Blutige Kämpfe – und brüderliche Herzlichkeit

Blutige Kämpfe – und brüderliche Herzlichkeit

Saufgelage, Ariernachweise, wilde Fechtkämpfe: Der Ruf von Studentenverbindungen ist behaftet mit Kritik und Gerüchten. Unsere Autorin hat sich selbst ein Bild gemacht. Eindrücke nach Besuchen bei Regensburger Verbindungen.

»Cantus« (um 1900), Gemälde von Georg Mühlberg (1863-1925): Verbindungsstudenten beim Singen in einer Kneipe
»Cantus« (um 1900), Gemälde von Georg Mühlberg (1863-1925):
Verbindungsstudenten beim Singen in einer Kneipe

Die Klinge des Fechtschwertes glänzt und blitzt. Der Griff ist kunstvoll verziert. Die Waffe ist auf rund 25 Menschen gerichtet, junge und alte. Alle stehen. Um ihre Oberkörper tragen sie Schärpen, vor ihnen liegen Hauben. Beide, Schärpe und Haube, sind in den Farben des Lützowschen Freikorps gehalten: Schwarz-Rot-Gold. Diese Szene spielt sich in einem Keller ab, fernab der Regensburger Altstadt, wo die Studenten in Clubs und Kneipen feiern.

Zu dem Kellerraum führt eine enge Treppe. Die alten deutschen Kommerslieder, die die Mitglieder der Burschenschaft A* anstimmen, tönen noch bis zur Eingangstür im Erdgeschoss. Der Vereinsraum erinnert stark an den des Dackelclubs aus der Fernsehsendung »Hausmeister Krause«: Überall stehen Pokale, an den Wänden hängen Fotos verstorbener Mitglieder, die Einrichtung ist vergilbt, es riecht modrig.

»Du bist herzlich eingeladen, unsere Veranstaltungen zu besuchen.« – Von der Herzlichkeit in der Einladung zu dem Treffen lässt sich Andreas, der an diesem Abend die Rolle des Wortführers übernimmt, nichts mehr anmerken. Er sitzt am Kopfende der Tische. Mit ernster Miene fordert er die Anwesenden mit einem »sedate« nach der Gesangseinlage zum Sitzen auf. In dem Kellerraum hallen noch die letzten Liedzeilen von den Wänden: »Die Gedanken sind frei.«

Auf der Tagesordnung steht eine Podiumsdiskussion mit zwei Politikern aus Regensburg über die abgeschafften Studiengebühren. Zur allgemeinen Erheiterung zitiert Andreas Absagen von Politikern, die »mit rechtsradikalen und frauenfeindlichen Zusammenschlüssen wie der A nichts zu tun haben wollen.«

Die Voreingenommenheit der Öffentlichkeit gegenüber Studentenverbindungen wird genährt durch Aussagen wie die von Arnulf Baring. Auf dem Burschenschaftstag 2011 in Marburg hielt der deutsche Publizist, Jurist und Zeithistoriker einen Vortrag. Dort spricht er von der »handfesten Lüge«, die Deutschen hätten von dem Judenmord im Zweiten Weltkrieg gewusst und ihn gebilligt: »Eine Beleidigung, die uns nicht behelligen muss!« Kurz darauf, etwas lauter, der Vorwurf: »Wir lassen uns von negativen, minderwertigen Gestalten einreden, wir wären ein Tätervolk!« Diese Aussagen macht Baring unter tosendem Applaus der Burschenschafter, die aus ganz Deutschland an diesem Tag nach Marburg gekommen sind. Seine Rede schließt Baring ab mit dem Ausruf »Es lebe die Republik, es lebe Deutschland!«

Die Gerüchte über Frauenfeindlichkeit könnten von den Regeln stammen, die Studentenverbindungen für ihre Zeremonien festlegen. Es gibt Anlässe, zu denen sowohl Männer als auch Frauen erwünscht sind. Aber auch solche, bei denen Frauen draußen bleiben müssen. Die Funktionen, die man als Frau bei offiziellen Anlässen, vor allem gegenüber ehemaligen aktiven Mitgliedern, den Alten Herren, zu erfüllen hat, sind klar definiert: freundlich lächeln, bei jeder Gelegenheit »Danke« sagen, im Hintergrund bleiben und nicht unangenehm auffallen. Bei der Neugründung der ersten Frauenverbindung in Regensburg im März dieses Jahres waren neben viel positivem Feedback auch negative Stimmen von einer Studentenverbindung zu hören.

