Eine zitternde Hand voll Idealismus

Eine zitternde Hand voll Idealismus

Der Streit um das Semesterticket war eine Diskussion auf mehreren Ebenen. Neben dem reinen Sachkonflikt ging es um die Kompetenzen der studentischen Verhandlungsführer und die Frage, wie viel Idealismus Hochschulpolitik außerhalb des Elfenbeinturms verträgt. Im Internet brach währenddessen eine Metadiskussion aus, in der sich Regensburger über das Wesen der Studenten zankten.

vollversammlung

Das Audimax bebt. Die Erregung lässt förmlich die Luft erzittern und findet ihren sichtbaren Ausdruck in der Hand von Ssaman Mardi, die wie ein Seismograph reagiert: Sie zittert heftig, umklammert seine zerknüllten Notizen, als der studentische Verhandlungsführer die Bühne verlässt. Die letzten Sätze seiner aufbrausenden Rede sind in tosendem Beifall untergegangen, nur ein Brocken ist noch deutlich zu vernehmen: »Die Frage ist letztendlich, ob die mit uns das machen können, was sie wollen!«

Es ist der 6. November, Vollversammlung an der Universität Regensburg wegen der vom RVV angekündigten Preiserhöhung des Semestertickets. Mardi schreitet an den vorderen Reihen vorbei, sein zornverzerrter Blick würdigt die Gäste in der ersten Reihe keines Blickes. Dieses bewusste Ignorieren gilt aber vor allem zwei der Anwesenden: Karl Raba, dem Geschäftsführer des RVV, und Bastian Goßner, einem Vertreter der agilis Bahnbetriebe. Zu sehr hatte er sich mit den beiden Firmen in den Monaten seit Mai herumgestritten, zu sehr haben sie seine Gerechtigkeitsvorstellungen infrage gestellt: Die Forderungen der Bahnbetriebe an den RVV auf dem Rücken der Studierenden auszutragen! Dem schwächsten Glied in der Kette, das sich mangels Druckmittel nicht zu wehren können scheint! Es ist genau diese Auffassung des Problems, die in Mardi eine idealistische Herangehensweise an die Verhandlung wachsen lässt; ein Idealismus, der seine Rede bestimmte, ihm den tobenden Applaus und sogar das Votum der Vollversammlung für die 59-Euro-Obergrenze bescherte.

Mardi hat am 6. November die gesamte Vollversammlung hinter sich – der studentische Konvent hatte sich bereits in seiner Sitzung am 17. Oktober geschlossen hinter die Arbeitsgemeinschaft RVV (RVV AG) gestellt. Diese wurde vom SprecherInnrat ins Leben gerufen, um im Namen der Studierenden die Verhandlungen mit den Bahngesellschaften zu führen. Mardi ist jetzt am Zenit seiner Karriere als Verhandlungsführer – kaum drei Wochen später werden er und seine Kollegen von der RVV AG dem Konvent Rede und Antwort stehen müssen.

Denn während Mardi und die RVV AG, hauptsächlich Bunte Liste, zu diesem Zeitpunkt bereits seit Monaten in den Verhandlungen stecken und mit dem normativen Idealismus nun die Politiker bewegen wollen, beginnen die Studierendenschaft und die anderen Hochschulgruppen erst allmählich, sich in die Materie einzuarbeiten. Bisher bezogen auch sie ihre Informationen hauptsächlich von Mardi, der im Vorfeld der Konventssitzung vom
17. Oktober offenbar ein Dokument mit allen relevanten nichtöffentlichen Informationen an die Konventsmitglieder versandt hatte. Doch mit der Vollversammlung steigt nun auch das Interesse der lokalen Medien an den Geschehnissen auf dem Galgenberg. Von nun an wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt; und die idealistische Verhandlungsdisposition der RVV AG findet im Presseecho kaum Zuspruch.

