Ich spraye, also bin ich

Ich spraye, also bin ich

Egoistische Schmierfinken oder künstlerische Meinungsäußerung: Illegale Graffiti und Streetart haben in Regensburg eine polarisierende Diskussion über die Legitimität der urbanen Kunst ausgelöst. Unterwegs mit zwei Streetart-Künstlern auf ihrem nächtlichen Streifzug durch Regensburg.

Von Moritz Harzenetter

Im schwachen Mondlicht ist plötzlich eine hastige Silhouette zu erkennen, die ein auffällig leuchtendes Display mit sich führt. Black und Red (*) sind in Spannung versetzt. Selten treffen sie auf eine Menschenseele, wenn sie zu später Stunde am Regensburger Stadtrand zu ihrem Streifzug aufbrechen. Der mit seinem Handy vorbeijoggende Läufer lässt sich nicht anmerken, ob ihn die schwarz gekleideten jungen Männer verängstigt haben. Schlagartig merkt man jedoch, wie das zuvor schrecklos wirkende Duo durch die unerwartete Begegnung für die Gefahrenlage sensibilisiert wurde. In der Stille der kalten Mainacht lauert für die Sprayer hinter jeder Straßenkreuzung, in jedem vorbeifahrendem Auto und aus jedem beleuchteten Wohnzimmer die Gefahr gesehen zu werden.

Kurz darauf erreichen sie die anvisierte Stelle, die sie bei Helligkeit ausgekundschaftet haben. Eine Mauer aus kahlem Sichtbeton soll in wenigen Minuten zum Träger ihrer mit Sprühlack aufgetragenen Botschaft werden. Die Devise: Ruhe, Vorsicht, Schnelligkeit. Red greift in seinem Rucksack nach einer schwarzen Spraydose, dem mitgebrachten Karton entnimmt er das Stencil (Schablone) des heutigen Motivs. Er wirkt routiniert und unaufgeregt als er den Sprühkleber aufträgt, und die Vorlage mit Klebeband an der vorgesehenen Stelle fixiert. Während Red das Bild präpariert, steht Black Schmiere. Die Mischkugel in der Dose verursacht beim Schütteln einen beunruhigenden Krach. Während aus dem anliegenden Feld ein Marder springt, hilft Black Red mit vertikalen Sprühbewegungen die freien Flächen der Schablone zu füllen. Der charakteristische Geruch des Sprühlacks liegt in der Luft. Nach etwa einer Minute des Zischens wedelt Red mit dem Karton, um den Prozess des Trocknens zu beschleunigen. Beide treten zurück, begutachten das Bild – und sind unzufrieden. »Zu lange draufgehalten, ein bisschen weniger Farbe und die Konturen würden nicht so stark verwischen«.

Zwei Stunden zuvor, eine Studentenbude irgendwo in Regensburg. Kraftvolle Hardcore-Musik durchdringt das Wohnzimmer, auf dem Boden stehen Spraydosen, dazwischen liegen alte Stencils. Mit Photoshop nimmt Black letzte Korrekturen am Motiv vor, er erhöht noch einmal die Kontraste, pinselt an den Umrissen. Die fertige Schablonenvorlage projiziert er auf den Fernseher, vor dem Red kniend die Konturen auf ein DinA3-Papier abpaust. »Professionell geht natürlich anders, aber das Resultat ist dasselbe«, kommentiert Red schmunzelnd die unkonventionelle Arbeitsweise. Die Skizze kleben sie anschließend auf einen Karton, um mit dem Skalpell feinsäuberlich das Stencil auszuschneiden. Nach einer guten Stunde ist die Schablone fertig: Die schemenhafte Silhouette eines stereotypen Rebells. Auf den Wänden der Stadt soll er das verkörpern, wofür Black und Red stehen: Auflehnung, Widerstand, Empörung.