Das Fechtschwert der Burschenschaft A liegt vor Sprecher Andreas so, als würde es seinen Blick verlängern. Die, die er eingehend mustert, sind in diesem Raum der einzige Beweis dafür, dass die Welt da draußen das Jahr 2013 schreibt: Sie tragen Ralph-Lauren– und Hilfiger-Hemden, ausnahmslos.

Diskussionen mit Wetttrinken austragen

Doch der makellose Schein trügt: »Es ist kaum ein paar Tage her, da haben diese braven Jungs würgend neben Regentonnen gesessen«, erzählt Markus. Er ist 27 und seit dem dritten Semester ein Mitglied der Burschenschaft A. In dem niedrigen Gang vor dem Gemeinschaftsraum, in dem gerade die Podiumsdiskussion stattfindet, wirkt Markus groß. Durch das viele Bier sprudeln die Worte aus ihm heraus. Manche Burschenschaften zelebrieren diese Trinkrituale, die mehr sind als Saufgelage. Es geht darum, sich zu beweisen. Auch Mitglieder aus anderen Verbindungen werden in diesen Brauch einbezogen: »Oft lässt jemand bei einem Fest seine Haube liegen. Wird die dann von einer anderen Burschenschaft gefunden, muss er zur Auslöse kommen und mit der Bierbong in kürzester Zeit einen Kasten exen«, erzählt Markus.

In Studentenverbindungen sind die meisten Rituale mit Bier verbunden. Auch die Regensburger Burschenschaft B macht dabei keine Ausnahme. »Bei uns ist es üblich, eine Diskussion mit einem Wetttrinken auszutragen«, sagt Klaus in dem Vereinsraum der Burschenschaft. In seiner Stimme schwingt Stolz über den genialen Gedanken mit, der seinen Vorgängern zur Lösung von Querelen gekommen ist. »Wenn zwei aneinandergeraten, gehen sie nach draußen und jeder trinkt in einem Zug einen halben Liter Bier. Wer schneller fertig ist, hat gewonnen.«

Student beißt Finger ab

Dass der hohe Bierkonsum in Studentenverbindungen auch ausarten kann, sieht man an einem Vorfall, der sich Ende Mai in Tübingen ereignet hat. Dort sind aus ganz Deutschland Verbindungen zusammengekommen, um ein Ruderturnier zu bestreiten und zu feiern. Das Saufgelage fand seinen Tiefpunkt, als ein Bursche einer Studentenverbindung einem anderen einen Teil des Fingers abbiss. Laut dem Schwäbischen Tagblatt Tübingen waren der Verdächtige und das Opfer »erheblich alkoholisiert«.

Neben mehreren aufeinander gestapelten Bierkästen stehen im Keller der Burschenschaft A Fechtschwerter, daneben die Schutzhelme und Handschuhe. Markus wird redselig. »Die A ist keine pflichtschlagende Verbindung, wir fechten also nur mit stumpfen Klingen. Und wenn man durch hartes Training ein Turnier bestreiten könnte, hört man auf.«

Aber Markus nicht. Regelmäßig hat er an Fechtkämpfen mit anderen Verbindungen teilgenommen. Mit scharfen Klingen und nur mit einer Brille geschützt. »Mein Bekannter hat sieben Narben an der Stirn.« Markus erzählt das so, als würde er gerade berichten, dass er sich ein neues T-Shirt gekauft habe. »Und eine Narbe hast du schnell. Schließlich steht man sich bei Mensurkämpfen nur in Klingenlänge breitbeinig gegenüber.«

Der Begriff Mensur kommt aus dem Lateinischen und bedeutet »Abmessung«. Wichtig bei diesem Brauch ist der genaue Abstand zwischen zwei Gegnern, der der Länge eines Fechtschwertes entspricht. Geschützt vor den gefährlichen Hieben sind der Körper und die Augenpartie – der Rest des Kopfes bleibt der scharfen Klinge ausgesetzt. Die Kämpfer tragen ein Kettenhemd und eine Mensurbrille, die sie wie Pestärzte aus dem 18. Jahrhundert aussehen lassen.

Statussymbol Narbe

Mitgliedern einer pflichtschlagenden Verbindung ist das Fechten nicht unangenehm. Im Gegenteil: Sie sind stolz auf ihre Narben und auf die Anzahl der Kämpfe, die sie schon bestritten haben.

Das macht auch die pflichtschlagende und farbentragende Studentenverbindung C aus Regensburg in ihrem Internetauftritt deutlich. Die Farben ihrer Verbindung, auch Couleur genannt, werden bei offiziellen Veranstaltungen an Haube und Schärpe getragen. Auf ihrer Webseite beschreibt die Verbindung die Mensur als Pflicht, für seine Verbindung »seine Backe hinzuhalten«. Das präge die Person ein Leben lang, »auch wenn kein Schmiss sitzt«. Der Fall, nicht von der scharfen Klinge getroffen zu werden, wird als fast bedauernswert hingestellt.

