Mov:ement: Miese Friesen, fiese Kerle – japanische Yankii Filme

Mov:ement: Miese Friesen, fiese Kerle – japanische Yankii Filme

In unserer neuen wöchentlichen Kolumne »Mov:ement« werden sämtliche Themen behandelt, die irgendwie mit Film und Kino zu tun haben. Den Anfang machen ein paar japanische Filme rund um etwas zu cool geratene Schulschläger, die meine Jugendzeit mitgeprägt haben. Action, Drama, Ästhetik, Trash – die sogenannten Yankii Filme haben alles.

von Elias Schäfer

Als Jugendlicher mit Hang zum Rebellentum, zur Punk-Musik und zur japanischen Pop-Kultur gab es für mich kaum eine größere Offenbarung, als Filme zu entdecken, die sich rund um ziellose und nonkonformistische Jungs drehten, die sich als Ausgestoßene sahen und sich einen Dreck um soziale Normen scherten (etwas edgy, aber hey, einen 16-Jährigen in einer bayerischen Kleinstadt kann so etwas schnell begeistern). Sie verprügelten sich gegenseitig zu japanischem Rock, sie verliebten sich, schlossen und vertieften Freundschaften, haderten mit sich selbst und mit ihrem Leben und wurden durch all diese Erlebnisse reifer und erwachsener. Das Genre des Yankii Films ist somit schnell erklärt: Eben angesprochene Typen machen aus ihrer Schuluniform ein relativ cooles Kleidungsstück, denken sich, dass sie durch Gewaltausbrüche und Gang-Mentalität die Vorherrschaft an ihrer jeweiligen Schule erringen können, hauen sich in äußerst stilisierter und dramatischer Art und Weise aufs Maul, nur um die Sinnlosigkeit ihres Daseins zu erkennen und schließlich doch mehr oder weniger einen anderen Sinn im Leben zu finden. An sich sind es klassische Coming-of-Age Filme, die mit einer Prise japanischer Weirdness gewürzt werden und an absolut verranzten und mit Grafitti vollgetaggten Schulen spielen.

Der Begriff »Yankii« selbst ist eine japanisierte Version des englischen Wortes »Yankee«, das heutzutage typische Landesbewohner*innen der USA bezeichnet. Dieser Name kommt davon, dass delinquente Jugendliche in Japan sich oft an einem gewissen US-amerikanischen Trash-Style orientieren, was Mode, Verhalten und Musikgeschmack angeht; namentlich sind sie meist Fans von Rockabilly, Motorrädern und Schmalzlocken. Hinzu kommt, dass sie von der traditionelleren Gesellschaft in Japan als Pendant zum amerikanischen »White Trash« gesehen werden, da sie meist auch entweder aus der Arbeiterklasse oder aus ärmeren Vororten stammen. Dabei gibt es subkulturelle Aufteilungen in Banchō (männliche Delinquenten) und Sukeban (das weibliche Äquivalent dazu) sowie in die Bōsōzoku-Bewegung, die von Tuning-versessenen Auto- sowie Motorradfahrer*innen dominiert wird. Diese ästhetischen Erkennungsmerkmale werden noch durch eine inhärent japanische Denkweise, die sich rund um einen speziellen, an die Yakuza (japanische Mafia) erinnernden Ehrenkodex dreht, ergänzt.

Jugendliche, gewaltbereite Gangs sind in der allgemeinen Popkultur seit jeher eine Goldgrube: Kaum eine andere Form des gesellschaftlichen Zusammenschlusses verbreitet so eine Art von Freiheit, Regellosigkeit und Coolness, die auch durch den Zusammenhalt innerhalb der jeweiligen Gruppe und durch verschiedene dramatische oder stilistisch ansprechende Stories entsteht. Ein Film-Klassiker aus den USA, der so eine Atmosphäre versprüht, ist beispielsweise »Die Warriors« aus dem Jahre 1979 von Regisseur Walter Hill, der einige New Yorker Gangs, die anscheinend gleichzeitig auch Modeikonen sind, gegeneinander in Szenen mit toller musikalischer und ästhetischer Untermalung kämpfen ließ. In dieser Tradition würde ich auch die japanischen Yankii Filme sehen, die ihren bisherigen Peak Anfang bis Mitte der 2000er hatten. Inspiriert von bei Teenagern äußerst populären Animes oder Mangas wie »Great Teacher Onizuka«, »Fist of the North Star« oder »Rookies« bringen die Filme, die ich heute näher vorstelle, nämlich »Crows Zero«, »Drop« und »Blue Spring«, nicht nur whacky und etwas übertrieben heroisches Ambiente auf die Leinwände, sondern auch rührende Dramen über Freundschaft und Lebensziele sowie kurzweilige Actioneinlagen.

