Ein Recht auf Rettung steht allen zu

Ein Recht auf Rettung steht allen zu

Ein Schiff kaufen und damit Seenotrettung auf dem Mittelmeer betreiben? Was für viele zunächst nach Utopie klingt, hat die Berliner Initiative »Jugend Rettet« in die Wirklichkeit umgesetzt. Ihr Ziel: Möglichst viele Menschenleben zu retten. Wie es zu diesem Projekt kam und wie es weitergehen soll, erzählt uns Jakob Schoen, – der Gründer von »Jugend Rettet«- im Interview.

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Das Kernteam von »Jugend Rettet« (www.facebook.com/JugendRettet/)

Jakob, du hast mit sieben anderen jungen Erwachsenen »Jugend Rettet« gegründet- eine Organisation, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, mittels eines eigens gekauften Schiffes in Seenot geratene Menschen auf der Flucht im Mittelmeer zu retten. Wie kam es zu diesem Projekt?
Die eigentliche Idee kam mir im April 2015, kurz nachdem ich von dem Schiffsunglück vor der Küste Lampedusas, bei dem 800 Menschen ums Leben kamen, gehört hatte. Vor allem die Gleichgültigkeit der Gesellschaft demgegenüber schockierte mich sehr. Gleichzeitig fasste ich aber auch den Entschluss wirklich aktiv helfen zu wollen und so die Situation der Menschen auf der Flucht auf dem Mittelmeer zu verbessern – der Grundstein für »Jugend Rettet« war also gelegt.

Werbeaktionen, Kauf und Umbau des Schiffes, Treibstoff, Lebensmittel…- bei einem Projekt von diesem Ausmaß gilt es viele Kosten zu tragen- wie wird »Jugend Rettet« denn finanziert?
Die Finanzierung setzt sich aus verschiedenen Quellen zusammen; einen Großteil der Erträge verdanken wir privaten Spendern und dem sogenannten Crowdfunding, wir konnten aber auch durch Stiftungskontakte sowie durch Spendenaktionen unseres Botschafternetzwerkes viel bewirken. Mittlerweile haben wir 123.000 Euro sammeln können, die wir für Umbau und Überführung des Schiffes verwenden werden. Das Schiff selbst wird durch ein Berliner Ehepaar finanziert, unter der Bedingung, dass »Jugend Rettet« die übrigen Kosten der Rettungsaktion selbst deckt.

Wie muss ein Schiff konstruiert sein, um für die private Seenotrettung zugelassen zu werden?
Wir haben gleich zu Beginn der Planung mit dem künftigen Kapitän und unseren maritimen Beratern festgelegt, welche Anforderungen ein solches (hochseetaugliches) Schiff erfüllen muss. Als Beispiel wäre hier die niedrige Höhe der Bordwand zu nennen, da man die Menschen so schneller und flexibler aus dem Wasser ziehen und an Bord holen kann. Darüber hinaus braucht das Schiff auch einen Kran, mit dem das Beiboot auf das Schiff gehoben werden kann und natürlich auch die nötigen Mittel zur medizinischen Erstversorgung.

Ebenso wichtig wie das geeignete Schiff ist die richtige Crew- worin bestehen die Aufgaben der einzelnen Helfer an Bord?
Den »Kern« der elfköpfigen Crew bilden Skipper (Kapitän), Steuermann und Maschinist, darüber hinaus werden Ärzte, Rettungssanitäter, ein Vertreter der Presse und viele weitere Helfer an Bord sein.

»Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen verpflichtet dazu, in Seenot geratene Menschen zu retten«

Das Schiff von »Jugend Rettet« wird eines von mehreren zivilen Rettungsschiffen im Mittelmeer sein- wie wird die Kommunikation zwischen den einzelnen Helfer-Schiffen geregelt bzw. wer ist für die Koordination verantwortlich?
Die Einsätze werden vom MRCC in Italien (Maritime Rescue Coordination), dem Seenotkoordinationszentrum geregelt, das den Überblick über die Rettungsschiffe im zuständigen Bereich des Mittelmeeres hat und alle Abläufe bzw. das weitere Vorgehen koordiniert. Die Entscheidungen des MRCC sind für uns wichtig, da wir natürlich eine rechtliche Grundlage für unseren Einsatz brauchen; das ist zum Beispiel das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, das dazu verpflichtet, in Seenot geratene Menschen zu retten. Das MRCC entscheidet darüber hinaus auch, welches Rettungsschiff welchen Hafen anzusteuern hat.

