Lautstark: Tommy Cash – Rap wie im Fiebertraum

Lautstark: Tommy Cash – Rap wie im Fiebertraum

Schaut man sich die Charts an, fällt eines auf: Rap dominiert alles. Nicht nur auf dem amerikanischen Markt, sondern auch auf dem deutschen. Das bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass wir dadurch mit innovativer, provokativer und zum Nachdenken anregender Musik gesegnet werden. Ganz im Gegenteil: Oftmals lautet die Devise »copy and paste«. Wie aufregend und vielseitig Rap jedoch eigentlich sein kann, wenn man sämtliche Genregrenzen verwischt, zeigt der Este Tomas Tammemets alias Tommy Cash mit seinem Post-Sowjet-Rap.

von Celina Ford

Mit Rave an die Spitze

Im Jahr 1991, dem Jahr der estnischen Unabhängigkeit, kommt Tomas Tammemets im ärmsten Bezirk Tallinns, der Hauptstadt Estlands, zur Welt. Früh merkt er, dass er anders ist. Er verschmilzt nicht wie so viele mit den grauen Plattenbauten zu einer homogenen Masse. Er läuft mit Kilt durch die Gegend und hört amerikanischen Rap. Vor allem Kanye Wests Album »Graduation« hat es ihm besonders angetan. Mit fünfzehn Jahren entdeckt er seine Liebe zum Tanz und arbeitet sich zu einem bekannten Freestyle-Tänzer hoch. Schließlich entschließt er sich dazu, Kunst zu studieren: Der Anfang von Tommy Cash.

In der russischen Rave-Szene, die teilweise tagelang (und wahrscheinlich nur mit Drogen auszuhaltende) Witch-House-Parties (düstere, okkult-angehauchte Elektromusik) veranstaltet, traf er Anfang der 2010er Jahre auf Gleichgesinnte. Aus der Zusammenarbeit entstand 2013 das Debütalbum »Euroz Dollaz Yeniz«: Ein wilder Mix aus Rave, Pop, Gabber (eine Art Hardcore-Techno mit harten Synths) und Witch-House. Auch auf seinem zweiten Album »¥€$« (2018) zieht sich die kompromisslose Rave- Attitüde durch. Es ist jedoch nicht nur das musikalische Grundgerüst, das Tommy Cash über die Grenzen Estlands als ein Symbol für radikale künstlerische Freiheit bekannt machte. In seinen Texten behandelt er die Kargheit seiner Heimat und die perspektivlose Atmosphäre seiner Jugend. Und wie zig andere Rapper redet er natürlich auch über Geld. Jedoch nicht in der »Ich habe gerade mal eine Single rausgebracht und kaufe die nächste Gucci-Boutique leer«-Manier, da ist Cash schon etwas existenzieller.

Surrealer Post-Rap

©last.fm

Einer der wichtigsten Aspekte, den man bei Tommy Cash unbedingt erwähnen muss, sind seine unglaublich faszinierenden Musikvideos. Hier kommt seine eigentliche Selbstauffassung, nämlich ein Allround-Künstler zu sein, wirklich zum Ausdruck. Die Videos persiflieren oft die osteuropäischen Stereotypen – inklusive Adidas-Anzug und Slav- Squad (darin ist dieser ein echter Meister). Mit vielen surrealen Momenten, die einen fragen lassen, ob man gerade einen Fiebertraum erlebt, hebt Cash seinen Rap auf ein neues Level und macht ihn zum Gesamtkunstwerk. (Die Videos sind jedoch definitiv not safe for work!)

Und diese Lust, alles bis zum Limit zu pushen, kommt an: Die britische Sängerin Charli XCX, die russische Parodie-Rave-Band Little Big, das Berliner Electro-Duo Modeselektor und auch der amerikanische Designer Rick Owens kollaborierten schon mit dem Esten. Der Mix aus westlichem Rap, osteuropäischen Einflüssen, der Rave-Kultur, konzeptioneller Kunst und modernem Design lassen einen fragen: Ist das noch Rap? Ist das schon Post-Rap? Kann’s da bitte mehr davon geben?

Am Beispiel Tommy Cashs lässt sich festhalten: Man muss die Hoffnung in Sachen Rap und Hip Hop nicht aufgeben. Einige Veröffentlichungen, die da im Mainstream umherschwirren, lassen einen zwar über das ziemlich weit unten angesiedelte Niveau staunen, viele Underground-Künstler können jedoch (wie bei mir) die Liebe zum Genre neu entfachen. Dazu gehört neben Tommy Cash auch Ghostemane, der Rap, Metal und Hardcore-Punk zu einem Neuen zusammenführt. Clipping. vermischen Rap mit Noise-
Music. Bones, der Vorreiter der Cloud-Rap-Szene mit gescreamten Vocals, und Death Grips, die eh ihren ganz eigenen Film fahren, öffnen die Genregrenzen immer weiter und bereiten den Weg für diejenigen, die Rap neu erfinden wollen.

Und wen Tommy Cash immer noch nicht überzeugt hat: Es kommt nicht selten vor, dass dieser auf seinem Pferd durch den McDrive in Tallinn reitet. Da wird auch die Essensabholung zum Kunstwerk.

Hier noch ein paar Songs, damit ihr eine Kostprobe des verrückten Sounds des Esten habt:

Titelbild: ©Dummy Mag

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