Gebäudefassaden als politisches Medium

Die jungen Männer, beide zwischen 20 und 30, zählen sich zum antifaschistischen Umfeld, fahren auf Demos, zuletzt stellten sie sich gegen die Bagida-Kundgebungen in München. Keiner der beiden möchte sich selbst als Künstler bezeichnen. Natürlich würden sie einen ästhetischen Anspruch an ihre Stencils stellen, im Vordergrund stünde bei ihnen jedoch der politische Aspekt. Sie möchten mit ihren Bildern Menschen zum Denken anregen. Ihre Bilder sind Zeugnis eines Willens zur Veränderung und einer Systemablehnung, aber auch eines Gefühls der Machtlosigkeit. Dabei steht die Kreativität im Mittelpunkt, die Teil einer gewaltfreien Rebellion ist. Sie betonen den subtilen Charakter ihrer Werke. »Fuck the System auf eine Villa zu schmieren, bringt niemanden zum Nachdenken«, sagt Black. Auf Bildunterschriften verzichten sie zumeist, sie würden die Message verengen und seien oft zu pathetisch. Die Farbgebung ist von Schwarz und Rot gekennzeichnet: Den Symbolfarben der politisch Linken, die ausschlaggebend bei der Wahl der Pseudonyme sind.

Beide sind in der Stadt und in der Uni verankert, Black ist und Red war in Regensburg Student. »Wir lehnen uns insbesondere auch gegen die unpolitische Studentenschaft auf«, deren desinteressierter Zustand sie als logische Konsequenz des Turbo-Bildungssystems aus G8 und Bologna sehen. »Wir wollen mit unseren Bildern den Sinn für die Realität und die bedeutenden Probleme jenseits der nächsten Abgabedeadline schärfen«, sagt Red.

Stilistisch ist das Duo eindeutig der Streetart zuzurechnen, die trotz ihrer zunehmenden Salonfähigkeit noch immer gerne mit Graffiti verwechselt wird. Die Grenzen verlaufen dabei mitunter fließend. Während Streetart das Bild in den Vordergrund rückt, betont Graffiti zumeist die kreative Schrift des eigenen Pseudonyms, den tag. Die Motivationsfaktoren sind dabei vielschichtig, dennoch gibt es ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen den bisweilen rivalisierenden Gruppen. Mit seiner urbanen Reviermarkierung strebt der Graffiti-Sprayer in der Szene nach Geltung und bestmöglich fame. Der Streetart-Künstler versucht hingegen, durch seine Bilder eine gesellschaftlich relevante Message zu äußern. Beide eint das Verständnis, die Stadt als einen öffentlichen Raum zu begreifen, in dem die illegal-visuelle Veränderung den Wunsch des Gehörtwerdens ausdrückt. Doch wie schmal ist der Grat zwischen dem Stadtbild als Medium der freien Meinungsäußerung und schlichtem Vandalismus?

Mangelnde Attraktivität legaler Sprayflächen

Die Frage ist in Regensburg seit einigen Monaten wieder in den medialen Fokus gerückt, nachdem illegale Graffiti und Streetart vermehrt an öffentlichkeitswirksamen Orten platziert wurden. Nicht zuletzt der tag an der Neupfarrkirche sorgte für öffentliche Empörung – gelten historische Bauten selbst innerhalb der Szene als Tabu. Um dem wachsenden Problem des illegalen Sprayens Herr zu werden, soll die Polizei mittlerweile eine sechsköpfige SoKo eingesetzt haben. Doch die Jagd nach den Sprayern und die Entfernung ihrer gesetzwidrigen Vermächtnisse gleichen einer Sisyphos-Arbeit.

Ob man dem illegalen Sprayen Einhalt gebieten kann, schätzen Black und Red als fraglich ein. Zwar bietet die Stadt legale Flächen als Ausweichmöglichkeit an, doch zumindest Streetart könne darin nicht ihre umfassende Wirkung entfalten. Das Duo sucht den Moment der überraschenden Konfrontation. Wenn Menschen gezielt legale Sprayflächen aufsuchen, würde das Potential der Aufrüttelung verloren gehen. Sie möchten mit ihren Bildern Leuten das erzählen, was unangenehm ist, wozu Red ein Zitat von George Orwell bemüht: »Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen«.