»Crows Zero« + »Crows Zero 2« (Takashi Miike, 2007/2009)

Schüler der Suzuran High (in schwarz) und der Housen Academy (in weiß) stürmen in »Crows Zero« 2 aufeinander zu. © Mubi

Ich fange mit den beiden Filmen an, die meine Leidenschaft für dieses Genre so richtig geweckt haben, und die wohl auch meine liebsten darin sind: Die »Crows Zero« Filme, basierend auf den Mangas »Crows« und »Worst« des Zeichners Hiroshi Takahashi, handeln von den Protagonisten Genji Takiya (der von Shun Oguri gespielt wird, welcher gefühlt in jeder zweiten Anime-Filmadaption auftaucht; wie macht der Kerl das?), einem Yakuza-Sprössling, der an der Suzuran-Jungs-Highschool ankommt und dort direkt zum »Boss« aufsteigen will – an dieser Schule wird das Standing nämlich nicht durch materiellen Besitz oder sportliches Talent ermittelt, sondern man lässt die Fäuste sprechen; der Stärkste ist gleichzeitig der Anführer aller anderen Schüler. Im ersten Film, woraus auch das Beitragsbild entnommen ist, versucht Genji, sich an der Suzuran zurechtzufinden, Freundschaften zu knüpfen und seine eigene Kampftruppe namens »Genji Perfect Seihan« (GPS) aufzustellen, um gegen die Gang von Tamao Serizawa (Takayuki Yamada, der ebenso promiment in dieser Sparte vertereten ist) anzutreten, der als einer der stärksten Kämpfer der Schule gilt. Ganz nebenbei verliebt Genji sich in die R&B-Sängerin Ruka Aizawa und knüpft ein freundschaftliches Band mit dem Yakuza-Schergen Ken Katagiri, der Genji seine Loyalität verspricht. Genjis bester Freund aus Grundschultagen, Tokio Tatsukawa, ist mittlerweile in Tamaos Gang und zusätzlich auch noch herzkrank, was eine weitere Schippe Dramatik in den sowieso schon sehr melodramatischen Plot legt. Das soll aber keinesfalls eine negative Eigenschaft sein: Die Dramatik ist, neben dem launemachenden Soundtracks und den ausgiebigen, anspruchsvoll durchchoreografierten Fights einer der Hauptpunkte, warum »Crows Zero« so faszinierend ist. 

Die Fortsetzung, hierzulande »The Crows Are Back« genannt, knüpft direkt an das an, womit der vorherige Film aufgehört hat: Genji fordert immer wieder den legendärsten Kämpfer der Suzuran, einen äußerst großen und bulligen Typen namens Rindaman, heraus, nur um jedes Mal an ihm zu scheitern. Zusätzlich dazu fängt er einen Disput mit einer weiteren Highschool, der Housen Academy, an, mit der die Suzuran eigentlich einen Nichtangriffspakt hatte. Daraufhin steht er vor der Aufgabe, die rivalisierenden Gangs seiner Schule zu vereinen, um gegen die verfeindete Housen rund um Anführer Taiga Narumi bestehen zu können. Dabei bleibt der exzentrische Regisseur Takashi Miike beim Erfolgsrezept des ersten Filmes und führt dieses noch in einem viel größeren Maßstab aus, was ebenso äußerst unterhaltsam und noch geschliffener wirkt. Was diese beiden Filme ausmacht ist, dass sie die perfekte Mischung aus dem sind, was ich persönlich am liebsten in Filmen sehe: knallharte Action, eine Prise Romantik, interessante und emotionale Dialoge sowie Begegnungen, super Soundtracks und eine gehörige Portion Humor, die teilweise in komplette Absurdität ausartet. Tamao Serizawa kegelt zum Beispiel eine Gruppe Schüler mit einer überdimensionalen Bowlingkugel weg, wonach diese wie Ragdoll-Bowlingpins durch die Luft fliegen. Das erinnert sogar ein bisschen an die Kult-Gameshow »Takeshi’s Castle«, was für mich individuell nur positiv sein kann. Den dritten Teil, »Crows Explode« von Toshiaki Toyoda aus dem Jahre 2014, lasse ich hierbei galant aus. Er ist bei weitem nicht schlecht, doch durch einen neuen Cast und eine nicht ganz so mitreißende Story befindet er sich für mich meilenweit hinter den »Zero« Filmen.

»Drop« (Hiroshi Shinagawa, 2009)

Eine brüderliche und amüsante Szene aus dem Film »Drop«. © Animoapps

Während »Crows Zero« quasi die gute Mitte aller positiven Seiten des Yankii Genres darstellt, ist »Drop« etwas bunter, etwas lustiger, etwas wilder, etwas moderner. Dieser Film orientiert sich klar am Streifen von Takashi Miike, ohne ganz dessen Stärken und Epik zu erreichen, schafft es jedoch,  die japanische Banchō-Kultur in einem sehr poppigen, aber auch selbstreflektierten Rahmen darzustellen. Protagonist Hiroshi Shinanogawa (der nicht umsonst fast genauso heißt wie der Regisseur: der Film ist semi-autobiographisch) wächst in den 1980ern auf und liest gerne einen Manga namens »Be-Bop-Highschool«, der ihn dazu inspiriert, selbst zum Delinquenten zu werden. Er rasiert sich die Haare ab, färbt sie in einem grellen Rot und transferiert von seiner privaten Mittelschule in eine öffentliche Highschool, in der sich mal wieder hauptsächlich nur Schläger herumtreiben. Der Traum vom coolen, respektierten Draufgänger wird Hiroshi gleich von der Realität zerschlagen, als er vom Gang-Anführer Tatsuya Iguchi brutal verprügelt wird – jedoch gibt Hiroshi nicht auf und erlangt somit den Respekt Tatsuyas, der ihn in seine Gang aufnimmt. Daraufhin nimmt die Reise, die auf Freundschaft und der Fähigkeit, die richtigen Entscheidungen für sich selbst zu treffen, basiert, ihren Lauf.

