Studieren im Glauben

Studieren im Glauben

Wir haben im Panta Rhei, dem Café der christlichen Hochschulgruppen an unserer Uni, Studenten getroffen, deren Leben vom Glauben geprägt ist. Wie beeinflusst sie ihre Religiosität im Uni-Alltag? Und wie sehen sie das Verhältnis von Glauben und Wissen? Moritz Geier und Alexander Lüttich im Gespräch mit zwei jungen Christen und zwei jungen Muslimen.

Lautschrift: Wie versteht ihr eigentlich euren Glauben?

Serkan: Ich würde sagen, Glaube ist eine Sache zwischen einem selbst und Gott. Es reicht deshalb nicht, nur religiöse Vorschriften zu praktizieren. Die Intention der eigenen Handlungen ist das eigentlich Wichtige, man muss für Gott und die Menschen handeln. Wenn jemand etwa Geld spendet (als eine der »Fünf Säulen des Islam« sind Almosen eine Grundpflicht jedes gläubigen Muslims, d. Red.), das aber nur aus Imagegründen tut, ist das für mich keine Glaubenssache.

Manuel: Da sind sich Islam und Christentum im Aufbau ja recht ähnlich. Für mich ist auch der eigentliche Glaube, die Beziehung zu Gott wichtig. Manche Leute kleben sich fromme Sticker auf ihr Auto, aber deswegen ist man noch kein guter Christ.

Joto: Da stimme ich dir zu, möchte aber erst noch einmal einen Schritt zurück machen. Ich musste zuallererst einmal akzeptieren, dass es so etwas wie Gott überhaupt gibt. Und dieses Gefühl, dass es Gott gibt, kann man nicht erzwingen. Es kommt aber auch nicht einfach so … das ist sehr schwierig zu beschreiben. Und dann später, ja, da ist für mich auch die Intention meiner Handlung, meine Beziehung zu Gott wichtig und tatsächlich weniger der institutionalisierte Glaube. Allerdings verstehe ich auch, dass nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen kann. Es ist schon gut, wenn man in einer Gemeinschaft ist, die einem vorlebt, wie Glaube aussehen kann.

Wann hast du dich dann für Gott entschieden, Joto?

Joto: Meine Eltern sind beide Theologen, aber ich konnte mich lange gar nicht für den Glauben begeistern. Mit sechzehn habe ich angefangen, hin und wieder zu
beten, wobei ich aber immer noch Zweifel hatte, ob das denn überhaupt Sinn macht. Mit einem Mal ist mein Glaube aber dann gewachsen.

Adham: Für mich ist die Beziehung zu Gott alleine noch nicht genug. Man muss
schon auch so leben, wie es im Koran steht, wie es die Religion sagt.

Manuel: Ja, das kommt für mich dann auch automatisch, wenn man eine richtige Beziehung zu Gott hat, wenn man sozusagen vom Ziel her die Sache betrachtet.

Joto: Das finde ich auch richtig. Leider ist das nicht immer der Fall. Selbst im klerikalen Bereich wurde ja vor einiger Zeit zum Beispiel mit den Missbrauchsfällen deutlich, dass es Menschen gibt, bei denen der katholische Schein mit den eigentlichen christlichen Werten gar nicht übereinstimmt.

Johannes (»Joto«) Redelstein, 24, ist Gemeinderat der Katholischen
Hochschulgemeinde und studiert im achten Semester Medizin.

Wie beeinflusst euch euer Glaube im Unialltag?

Joto: Aus meinem Glauben heraus wollte ich anderen Menschen helfen, deswegen habe ich auch Medizin studiert. Dann treffen wir von der katholischen Hochschulgemeinde uns zum Beispiel beim Gottesdienst oder beim Gemeindeabend. Das sind dann so kleine Auszeiten vom stressigen Unialltag, wo man Zeit für sich hat und zum Nachdenken kommt. Abgesehen davon beeinflusst mich mein Glaube an der Uni aber nicht so direkt.

Manuel: Vielleicht eher subtil, im Unterbewusstsein. Ich fühle mich im Leben schon getragen, leichter. Das ist dann was anderes, als wenn jemand vielleicht gerade in einer Findungsphase ist und Orientierung sucht.

Serkan: Wir Moslems beten für gewöhnlich fünf Mal am Tag. Praktischerweise gibt es hier an der Universität einen Gebetsraum. Das Problem ist nur, dass wir
uns vor dem Gebet rituell von unseren Sünden reinigen müssen…

Manuel: … in diesem schäbigen Klo! (Der Gebetsraum hat wie die meisten anderen Räume im ersten Obergeschoss des Studentenhauses keinen Wasseranschluss. Ohne größere Umstände kann man sich daher lediglich in den Toilettenräumen des Studentenhauses waschen, d. Red.) Das tut mir jedes Mal leid, wenn ich das sehe. Als ich erfahren habe, dass bei einem geplanten Neubau bei der FH ein gemeinsamer Raum für Religionsgemeinschaften entstehen soll, bin ich sofort zum Studentenpfarrer gegangen und habe ihm gesagt, dass die Muslime einen eigenen Waschraum bekommen sollen!