Allerdings setzen sie auch ihrer Freiheit Grenzen – jedoch eher aus Eigeninteresse als aus Gründen des Respekts vor fremdem Eigentum. Bilder auf denkmalgeschützten Gebäuden würde die Streetart abwerten. »Auf einer Barockkirche kann ein Bild seine Wirkung nicht entfalten«, sagt Black, die Message würde durch die intuitive ästhetische Ablehnung in den Hintergrund geraten. Wann Graffiti und Streetart als egoistische Schmiererei, und wann als Kunst gelten, hat die Gesellschaft bislang nicht beantworten können.

Dabei schreiben Umfragen hochwertigen Graffitis einen positiven Einfluss auf das Stadtbild zu. Trotzdem akzeptiert die Gesellschaft sie an illegalen Orten kaum. Qualität scheint in den Augen der Mehrheit keine Rechtfertigung für Illegalität zu sein, jedoch eine Bedingung für einen ästhetischen Wert der Umwelt. Mit ironischer Häme quittiert Black diese Dissonanz: »Der letzte Spießer fühlt sich wie ein Freigeist, wenn er bei einem Glas Rotwein das neueste Werk von Banksy adelt.«

Streetart hat Einzug in den Mainstream gefunden

Insbesondere jener britische Streetart-Künstler verhalf der Szene mit seinen Bildern zu Popularität. Streetart gilt als hip. Kein Wunder, dass die Werbung sie mittlerweile aufgreift, um sich ein jugendkulturelles Image zu verpassen – was die Jungs überraschend unkritisch sehen. Ihr pragmatischer Tenor: Wenn der Mainstream dabei hilft, für das Thema eine Sensibilisierung zu schaffen, sei das prinzipiell zu begrüßen. So könnten Menschen, die Sprayen bislang als reinen Vandalismus abgewertet haben, die künstlerisch-politische Komponente erkennen. Trotzdem sind sie sich sicher, dass Streetart aufgrund des illegalen Schauplatzes stets »Underground« bleiben wird.

Nicht unbedingt im Untergrund, dafür in einem beschaulichen Regensburger Stadtrandgebiet setzen Black und Red ihre Sprayaktion spätnachts fort. Die zweite Stelle findet Red spontan in einer kleinen Fußgängergasse. Im Haus nebenan brennt in einem Wohnzimmer noch Licht, der Fernseher läuft. Während sich die Prozedur des Sprayens wiederholt, verfolgen vier Argusaugen, ob sich die Person vor dem Fernseher durch das laute Zischen der Dose aus dem Stuhl erhebt. Doch alles bleibt still. Das Ergebnis ist überzeugend: Die Konturen des Bilds sind scharf, das Motiv ist eindeutig zu erkennen.

Als an einer Mauer versucht wird, ein drittes Bild anzubringen, kommt es zu einer hektischen Szene. Ein in die Hofeinfahrt biegendes Auto erwischt die Straßenkünstler inflagranti, jedoch noch bevor die Farbe aufgetragen wurde. Red reißt die fixierte Schablone ruckartig herunter. Der Adrenalinspiegel steigt schlagartig. Beide verschwinden schnellen Schrittes vom Tatort. In der zuvor ruhigen Nebenstraße herrscht auf einmal reger Verkehr, Autos passieren die vermummten Flüchtigen. Die Schritte werden schneller. Paranoide Gedanken schießen durch den Kopf. Kam das Auto nicht zuvor schon entgegen? Telefonierte der Fahrer?

In den nächstbesten Trampelpfad wird eingebogen, dem verräterischen Laternenlicht entfliehend. Der Puls beruhigt sich, die Gefahr ist gebannt. Neben dem glaubwürdig erscheinenden politischen Antrieb ist es auch genau dieses Gefühl, das den Reiz des illegalen Sprayens ausmacht: Der Kick des Verbotenen.

 

(*) Namen wurden zum Schutz der Personen anonymisiert. Das Anbringen von illegalen Graffiti oder Streetart wird strafrechtlich als Sachbeschädigung verfolgt, für die eine Geldstrafe oder bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe drohen.

 

Dieser Text erschien ursprünglich in der 19. Print-Ausgabe der Lautschrift (Titelthema »Abenteuer«).
Illustration: Richard Fella

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