Uni-Versiert oder Uni-Versaut?

Der Poetry Slam im Audimax hatte alle Vorschusslorbeeren geerntet. Nach zwei Tagen war er ausverkauft. Dann, am so lange erwarteten Dienstagabend, ringelte sich die Menschenschlange meterlang durch das Foyer. Was folgte, waren vier Stunden voller Poesie mit Höhen und Tiefen. Unsere Autorin Marie Stumpf war dabei – ein Kommentar zum zweiten Master of the Uni-Vers.

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 Zum zweiten Mal fand  der größte Poetry Slam Bayerns statt.

Bis auf den letzten Platz ist das Audimax besetzt. Die Stimmung ist aufgeladen. Auf den Treppen und in den Gängen stauen sich die Menschen. Selbst nach über einer Stunde Anstehens müssen sich die Gäste in kleine Lücken hinter den Sitzen quetschen. Sehen kann man von dort aus wenig. Es müssen deutlich mehr Karten verkauft worden sein, als Plätze vorhanden sind. Ungünstig, denn so sind bereits viele genervt, bevor der erste Poet das Wort ergriffen hat. Dieser lässt dann auch noch eine ganze Weile auf sich warten. Zuerst eröffnen Thomas Spitzer und Ko Bylanzky den Abend mit einer etwas zähflüssigen Moderation, in der die Fragen lange auf ihr Fragezeichen warten müssen. Der erste Kandidat ist dann schließlich der kecke Berliner Julian Heun, der Gewinner des deutschen Poetry-Slam-Wettbewerbs im Bereich U20. Er hat ganz offensichtlich eine Begabung dafür, die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen – und vor allem, sie zu behalten. Dennoch macht er es sich recht leicht, in dem er sich in ein immer wieder unterhaltendes, aber schon oft gehörtes Thema rettet: den Unterschied zwischen Frauen und Männern.
Die ernste, selbstbewusst wirkende Theresa Hahl hat es nach dieser Comedy sichtbar schwer, mit ihrem melancholischen Text die Gunst des Publikums zu erringen. Trotzdem spricht sie unbeirrt und mit einer bewundernswerten Ruhe, die ihr nach und nach Aufmerksamkeit einbringt. Die Entscheidung ist knapp: Julian gewinnt und bietet in der zweiten Runde deutlich mehr als in der ersten – auch wenn er es sich nicht nehmen lässt, mit drei gewöhnungsbedürftigen, aber dennoch in gewisser Weise amüsanten „Fickgedichten“ zu beginnen. Sein Text über die Lügen in unserer Gesellschaft entpuppt sich als ein Feuerwerk aus gezielt gesetzten Pointen und knallharten Schlägen ins Gesicht, mit einem seltsam ernsten Schluss, den man nicht erwartet hatte.

„Nur weil wir keine Zauberer werden, heißt das nicht, dass es nichts Zauberhaftes auf der Welt gibt.“

Der ZDF-Kulturslam-Gewinner Pierre Jarawan, der bereits im zarten Alter von drei Jahren von Jordanien nach Deutschland kam, überzeugt durch seine angenehm ruhige Art. Seine Texte sind geprägt von einer beeindruckenden Ernsthaftigkeit, gefolgt von einem völlig unerwarteten Witz. Nach einer Pause wirft er ein tonloses „Wie geil ist das denn?“ in den Raum. Besonders tiefgründig ist sein letzter Satz: „Nur weil wir keine Zauberer werden, heißt das nicht, dass es nichts Zauberhaftes auf der Welt gibt.“

