Brexit – Schrecken ohne Ende?

Brexit – Schrecken ohne Ende?

Es kommt einem vor wie eine riesige Zirkusveranstaltung, gespickt mit einer Überdosis britischem Humor: Der Brexit beschäftigt Journalisten und Politikwissenschaftler seit Juni 2016 fast durchgängig. Ende Oktober wurde eine weitere Verlängerung in der Europäische Union beschlossen, um über einen rahmenrechtlichen Vertrag zu verhandeln. Grund genug, dass die Professur für Internationale Politik der Universität Regensburg zu einer Podiumsdiskussion zu diesem Thema geladen hat.

von Yvonne Mikschl

Unter der Moderation von Professor Dr. Stephan Bierling im Rahmen der Vorlesung »Brennpunkte der Weltpolitik« diskutierten Dr. Matthias Häußler (Historiker am Lehrstuhl für Europäische Geschichte), Christian Sigl (Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Politik) und Thomas Hacker (Bundestagsabgeordneter der FDP im Europa-Ausschuss) unter der passenden Überschrift »Brexit – Schrecken ohne Ende?« die wichtigsten Fragen zu diesem Thema.

Historisches Verhältnis zur Europäische Union prägt die Debatte

Häußler, der über 16 Jahre lang in Cambridge gelebt hatte, betrachtet den Brexit nicht als Phänomen des Moments, sondern im historischen Kontext als Kontinuitätslinie. Großbritannien habe seit dem Zweiten Weltkrieg ein skeptischeres Verhältnis zur Europäischen Union, da diese die Macht des Königreichs einschränkte. 1973 erfolgte zwar der Beitritt, doch nur im Zugzwang der Weltwirtschaftskrise. Tendenziell ist allerdings festzustellen, dass weder ein klares Argument für den Beitritt zur Europäischen Union gebracht wurde, noch allgemein ein Wissen bestand, was die Union für das Königreich überhaupt macht. Die Ursachen für eine Zustimmung zum Austritt lägen laut dem Historiker in der wirtschaftlichen und sozialen Abgehängtheit der Bevölkerung sowie der parteilichen Dynamik.

Tendenz zur Brexit-Müdigkeit in Großbritannien

Christian Sigl, der seinen Master am King’s College in London schrieb, erlebte die remain und leave Demonstrationen auf seinem täglichen Weg zur Universität. Obwohl die englische Hauptstadt als liberal gilt, stimmten dort die Einwohner mehrheitlich für den Austritt. Allgemein habe er allerdings festgestellt, dass in London eine Anti-Haltung der Öffentlichkeit zur Thematik gefahren wird – ein großer Sender in Großbritannien berichtet beispielsweise, ohne einmal das Wort Brexit zu verwenden. Dies mag damit zusammenhängen, dass bereits alles gesagt wurde und somit eine Tendenz zur Brexit-Müdigkeit und Verdrossenheit festzustellen sei.

In der Frage, wie fest die Leute davon ausgehen, dass der Brexit stattfindet, sind sich die Diskutanten einig. Der Austritt befände sich auf der Zielgeraden, die entscheidende Frage ist nur unter welchen Rahmenbedingungen wie beispielsweise zur Nordirland-Frage. Sigl geht hierbei auf den Vorschlag der Labor-Partei ein, die ein zweites Referendum anstrebt. Eine Befürwortung von 23 Prozent innerhalb Großbritanniens gäbe es, dennoch ist es unwahrscheinlich.

Johnsons Wahlsieg ist ungewiss

Ob es schon so gut wie sicher sei, dass Johnson die Wahl im Dezember gewinnen wird, ist für den Historiker nicht gewiss. Die Geschichte lehre wenig und den Umfragen sei nicht zu trauen, so Häußler. Außerdem seien die Positionierungen der einzelnen Parteien im Moment noch nicht endgültig, sodass eine Prognose für den Wahlausgang schwer aufzustellen sei. Ein gutes Beispiel hierfür ist der viel diskutierte Linksruck der Labour-Party in Großbritannien. Die Partei spielt im Parteiensystem keine wirklich entscheidende Rolle und hat gesellschaftlich aufgrund von Differenzen innerhalb der Partei einen schwierigen Stand und keine klar definierte Rolle, auch historisch betrachtet.