Was uns aufgefallen ist: Bei dem Gebetsraum haben wir fast nie Frauen gesehen.

Adham: Es gibt schon auch Frauen, die dort beten, aber gerade die Muslime, die aus dem Ausland kommen, sind halt meistens Männer.

Serkan: Wenn Frauen zum Beten kommen, müssen wir die Raumbelegung auch aufteilen. Gleichzeitig in einem Raum dürfen wir nämlich nicht beten. Da bräuchten wir eine extra Abtrennung. Zum Beten kniet man sich ja hin und beugt sich nach vorne. Und wenn da eine Frau vor einem sitzt, könnte man schon auf falsche Gedanken kommen.

Serkan Arslan, 24, hat sich vor einigen Jahren bewusst für seinen Glauben
entschieden. Der praktizierende Muslim studiert Wirtschaftsinformatik.

Adham und Serkan, wie würdet ihr euch im Vergleich zu anderen jungen Muslimen einschätzen? Fühlt ihr euch als besonders gläubig?

Adham: Wie bei den Christen praktizieren nicht alle ihre Religion. Nicht alle beten. Diejenigen sagen dann aber gleichzeitig, dass das falsch ist und sie eigentlich schon beten sollten. Wenn ich nicht fünf Mal am Tag bete, dann fühle ich, dass irgendwas fehlt.

Serkan: Da die Türkei westlich orientiert ist, ist der Anteil der praktizierenden Muslime um einiges niedriger als in arabischen Ländern. Viele beten nicht und trinken Alkohol. Auch ich habe mich früher nicht an die Regeln gehalten, obwohl ich gläubig war. Als Jugendlicher habe ich schon hin und wieder Alkohol getrunken, aber mittlerweile, wenn ich mit meinen Kumpels weggehe, trinke ich halt Red Bull oder Wasser. Da kann ich genauso gut Party machen.

Joto: Ich hätte da eine Frage: Ihr folgt ja relativ strengen Regeln. Bei uns gibt es viele Christen, die sich als gläubig bezeichnen, aber ihren Glauben nicht praktizieren. Kann ein Muslim eigentlich ein Muslim sein, wenn er islamische Werte lebt, die strengen Regeln der Lebenspraxis aber nicht befolgt?

Adham: Für einen Muslim ist zuerst die Schahada wichtig. (Die Schahada ist das islamische Glaubensbekenntnis, d. Red.) Wenn er dann Alkohol trinkt oder nicht betet und weiß, dass das falsch ist, dann wird er als Muslim angesehen, der aber nicht praktiziert.

Adham Bsharat, 20, ist vor eineinhalb Jahren aus Palästina nach Deutschland gekommen, um hier Medizin zu studieren. Er ist gläubiger Muslim.

Joto und Manuel, wie schätzt ihr euch im Vergleich zu anderen jungen Christen ein?

Manuel: Na ja, durch mein Studium der evangelischen Theologie und auch durch die ESG und die KHG kenne ich freilich viele Studenten, die eher gläubig sind. Wenn ich aber an die Studenten in meinem Wohnheim denke, dann sind das natürlich nicht nur Theologiestudenten. Trotzdem würde ich mich da nicht als im Vergleich extrem gläubig bezeichnen. Es gibt schon einige gläubige Studenten in Regensburg. Das kann aber auch daran liegen, dass wir hier in Bayern sind (lacht).

Joto: Meiner Ansicht nach sind jüngere Menschen heute eher Agnostiker oder haben mit der Kirche als Institution nichts am Hut. Letzteren kann man ein gläubiges Christentum nicht absprechen. Ich finde es ist besser, wenn jemand christliche Werte lebt und nicht jeden Sonntag in die Kirche geht als umgekehrt. So wie ich meinen Glauben aktiv praktiziere, gehöre ich aber vermutlich eher zu einer kleineren Gruppe. Ich würde sagen, obwohl ich viele Auffassungen der Amtskirche nicht teile, fühle ich mich zugehörig. Es gibt viel Positives innerhalb der Kirche, wie etwa der gemeinsame Gottesdienst. Leider überwiegen in der öffentliche Wahrnehmung oft die weniger positiven Seiten. Daran sind manche hohe Würdenträger aber auch nicht ganz unschuldig.

Sehen das andere gläubige Studenten ähnlich?