Zauberhaft ist auch der afghanisch-deutsche Sulaiman Masomi, dessen geniale Idee eines Rats der Sprache regelrecht begeistert. Mit tödlicher Präzision verarbeitet er die unterschiedlichsten rhetorischen Mittel der deutschen Sprache, indem er sie untereinander über den Tod des Genitivs diskutieren lässt. „Es fragt die Frage, antwortet die Antwort und übertreibt die Hyperbel wie immer maßlos“, sind nur einige der wunderbaren Formulierungen aus Sulaimans Text. Leider verliert die tolle Idee durch das viel zu schnelle Lesetempo viel von ihrem Potential.
Rasant geht es auch bei dem Hessen Stefan Dörsing zu. Ohne Punkt und Komma rasselt er durch seinen Text und lässt wenig Inhalt zurück. Etwas besser ist er in der – eigentlich unverdient erreichten – zweiten Runde, die er diesmal immerhin mit einer Message beendet: „Wir sind alle unterschiedlich und doch alle gleich!“ Seine Beatbox-Künste sind unterhaltend, lenken jedoch leider vom Text selbst etwas ab.
Ganz anders dagegen die junge Karla Schnikov, deren Name einen leicht schmunzeln lässt. Vielleicht ein Künstlername? Das ist leider nicht herauszufinden. Interessant ist vor allem ihre nüchterne Betrachtung zum Thema Sex. Auf der einen Seite seltsam anatomisch und distanziert beschreibend, fällt sie beim Vortragen doch ins Ekstasische. Die übrigen Themen ihres Textes sind weniger originell und nach der vorherigen Formulierungsfreude etwas enttäuschend.

„Glotzend wie ein astronomisches Pferd“

Das Jonglieren mit Worten ist auch die Stärke der Newcomerin Johanna Gradl, die im Vergleich zu ihren Kontrahenten bislang wesentlich weniger Auftritte vorzuweisen hat. Anzumerken ist ihr das jedoch nicht: Sie scheint von innen heraus zu strahlen. Frisch und lebensbejahend ist auch ihr Text. Es ist erstaunlich, wie sie die Worte im einen Moment noch zart klingen lässt, fast schon liebkosend, im nächsten Augenblick aber erschreckend hart.

Im starken Kontrast dazu steht der witzig-unbeschwerte Text des Autors Marvin Ruppert. Thema: Klassentreffen. Eine Pointe reiht sich an die nächste. Dabei verzichtet er auf komplizierte Formulierungen, bevorzugt kurze Sätze und hat die Zuschauer so bald für sich gewonnen. Sein Talent, Geschichten zu erzählen, beweist er in der zweiten Runde auf’s Neue. Mit der letzten Szene beginnend, setzt er Stück für Stück sein alternatives Ende von Büchners Woyzeck zusammen. Dies ist voll von köstlichem Humor und herrlichen Vergleichen. So kann man seine Freundin, „glotzend wie ein astronomisches Pferd“, förmlich vor sich sehen.
Verdient stehen sich Marvin Ruppert und Pierre Jarawan schließlich im Finale gegenüber, das nach drei Stunden endlich beginnt. Zwar hat die 30-minütige Pause die Gemüter zuvor erfrischt und die Platzsituation entspannt, dennoch ist die Veranstaltung insgesamt zu lang geraten. Vor allem wenn man bedenkt, dass die letzten Busse in die Stadt kurz vor Mitternacht abfahren. Schon während des Beifalls für den Gewinner packen viele Gäste ihre Sachen zusammen, der Slam endet unruhig. Schade ist auch die zuweilen unglückliche Gegenüberstellung eines lustigen und eines ernsten Textes. Klar, wer hier die meiste Zuschauerreaktion bekommt, auch wenn der andere Text manchmal von mehr Talent zeugt. Umso schöner ist es zu sehen, dass sich Pierres verträumtes Liebes-ABC im Finale gegenüber Marvins amüsanten Erlebnissen in der Bahn durchsetzt, auch wenn beide der Slammer sicherlich Talent haben. Es ist ein knappes Finale – und vielleicht hätte Marvin sein alternatives Woyzeck-Ende hierfür aufsparen sollen. Nichtsdestotrotz: Master of the Uni-Vers – immer erfrischend anders.

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