Lautstark: Deftones – Konstant emotional, konstant horny, konstant gut

Lautstark: Deftones – Konstant emotional, konstant horny, konstant gut

In einer Szene voller brachialer Musik, extensivem Cringe, lustigen Frisuren/Outfits und dem Stigma, das Lieblingsgenre jedes psychisch instabilen Jugendlichen zu sein, stechen die Deftones positiv heraus. Es wird, anders als bei den Nu-Metal Kolleg*innen, eher auf Softness und Atmosphäre Wert gelegt, genauso stehen die Lieder mehr im Vordergrund als ein Visuals- und Personenkult. Im heutigen Lautstark-Artikel erfahrt Ihr, warum die Deftones eine der besten aktiven Bands sind, wie sie sich nach über drei Dekaden immer noch frisch halten können und warum Chino Morenos Stimme so verdammt sexy ist.

von Elias Schäfer

In der gesamten Nu-Metal Ursuppe, die sich nach dem knallartigen Niedergang des Grunge nach dem Tod Kurt Cobains Mitte-Ende der 1990er bildete, hatten die Deftones von Anfang an eine besondere Stellung inne. Die US-amerikanische Band aus Sacramento, Kalifornien, war nie so locker und spaßig wie Limp Bizkit, hatte nie den Mainstream-Appeal von Linkin Park oder die Aggressivität von Korn oder Slipknot – und doch leistete sie ihren ganz eigenen Beitrag zur Bildung einer gesamten, von Orientierungslosigkeit und mentalen Problemen geplagten und von MTV geprägten Generation an Jugendlichen. Doch, warum schreibe ich eigentlich im Präteritum? Nu-Metal war nur kurzzeitig »tot«, die letzten Alben der vorhin genannten Bands bewiesen nämlich, dass die Herren, von denen die meisten schon auf die 50 zugehen, es immer noch drauf haben. Genauso waren die Deftones nie wirklich weg, sondern liefern seit 1995 einen konstanten Output an Alben, die insgesamt immer als mindestens relativ erfolgreich rezipiert werden. Während andere Urväter des Genres sich immer wieder Ausrutscher leisteten, ist die Musik dieser Band im Schnitt nie wirklich qualitativ abgefallen und wenn, dann nur auf sehr subjektive Weise. Dies hat so einige Gründe: Die Deftones lösten sich schnell vom als unerwachsen und peinlich abgestempelten Nu-Metal, um ihre ganz eigene Sparte zu bevölkern. Irgendwo zwischen Zerstörungswut und Depeche Mode, mit einer Mischung aus Melancholie, Romantik und Verzweiflung, ist die fünfköpfige Truppe rund um Sänger und Teilzeit-Gitarristen Chino Moreno in einer ganz individuellen, atmosphärischen und ätherischen Welt zu Hause.

Die Anfänge der Band und: Was ist eigentlich »Nu-Metal«?

Ende der 1980er entschieden sich die skatenden High-Schooler Abe Cunningham (Schlagzeug), Stephen Carpenter (Gitarre) und Chino Moreno (Gesang), zusammen Musik zu machen und schrammelten so vor sich dahin; später kam noch Dominic Garcia als Bassist hinzu, der schnell von Chi Cheng ersetzt wurde. Die Ambitionen der Band bauten sich über die Jahre auf, doch jahrelang konnten sie sich nur mit Nebenjobs, kleineren Auftritten und viel, viel Werbung über Wasser halten – bis niemand geringeres als Madonna ihnen im Jahre 1995 einen Plattenvertrag anbot. Das erste Album »Adrenaline« war schon mal ein kleiner Achtungserfolg, den man allerdings nicht als wirklich nennenswert bezeichnen kann. Es folgte ein Gastauftritt im Film »The Crow: City of Angels« (1996), in dem die Band sich selbst spielen durfte, bis 1997 der erste Durchbruch kam: »Around The Fur«, das zweite Album der Deftones, katapultierte sie an die Speerspitze des damals noch jungen und aufregenden Nu-Metal Genres beziehungsweise der US-amerikanischen alternativen Musikszene: Ihre Songs, allen voran »My Own Summer (Shove It)« und »Be Quiet And Drive (Far Away)«, die groovige, tiefergestimmte Gitarren, treibende Drum-Beats und die unverkennbaren Vocals Chinos in sich vereinten und bis heute als Smash-Hits der Band gelten. Es folgten ausverkaufte Touren und ein Stammplatz in der Heavy Rotation von MTV.