»Drop« ist bei weitem kein tiefgründiger Film, sondern eher ein äußerst unterhaltsamer und spaßiger Streifen mit viel speziellem, japanischem Humor, der natürlich nicht für jede*n etwas ist. Dies ist allerdings nicht wirklich verwunderlich, da der Regisseur Hiroshi Shinagawa auch noch professioneller Comedian ist. Nichtsdestotrotz sind die Charaktere sympathisch, die Kampfszenen mitreißend (wobei sie die perfekte Balance zwischen brutalem Realismus und Absurdität halten) und die Interaktion zwischen den Gang-Freunden sehr erheiternd, beispielsweise, wenn sie sich zum Essen, Trinken und Labern treffen. Die sich prügelnden, ziellosen Teenager haben hinter ihrer harten Fassade auch eine weiche, emotionale Seite, die sich doch irgendwie um ihre Zukunft sorgt, was eine willkommene Abwechslung darstellt und die gesamte Szenerie noch angenehmer, greifbarer und mit sich selbst identifizierbarer macht. 

»Blue Spring« (Toshiaki Toyoda, 2001)

Ein blutiger Shot frisch aus der Toilettenkabine aus »Blue Spring«. © JCA Blog

»Blue Spring« ist in dieser Liste nicht nur der älteste Film, sondern auch der tiefgründigste, experimentellste und vom Pacing her langsamste. Der durch seinen Drogengebrauch Mitte der 2000er in Missgunst gefallene Regisseur Toshiaki Toyoda schafft hier nicht nur den stilistisch schönsten, sondern auch erzählerisch kunstvollsten aller Yankii Filme, die ich bisher gesehen habe. Alles fängt mit ein paar Schülern aus der Abschlussklasse der Asahi High School an, die ein selbstmörderisches Spiel auf dem Schuldach spielen: Derjenige, der so lange wie möglich in die Hände klatschen kann, ohne sich am Geländer festzuhalten ohne herunterzufallen, gewinnt und erlangt den Respekt als Anführer all seiner Mitschüler und sogar Lehrer. Im Mittelpunkt steht eine Gang, bestehend aus sechs Jungs, die sämtliche Hoffnung auf eine gute Zukunft verloren haben und deswegen apathisch und nihilistisch vor sich hinsiechen. Der passiv und depressiv wirkende Kujo gewinnt das Clapping Game, hat jedoch keinerlei Ambitionen, die traditionelle Form der Machterhaltung durch wilde Schlägereien mit Mitschülern weiterzuführen, was ihn von seinem besten Freund, Aoki, langsam entzweit, da dieser Kujos sowieso kaum vorhandenen Führungsstil widerspricht.

Brutale Kämpfe, poetische Monologe und einerseits deplatziert wirkende, andererseits äußerst stimmungsvolle Shots wie beispielsweise von blühenden Blumen gehen in »Blue Spring« Hand in Hand. Man merkt den deutlichen Einfluss eines Quentin Tarantino in vielen Szenen, deren Erscheinung durchaus an »Reservoir Dogs« erinnert. Das japanische Symbol schlechthin, die Kirschblüte, wird zu einem Zeichen des Übertritts vom Teenagerleben in die Erwachsenenwelt. In diesem Film wird sogar, in dem spezifischen Kontext des Highschool-Mikrokosmos, die Dualität der japanischen Gesellschaft offengelegt: Die Schönheit der natürlichen Umgebung und der Kultur steht in einem diametralen Gegensatz zu der Aussichtslosigkeit von Mitgliedern der Unterschicht sowie zum unglaublichen Leistungsdruck, zur Selbstisolation und zum Konformitätszwang. »Blue Spring« ist in keinster Weise perfekt erzählt, sondern ungeschliffen und roh. Er sprüht vor Emotionalität, was zeitweise zu konfusen Erzählsträngen führt; manche Charaktere sind auch durchaus überzeichnet und könnten direkt aus einem Manga entnommen sein, statt aus dem echten Leben – nichtsdestotrotz nimmt sich der Film trotz seiner kurzen Laufzeit von nicht einmal eineinhalb Stunden die Zeit, die Figuren sorgsam und komplex aufzubauen und für arthousemäßige Szenen zu sorgen, die sich mit krassen Gewaltausbrüchen und purer Verzweiflung abwechseln. Im Kontext der herkömmlichen Yankii Filme ist »Blue Spring« wahrlich einzigartig.

Beitragsbild: © Desuzone

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