Großbritannien allein auf der Weltbühne

Während in der Innenpolitik Zerstrittenheit innerhalb der Parteien herrscht, bestimmt in der Außenpolitik seit den 90er-Jahren wieder das ehemalige Empire-Denken. Dieses wird aber durch die außenpolitische Realität gedeckelt. Großbritannien ist kein globaler Akteur, der alleine wenig Einfluss auf der Bühne der Weltpolitik hat. Zudem ist es laut Häußler schwierig, all die Bereiche aufzutrennen, in denen das Vereinigte Königreich mit eingewoben ist. Der Binnenmarkt in der Europäischen Union wurde unter Thatcher angeschoben, genauso die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die Europa auszeichnet.

Folgen für Deutschland

Sowohl wirtschaftlich als auch verteidigungstechnisch wirkt sich der Brexit auf die Ebene der einzelnen EU-Länder aus: Für Deutschland hätte es laut Hacker eine große Schwächung zufolge, wenn die Briten austreten. In der aktuellen Diskussion im Europa-Ausschusses des Bundestags, in der der Haushalt für die Europäische Union für die nächsten sieben Jahre beschlossen wird, wird Großbritannien als Partner Deutschlands in der Wirtschaft gesehen. Bei einem Brexit würde Deutschland nicht nur wirtschaftlich einen Partner verlieren, sondern auch im Machtgefüge in Europa.

Aufgrund dieser enormen Folgen hat sich nach dem Referendum 2016 im deutschen Parlament eine Brexit-Arbeitsgruppe geformt, die intensive Kontakte zu Europaausschüssen des britischen Parlaments pflegt und Gespräche führt. Pro Sitzung des Europa-Ausschusses werde im Moment eine Stunde mindestens über den Brexit diskutiert, wobei Sondersitzungen zu den Fristverlängerungen nicht unüblich sind. Die Verhältnisse im Ausschuss sind deutlich aufgeteilt: Die AfD ist für den Brexit, während alle anderen Parteien die Vorteile der Europäischen Union erkennen. Das größte Problem, das Hacker bei seiner Arbeit im Ausschuss sieht, ist, dass eine Analyse von außerhalb des Vereinigten Königreichs schwierig sei, wenn sich die Parlamentarier in London selbst nicht einigen können.

Europäische Union wächst durch den Brexit zusammen

Würde sich nach aktuellem Stand etwas für die Bürger in Großbritannien selbst ändern, war eine Frage aus dem Publikum. Aus der Sicht der Studenten dürfte sich im Moment nichts ändern, und wenn dann erst nach der Übergangsphase. Häußler stimmt dem zu, verweist aber darauf, dass der Teufel wahrscheinlich im Detail liegen dürfte. Damit verbunden steht die Frage, ob das Ende der Europäischen Union näher sei, als bisher angenommen. Aus der Perspektive Sigls wäre der Staatenverbund Europäische Union durch den Brexit erst zusammengewachsen und nicht spruchreif. Eine ähnliche These vertritt auch Häußler, der argumentierte, dass Europa in einer Zeit von Krisen lebe und ihre Legitimation den Einwohnern verständlich machen sollte, damit der Brexit nicht doch noch einen Domino-Effekt auslöst, wie 2016 befürchtet wurde. Auch der Staatenverbund innerhalb Großbritanniens sei durch den Brexit nicht gefährdet. Häußler nennt in diesem Zusammenhang das Beispiel Schottland, wo vor einigen Jahren ein Unabhängigkeitsreferendum gescheitert ist. Sollte es zu einer Unabhängigkeit von Wales oder Schottland kommen, so müssten sich die neu entstandenen Länder neu für die Aufnahme in die EU bewerben. Dafür habe die Europäische Union bereits einen harten Kriterienkatalog zusammengestellt, doch im Moment scheine die politische Konstellation in diesen Fällen nicht gut genug zu sein, um dies zu erringen, so der Historiker.

Hacker hofft, dass diese Abgrenzungen in Wellen kommen und sich so ein Verhalten, wie Großbritannien zeigt, bald wieder abflacht. Seiner Meinung nach sollte man die Vorteile und das Positive der Europäischen Union betonen. Vor allem betont der Politiker in seinem Schlusswort, dass die Menschen nicht unter einer Abgrenzung leiden dürften. Am Ende der Veranstaltung dankte Professor Bierling allen Zuhörern für ihr Kommen und den Gästen für die spannende Diskussion.

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