Deftones am Anfang ihrer Karriere © Pinterest

Dass die Deftones so schnell so populär wurden, war dabei kein allzu großes Wunder, wenn man die Trends der späten Neunziger im Auge behält. Harte Grooves, häufige Wechsel der Laut/Leise-Dynamik und eine Mischung aus verletzlichen und aggressiven Vocals waren die Markenzeichen jeder Kapelle, die damals etwas auf sich hielt und erfolgreich werden wollte. Nu-Metal war die logische Entwicklung aus dem nicht ganz so fröhlichen Mindset der Generation X, der immer weiter voranschreitenden Popularität von Rap-Musik sowie der Vorarbeit der Crossover-Pioniere Rage Against The Machine, Red Hot Chili Peppers oder Faith No More, die Funk, Punk, Hip-Hop und Rock/Metal miteinander verschmolzen. Diese Szene explodierte wie eine Bombe und schuf eine ganz neue Jugendkultur, die aus Skaten, baggy Klamotten, verrückten Haarprachten und Depressionen bestand. Genauso schnell wie sie jedoch auf den Markt kam, wurde die große Welle an Nu-Metal jedoch auch ganz fix eingestampft, so dass nur noch die wirklich großen Bands mit diesem Sound Erfolg haben können – die Gründe dafür sind schlichtweg der Cringe, den diese Truppen oftmals porträtierten und die Unreife, die außerhalb der Edgy-MTV-Bubble einfach an niemanden vermittelt werden konnte. Das erkannten die Deftones äußerst schnell, klatschten an den Release von »Around The Fur« nicht noch drei Alben an, um die kommerzielle Kuh zu melken, sondern warteten bis 2000, um mit einem neueren, düsteren und sich vom restlichen Nu-Metal distanzierenden Sound aufzuwarten: »White Pony«, das Magnum Opus der Band, experimentierte mehr denn je mit atmosphärischen Sounds, vertrackten Songstrukturen und vom neuen Bandmitglied Frank Delgado dazugesteuerten Synthies. Chino Moreno haucht und stöhnt – fast zwei Dekaden vor dem Popularitätszuwachs von ASMR – mitten in die Gehörgänge, nur um im Refrain entweder smoothen, erhabenen Gesang vom Stapel zu lassen oder mit verzweifelten Schreien mitten ins Herz der Zuhörenden zu treffen. »Digital Bath«, meiner Meinung nach einer der besten Songs, die je geschrieben wurden, ist ein Paradebeispiel für aggressive Melancholie, für die Verbindung aus schön (Musik) und hässlich (Text), für Lust und Trauer. Zu kaum einer anderen Band im Heavy-Bereich kann man so sehr entspannen und sich einfach von den den Klängen der Kompositionen treiben lassen.

Trotz Tragödien und Zerwürfnissen muss es weitergehen

Der weitere Verlauf der Bandgeschichte ist leider kein rosiger: Während jedes in den 2000ern releaste Album verschiedene Formen von Erfolg feiern konnte, behinderten Spannungen zwischen Chino Moreno und Stephen Carpenter den kreativen Prozess. Diese gingen sogar soweit, dass über entweder den Rausschmiss Morenos oder die komplette Auflösung der Band diskutiert wurde. Zum Glück ist so etwas nie passiert – dafür gab es in einem anderen Fall ein großes Unglück. Chi Cheng, seit 1990 Bassist der Band, fiel nach einem schweren Autounfall 2008 in ein Koma, das einer Achterbahnfahrt glich. Mal schien er auf dem Weg der Besserung zu sein, dann traf ihn eine schwere Sepsis, dann wurde es augenscheinlich wieder besser, bis zum langsamen Erwachen, nur um in einem tödlichen Herzinfarkt Chengs im April 2013 zu enden. Die Deftones verloren somit nicht nur einen sehr talentierten Bassisten, sondern natürlich einen Freund, den man nie ersetzen kann. Doch da ihre Musik seit jeher von Melancholie, Trauer und schlimmen Ereignissen geprägt ist, wollte die Band irgendwie weitermachen. Sergio Vega übernahm ab 2009 erst vorübergehenderweise den Bass, nach dem Tode Chengs wurde er endgültig in die Band mit aufgenommen und läutete mit ihnen eine neue Ära ein: »Diamond Eyes« (2010, dessen Titeltrack einen der besten Refrains aller Zeiten beherbergt), »Koi No Yokan« (2012) und »Gore« (2016) wurden zu großen Erfolgen, letzteres wurde sogar seit ihrem selbstbenannten 2003er Werk zum kommerziell erfolgreichsten, da es in allen für die westliche Welt relevanten Charts in der Top Ten vertreten war.