Aber Studentenverbindung ist nicht gleich Mensurkampf. Nur zwei der neun Studentenverbindungen in Regensburg sind schlagend, die übrigen verzichten auf diese Tradition. So auch die katholische Burschenschaft B. In deren Verbindungshaus findet das Fechtschwert keinen Platz. Nur die Fahne mit der Couleur der Burschenschaft lässt auf die Bewohner des Hauses schließen.

Gäste, die aus anderen Verbindungen kommen, werden hier genauso herzlich empfangen wie Mitglieder der eigenen Verbindung. »Das ist das Schöne daran«, erklärt mir Timo, der geschäftlich für ein paar Tage in Regensburg ist. »Ich komme eigentlich aus Passau. Mit meiner Schärpe kann ich in ganz Deutschland bei jeder Verbindung an der Tür klingeln. Nach dem Brauch wird mir eine warme Mahlzeit, Bier und ein Schlafplatz gestellt.« Weitere Vorteile für jedes Mitglied einer Studentenverbindung: Sie erhalten großzügige Leistungen wie finanzielle Unterstützung bei der Miete, eine feste soziale Einbindung und wichtige Kontakte für das Berufsleben.

Herzliche Gastfreundschaft

An der Gastfreundschaft, von der Timo spricht, kommt kein Zweifel auf. Alle Burschen der Verbindung B sind sehr herzlich und interessiert. Bier gibt es immer umsonst. Und das in großzügigen Mengen. Auch der Bursche neben Timo scheint das Bier zu genießen. Er trägt eine Haube mit der Couleur der B, daran ist ein Fuchsschwanz befestigt. »Der Fuchsschwanz zeigt, dass ich erst kürzlich als Fuchs in die Verbindung aufgenommen wurde«, sagt Clemens. Im Laufe des Gesprächs fährt sich der 21-Jährige immer wieder mit der Hand über die Haube, dann den Fuchsschwanz entlang. Seine Brille mit den schmalen Gläsern ist etwas angelaufen, es ist mittlerweile stickig und feucht in dem kleinen Raum der Burschenschaft B. »Nach einigen Semestern und nach Absprache unter den Burschen werde ich korporiert. Dann verfüge ich über mehr Rechte als bisher, darf zum Beispiel meine Haube nicht mehr nur in Begleitung eines schon korporierten Burschen tragen.« Das ist nur eine von vielen Regeln, an die sich Mitglieder einer Studentenverbindung halten müssen. Als Fuchs muss er unter anderem den Vollmitgliedern und Alten Herren Bier bringen.

Die drei Phasen auf Lebenszeit: Fuchs – Bursche – Alter Herr

Mit Abschluss des Studiums erfolgt dann die Philistrierung, bei der das Mitglied aus dem Bund der Aktiven zurücktritt, aber weiterhin dazu verpflichtet ist, die aktiven Burschenschafter finanziell und persönlich zu unterstützen. Diese sogenannten Alten Herren bilden das Rückgrat jeder Studentenverbindung, die nach diesem Lebensbundprinzip aufgebaut ist.

Ein entsprechendes Selbstbewusstsein tragen viele von ihnen nach außen. Beim Stiftungsfest der D, einer katholischen Studentenverbindung in Regensburg, thronen sie in der Mitte des Saals. Normalerweise werden die Philister von den Füchsen mit Bier versorgt. Bei dieser Feier im Festsaal eines Gasthauses erledigen das die Bedienungen. Für einige der Gäste aber nicht schnell genug. Ein Alter Herr meint, nachhelfen zu müssen. Er schreit ihr hinterher: »Das ist doch Scheiße!« Doch seine Stimme geht im Gesang der alten deutschen Kommerslieder unter, der an diesem Abend vier Stunden lang praktiziert wird. Unterbrochen von kurzen Vorträgen und anderen Programmpunkten.

Die traditionellen alten Uniformen, die alten Lieder, die Alten Herren, denen man als Dame höflich zulächeln und bei jeder Gelegenheit nett »Danke« sagen soll – das alles trägt zu dem Eindruck einer anderen Welt bei. »Es ist«, so formuliert es ein Burschenschafter, »eine Parallelgesellschaft, die sich hier versammelt«.

Text: Ramona Friedl

* Namen von Personen und Verbindungen geändert.

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