Was passiert, wenn die Rettung auf hoher See erst einmal geschafft ist?
Für uns ist es in erster Linie wichtig, die Menschen in Sicherheit zu bringen, das heißt wir steuern zunächst die sogenannten Rettungsinseln (aufblasbare Plattformen, auf denen circa 25 Menschen Platz haben) an und warten dann auf weitere Anweisungen des MRCC. Für den Transport zu den einzelnen Häfen werden dann Schiffe mit einer größeren Kapazität zuständig sein. In den Häfen angekommen, werden die Menschen dann erst einmal versorgt und dann an die zuständigen italienischen Behörden weitergeleitet.

Wie soll es nach dem ersten Monat mit der Finanzierung eures Projektes weitergehen?
Momentan rechnen wir mit laufenden Kosten von circa 40.000 Euro im Monat. Wir werden versuchen diese Gelder über die bisherigen Quellen einzunehmen, das heißt wir möchten die Summe weiterhin durch Spendenaktionen, Stiftungskontakte und Großspender stemmen. Es wird natürlich nicht einfach werden, aber ich glaube wir haben es bis jetzt auch gut meistern können und werden es schaffen, unseren Einsatz bis November weiterzuführen – das ist unser Ziel.

 »Diese Form der Gleichgültigkeit, die sich dort unten auf dem Meer abspielt, ist einfach bitter«

Wenn es eine Gruppe junger Erwachsener schafft, auf eigene Faust ein Rettungsschiff zu mobilisieren- warum schafft es die EU immer noch nicht, eine zentrale europäische Seenotrettung aufzubauen?
In diesem Fall deutet einiges auf politisches Kalkül hin, was am Beispiel der Seenotrettungsoperation Mare Nostrum, die 2015 ausgelaufen ist, deutlich wird: Mare Nostrum war eine gut konzeptionierte und funktionierende Seenotrettungsoperation, die aber bereits damals nur von einem Land getragen wurde und das war Italien. Italien hat zu dieser Zeit den größten Teil der Finanzierung alleine gestemmt, da sich andere EU-Mitgliedsstaaten nicht im Stande sahen, dem Ganzen finanziell unter die Arme zu greifen. Diese Form von Gleichgültigkeit, die sich dort unten auf dem Meer abspielt, ist einfach bitter. Sollte es sich tatsächlich um politisches Kalkül handeln, muss man sich fragen: Wie kann es sein, dass ein Kontinent wie Europa, der für kulturelle Vielfalt, Werte und die Einhaltung unserer Verfassung- besonders den Schutz menschlichen Lebens- plädiert, die Augen vor seinen Außengrenzen derartig verschließen kann? Dieser Frage muss sich Europa auf jeden Fall stellen, da auch für dieses Jahr hohe Todeszahlen erwartet werden und bisher kein staatliches Rettungsprogramm in Sicht ist.

Wie kann ich mich als junger Erwachsener für »Jugend Rettet« engagieren?
Da gibt es eine Reihe von Möglichkeiten; was uns aber am meisten helfen würde, sind neue Botschafter. Wir versuchen, unser Botschafternetzwerk so gut wie möglich auszuweiten und sind daher ständig auf der Suche nach jungen, engagierten Menschen, die „Jugend Rettet“ in ihrer Stadt vertreten. Darüber hinaus suchen wir auch noch weitere Crew-Mitglieder für unseren ersten Einsatz im Sommer. Die entsprechenden Bewerbungsformulare sind auf unserer Webseite jugendrettet.org zu finden. Ein gutes Wort bei Freunden und Familie einzulegen kann natürlich auch nicht schaden! (lacht)

Vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Sarah Marcinkowski
Fotos: www.facebook.com/JugendRettet/ 

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