Chino Moreno bei einem Live-Auftritt © Morecore

So konnten die Deftones trotz zwischenmenschlicher Probleme, trotz der Katastrophe mit Chi Cheng, trotz voranschreitenden Alters und trotz der immer mehr zunehmenden Verdrängung von härterer Rock/Metal-Musik aus dem Mainstream sich nicht nur immer wieder in ihrem eigenen Rahmen neu erfinden, ohne ihren ursprünglichen und bezeichnenden Sound aufzugeben, sondern zusätzlich dazu frisch bleiben und jedes Mal kommerzielle Erfolge feiern, sobald sie neue Musik herausbringen. Ein Deftones Album-Release ist immer wieder aufs Neue ein Event, auf das mit Vorfreude geblickt werden darf. Deftones sind eine Band, die in vielen Sparten der breiteren Gesellschaft einen Konsens schafft: So ist die Musik nicht nur für edgy Teens relevant, sondern für avantgardistische Musikhörende, für Goths, für Punks, für Metalheads, für Menschen, die Melodien und große Emotionen mögen, für Freund*innen von bewusstseinserweiternden Substanzen, für Leute, die entweder gerne entspannen oder im Moshpit abgehen wollen. Dabei biedert die Gruppe sich keineswegs an irgendwelche Trends an, sondern zieht den Sound durch, den sie haben will – und es wird von vielen gefeiert. Ihre Musik selbst ist von ätherischen Klängen geprägt, von traditionellem Groove-Metal, vom Synthie-Pop und New Wave der 80er, teilweise sogar von Hip- beziehungsweise Trip-Hop und natürlich von sich selbst, denn keine Band klingt gleichzeitig wie die Deftones, aber dann auch wieder überhaupt nicht, wie die Deftones. 

Balance und Wiedergeburt

Vor kurzem releaste die Band ihr neuntes Album namens »Ohms« und schaffte es mal wieder, die Gehörgänge von Millionen von Menschen, inklusive mir, zu verzaubern und die meisten Kritiker*innen zu begeistern. Auf dem ersten Track davon, »Genesis«, singt Chino Moreno folgende Zeilen: »I’ve finally achieved / Balance, balance, balance… / Approaching a delayed / Rebirth, rebirth, rebirth…«. Sie könnten nicht wahrer sein. Nach drei Dekaden klingen die Deftones mehr denn je so, als wären sie im Reinen mit sich selbst, als wären sie total gefestigt in ihrem Sound und ihren Zielen, und wirken trotzdem so, als würden sie nicht auf die 50 zugehen, sondern immer noch Jungspunde Anfang 20 sein. Vor allem Chino Morenos Stimme hat nichts von ihrem sinnlichen Charme verloren, der einige Fans dazu bringt, die Band in Sextones umbenennen zu wollen oder deren Musik in Playlisten für bestimmte intime Momente zu hauen. Noch immer setzen sie nicht auf Style over Substance – Chino Moreno trägt abgesehen von seinem gefühlt immerwährenden Goatee hauptsächlich Shirt/Hemd und, was denn sonst, Chinos. Allgemein sieht er aus wie der coole Nachbar, der zufällig einen Grill im Garten aufstellt und Dir die besten Burger der Welt brät – nur ist er gleichzeitig auch in einer der besten existierenden Musikgruppen. Der Rest der Band kann auch nicht unbedingt als flashy bezeichnet werden, genauso wenig wie ihre spärlichen Musikvideos. Live tragen sie ihr Material teilweise ebenso nicht auf die beste Art und Weise vor. Und doch lösen ihre Records einzigartige Emotionen sowie Reaktionen aus und sind perfekt, um alleine eine nächtliche Straße zu befahren, um romantische Stunden mit der liebsten Person zu verbringen, um in nostalgischen Erinnerungen zu schwelgen oder um einfach den Kopf auszuschalten und sich in ihre vielschichtige Audiowelt entführen zu lassen. 

Dabei helfen können Euch folgende Musikbeispiele:

Beitragsbild: ©Warner Music Germany

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