das Hauptvorhaben der Band – die erschütternde Realität und Anarchie des Lebens in Musik zu übersetzen und meist vom »worst case scenario« auszugehen – perfekt visualisiert.

Und wie klingt das »worst case scenario«? Nach absoluter künstlerischer Freiheit. Bei Xiu Xiu gibt es keine festen Regeln. Die Band lässt sich zwar grob als Vertreter experimenteller Popmusik einordnen, aber das wäre viel zu kurz gedacht. Xiu Xiu sind nicht nur Pop, sondern auch Noise, Post-Punk und Art Rock. Zudem verbinden sie Einflüsse der elektronischen Musik mit indigenen Instrumenten. Das mag jetzt nach einem wilden Durcheinander klingen – ist es manchmal auch -, aber irgendwie funktioniert es. Sehr gut sogar. Was dieses ganze Paket zusammenschnürt, ist, neben dem hypertheatralischen Vibrato von Jamie Stewart, nämlich auch die Produktion und das Spiel von Angela Seo, die schon seit 2009 mit von der Partie ist. Zusammen verwandeln die beiden Xiu Xius Musik in eine Audiokunstinstallation, die dabei aber nie prätentiös wirkt oder zu einem Augenverdrehen nötigt.  

Das Xiu Xiu’sche Erfolgsrezept

Die Diskographie der Band könnte genauso gut die von drei Bands darstellen. Wo die ersten Alben »Knife Play« (2002), »A Promise« (2003), »Fabulous Muscles« (2004), »La Forêt« (2005) und »The Air Force« (2006) noch sehr experimentell und ziemlich out there sind, liebäugeln die späteren Alben »Women as Lovers« (2008), »Dear God, I Hate Myself« (2010) und »Always« (2012) definitiv öfter mit Elementen des Pop als mit großen musikalischen Experimenten.

2013 machten Xiu Xiu mit einem Nina Simone Coveralbum – einfach nur »Nina« genannt – auf sich aufmerksam. Mit »Angel Guts: Red Classroom« (2014) und einem Kollaborationsalbum mit dem japanischen Noisekünstler Merzbow namens »MERZXIU« (2015) kehrte dann jedoch schnell wieder die Experimentierfreude zurück. Und zwar mit einer solchen Wucht, dass es teilweise ein echter Belastungstest für die Ohren und das Gemüt ist, diese beiden Alben in einem Sitting durchzuhören.

Mein Interesse an Xiu Xiu begann aber vor allem mit dem Album »Plays the Music of Twin Peaks« (2016). Wie der Name verrät, geht es hier um die Musik der legendären 90er Jahre Serie »Twin Peaks«. Die von David Lynch kreierte Mysteryserie handelt vom Mord an der im Ort Twin Peaks allseits beliebten Prom Queen Laura Palmer, den rätselhaften Umständen ihres Todes und dessen Aufklärung durch den FBI-Agenten Dale Cooper. Der Originalsoundtrack von Angelo Badalamenti ist ikonisch und eigentlich ist es schier unmöglich, diesen noch zu verbessern. Doch irgendwie schaffen es Xiu Xiu, die Musik noch unheimlicher und durch ihre Eigenheit weirder zu machen.

Partners In Crime: Angela Seo und Jamie Stewart. © mxdwn Music

Das nachfolgende Album »Forget« (2017) ist ein weiteres experimentelles Popalbum. Für Xiu Xius Verhältnisse ist es ziemlich zahm, trotzdem lassen sich auf dieser Platte auch einige der besten Tracks der Band finden. Weil das Album nicht so fordernd ist wie die üblichen Veröffentlichungen von Xiu Xiu, ist es definitiv ein guter Einstiegspunkt in die Diskographie und ein Vorgeschmack auf das, was eine*n erwartet, sollte man* die Büchse der Pandora in der Welt von Xiu Xiu öffnen wollen.

Das aktuelle Album, »Girl With Basket of Fruit« (2019), ist für mich jedoch das Werk, welches alle Aspekte von Xiu Xiu am besten miteinander verbindet: Die LP ist poppig, experimentell, furchteinflößend, teilweise lassen sich – so komisch es klingt – dystopische Clubbanger finden. Mit dem Song »Mary Turner Mary Turner« ist sie extrem politisch und bleibt dabei doch dem künstlerischen Auftrag Xiu Xius (man* erinnere sich an die Verworrenheit des Lebens) treu.

Neben der Musik sind es vor allem aber natürlich die Lyrics, die Xiu Xiu dieses gewisse Extra verleihen. Wie bereits anfangs angedeutet, können diese sehr abstrakt sein und zu dem Schluss verleiten, nur so arbiträr und zusammengewürfelt zu sein, um Leute vor den Kopf zu stoßen. Stewart betont jedoch, dass für ihn alle Texte sehr persönlich sind und immer die Verbindung der Themen Familie, Politik, Sex(ualität), Liebe, Einsamkeit und Tod in den Mittelpunkt stellen. Und alle, die die Lyrics nicht nur überfliegen, sondern sich die Zeit nehmen, diese auch zu interpretieren, spüren das.

Die Antwort auf die Frage, warum die Band »trotz« ihrer besonderen Art Erfolg hat, lautet also: Bei Xiu Xiu werden Themen, mit denen sich jede*r im Laufe des Lebens früher oder später auseinandersetzt, auf groteske Art und Weise behandelt, durch den Fleischwolf gedreht und ab und an auch eine Schweinemetapher mit hineingesprenkelt. Voilà.

 

Titelbild: © Billboard

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