Eine tiefe Kluft zwischen Galgenberg und Stadt

So schallt der Ruf der Vollversammlung laut und lang vom Galgenberg herab, hinein in die Werkstätten und Wohnzimmer der Regensburger, wo das Votum der Vollversammlung kritisch beäugt wird. Denn während die Diskussion um das Semesterticket in den Wochen nach der Vollversammlung eine Geschichte wirrer Wendungen wird, so nimmt eine erschreckende Erkenntnis immer schärfere Konturen an: Die Kluft zwischen dem Galgenberg und der Stadt ist immens. Auf Internetseiten entbrennen Stellvertreterkriege, deren Gegenstand sich bald vom Semesterticket selbst entfernt: Sie gipfeln in teils heftigen Auseinandersetzungen über das Klischee der faulen, feierwütigen und überheblich-arroganten Studenten – mit Beleidigungen von beiden Seiten. Die rund 400 Kommentare auf den FacebookSeiten der Mittelbayerischen Zeitung und des Wochenblatts sind geprägt von Pauschalisierungen, Vorurteilen und Unverständnis auf der einen und Rechtfertigungen auf der anderen Seite. Der Tenor der Nicht-Studenten: Sollen sie neben dem Studium doch arbeiten gehen. Im Übrigen sei das Semesterticket im Vergleich zu den ›normalen‹ RVV-Kunden, wie Azubis und Arbeiter, doch eh geschenkt. In einem solchen Denkschema erweist sich die idealistische Haltung – in gewissem Maße durchaus wünschenswert – als kontraproduktiv: Der spontane Protest nach der Vollversammlung und die zwei Tage später folgende Aufforderung zur Demonstration liefern den Klischees neues Futter. In der Tat wäre es töricht gewesen, eine Preiserhöhung stillschweigend hinzunehmen, doch ein Idealismus dieses Ausmaßes hat die öffentliche Meinung verschreckt.

Die Einigkeit im Konvent bröckelt

In den Kommentaren der Studenten kommen unterschiedliche Meinungen zum Ausdruck. Dass man nicht feierwütig sei, dass das Studium hohe Kosten verursachen würde und man damit in keinem Vergleich zum bereits verdienenden Azubi treten könne, man aufgrund des hohen Zeitaufwands schwerlich noch arbeiten könne, darin sind sich alle einig. Doch während einige in der idealistischen Haltung beharren, führen andere eher pragmatische Gründe gegen ein teureres Semesterticket an: Grundsätzlich seien auch 72 Euro noch vergleichsweise günstig. Jedoch dürfe die ministeriell festgelegte Obergrenze von 63 Euro ja rein rechtlich gar nicht überschritten werden, da ansonsten mit der Klage eines einzigen Studenten das Studentenwerk Niederbayern/ Oberpfalz, dem rechtlichen Vertragspartner, in den finanziellen Ruin getrieben werden könne. Ein höherer Betrag hieße damit das Scheitern des Tickets – ein Argument, mit dem auch Mardi und die RVV AG den Konvent zur Einigkeit gebracht hatte.

Die Studierendenvertreter des RVV AG sind inzwischen ausgelaugt, schlafen kaum noch und wenn doch, dann tagsüber im AStA-Raum. Ein Scheitern des Solidarmodells scheinen sie inzwischen mit einem persönlichen Scheitern gleichzusetzen. Nachdem es nach der Vollversammlung für kurze Zeit danach ausgesehen hatte, als wäre das Semesterticket nun endgültig vom Tisch, hatte sich offenbar Landrat Herbert Mirbeth nochmals für einen Erhalt des Solidarmodells eingesetzt. So sitzen einige Mitglieder der RVV AG am Montag, den 12. November, bei Mirbeth und erarbeiten einen neuen Vorschlag: ein Opt-In-Modell, das die Trennung zwischen Vorlesungsund vorlesungsfreier Zeit vorsieht. Und damit beginnt es im Konvent allmählich zu bröckeln: Am Mittwoch erteilt das bayerische Wissenschaftsministerium dem Argument der ministeriellen Obergrenze eine Absage: Diese sei nicht festgeschrieben, es liege einzig im Ermessen des Studentenwerks, diese einzuhalten oder nicht. Damit ist auch das Hauptargument von Mardi und Co. entkräftet, denn ein höherer Preis ist damit de facto nicht mehr ausgeschlossen. Zwei Tage darauf findet schließlich eine Pressekonferenz statt, in der die studentischen Verhandlungsführer gemeinsam mit Mirbeth das Opt-InModell als Vorschlag der Öffentlichkeit präsentieren. Die Mittelbayerische Zeitung titelt »Der Knoten ist geplatzt«.

Das bringt das Fass im Konvent zum Überlaufen: Der RCDS und die LAF/Jusos agieren pragmatisch; das einzige Ziel könne nur die Erhaltung des Tickets sein. Das Opt-In-Modell sei schon allein deswegen keine Lösung, weil sie insgesamt teurer wäre als das 72-Euro-Modell. Sie schwören dem Idealismus von Mardi ab und gehen eine ungewöhnliche schwarz-rote Koalition ein, um den zu stoppen, der nach eigener Aussage inzwischen »lieber mit wehenden Fahnen untergehen« möchte. Die Zweckkoalition fühlt sich hintergangen, denn die Einberufung der Pressekonferenz sei ohne Konsultation des Konvents beschlossen worden. So werfen sie der AG RVV in einer außerordentlichen Konventssitzung am 20. November unter anderem vor, eine falsche Informationspolitik betrieben zu haben und wollen eine Neubesetzung der Arbeitsgemeinschaft. Sogar Rücktrittforderungen an Mardi stehen im Raum. Die Sitzung mündet in ein dreistündiges Politik-Kabarett, in dem die eine Seite versucht, die andere mit teils absurden Geschäftsordnungsanträgen zu blockieren. Das Ergebnis: Die nun aus RCDS, LAF/Jusos, BL und GHG besetzte und erweiterte RVV-AG wurde erst am Tag darauf vom SprecherInnenrat legitimiert, die Verhandlungen weiterzuführen und eine campusweite Abstimmung zwischen den Möglichkeiten Opt-In, 72-Euro-Modell und Abschaffung des Semestertickets durchzuführen.

Am 29. November wird das Ergebnis bekannt: Die Mehrheit der Studierenden entscheidet sich – entgegen ihrem Votum in der Vollversammlung – für das 72-Euro-Modell. Obwohl Gerlinde Frammelsberger, Geschäftsführerin des Studentenwerks, am 28. November in einer dreiseitigen Pressemitteilung noch betont hatte, dass das Studentenwerks diesem Vorschlag nicht zustimmen werde, beschloss der Aufsichtsrat am 13. Dezember schließlich, für das 72-Euro-Modell den Vertrag zu unterzeichnen.

Es ist an der Zeit, die Klischees zu entkräften

Für das Solidarmodell hat die Diskussion ein Happy End genommen. Jedoch würde man an dieser Stelle alte Suppen wieder aufkochen, bewerte man schlicht das Ergebnis hinsichtlich seines Nutzens. Denn alte Vorurteile haben sich durch die zunächst idealistisch geprägte Diskussion verstärkt. Erschreckend, dass solche Klischees in derartiger Heftigkeit bestehen, in Zeiten, da die Bologna-Reform ihre Wirkung in Form von erhöhten Arbeitsaufwand und gestiegenem psychologischen Beratungsbedarf mehr als deutlich zeigt. Laut Umfrage der Lautschrift gehen 50 Prozent der befragten Studenten nicht öfter als einmal pro Woche feiern – ein Ergebnis, dass das Klischee des ›feierwütigen Säufers‹ mehr entkräftet, als eine sture und teilweise respektlose ArbeiterAkademiker-Diskussion. Es wird Zeit, diese in mäßiger Weise zu entkräften jenseits eines überzogenen Idealismus. Denn wenn der RVV nach dem Wintersemester 2015/16 mit einer erneuten Forderung kommt, so täte man gut daran, die öffentliche Meinung auf seiner Seite zu haben – als Druckmittel, denn materielle werden auch dann fehlen.

Text: Christian Basl

Foto: SprecherInnenrat Uni Regensburg

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