Joto: Da gibt es eine große Bandbreite. Manche sagen, die Kirche darfst du nicht kritisieren, das ist eine Sünde, sonst kommst du in die Hölle. Ich bin da sehr am anderen Ende und äußere durchaus Kritik. Wenn jemand etwas schlecht macht, warum soll man ihn dafür nicht auch kritisieren dürfen, selbst wenn es sich um den Papst handelt?

Warum haben viele junge Menschen mit Glauben und Religion heute nichts mehr am Hut?

Joto: Mittlerweile ist man vielleicht einfach aufgeklärter: Heute wird viel mehr hinterfragt – das ist ja in der Politik genauso. Und zurzeit scheint die Kirche oft zu langsam zu sein, die richtigen, lebensnahen Antworten zu finden. Die Kirche war es einfach über Jahrhunderte nicht gewöhnt, dass die Leute Fragen stellen: Wieso soll ich überhaupt daran glauben? Die aktuelle Situation ist bestimmt auch ein Grund dafür, warum sich junge Menschen von der Kirche abwenden.

Manuel Endres, 25, hat Theologie und Mathematik studiert und wartet auf den
Beginn seines Referendariats. Er war in der Evangelischen Studentengemeinde.

Lässt sich Glaube überhaupt mit Wissen, mit Rationalität vereinbaren?

Manuel: Das schließt sich auf keinen Fall aus. Die Wissenschaften haben viel erforscht, vielleicht den Rahmen geschaffen, das ist alles schön und gut, aber die Ausgestaltung bleibt letztendlich immer persönlich.

Serkan: Bei mir ist es genau das, was mich bei meinem eigenen Glauben sehr unterstützt: Vieles geht in der Wissenschaft mit dem Islam Hand in Hand. Im Koran gibt es viele Passagen, die eigentlich wissenschaftliche Aspekte ansprechen, die man zu der Zeit nicht hätte erforschen können. Zum Beispiel steht auch im Koran, dass der Mensch aus einem Tropfen Wasser entstanden ist. Und tatsächlich ist das Leben ja im Wasser entstanden.

Du verstehst den Koran also wörtlich?

Serkan: Nicht alles natürlich. Viele Stellen muss man vom Kontext her interpretieren. Aber sehr vieles. Die Wissenschaft aktualisiert in vielerlei Hinsicht den Koran an sich.

Adham: Das ist auch ein Grund, warum viele Wissenschaftler auf der ganzen Welt zum Islam konvertieren. Glauben und Wissen gehen Hand in Hand.

Joto: Also, ich habe jetzt zwar bei Weitem nicht die ganze Bibel gelesen …

Manuel: Ich auch nicht.

Joto: … aber wenn man sich die einzelnen Stellen anschaut, gibt es ja zum Beispiel mehrere Schöpfungsberichte, die sich alle gegenseitig widersprechen. Ich denke, dass die Leute damals versucht haben, sich ein Bild von der Welt zu machen. In der Bibel ist wohl keine einzige Passage, die etwas naturwissenschaftlich erklären will. Das ist zum Beispiel das Problem am Kreationismus. Wenn man das Geschriebene zu wörtlich nimmt und versucht in die Wissenschaft zu übertragen, dann funktioniert es nicht.

Serkan: Der Koran fordert explizit dazu auf, zu forschen, um Gottes Werk zu verstehen. Das Wissen, das wir besitzen, ist ja letztlich auch von Gott gegeben. Der Koran behauptet, dass er bis ans Ende der Welt nie ganz verstanden wird. Für den gläubigen Moslem ist es so, dass die Informationen aus dem Koran alle wissenschaftlich prinzipiell zu bestätigen wären, nur dass das wegen des derzeitigen Standes der Wissenschaft noch nicht möglich ist.

Beschäftigt ihr euch eigentlich auch mit dem Glauben anderer Religionen oder Konfessionen? Joto und Manuel, ihr sitzt hier öfter im Panta Rhei zusammen. Nehmt ihr noch Unterschiede zwischen euren Konfessionen wahr?

Joto: Für mich gibt es praktisch keinen Unterschied. Ich finde Ökumene ganz wichtig – so eine konfessionelle Spaltung ist ja wider die Natur jeden Glaubens. Ich weiß nicht, ob ihr da mit mir seid, aber ich glaube ja, dass Allah und unser Gott ein und derselbe sind. Der Islam ist daher für mich einfach ein anderer Weg, um sich den gleichen Gott zu erklären, der so unfassbar ist, dass man ihn nicht erklären kann.

Adham: Du glaubst also, es gibt viele Wege zu Gott. Aber warum glaubst du so
etwas?

Joto: Jeder Mensch ist einfach anders, er denkt und fühlt anders. Sonst hätte Gott ja auch alle gleich schaffen können. Deshalb ist Glauben ja auch etwas sehr Individuelles.

Adham: Du glaubst also der Islam ist etwas für Araber und das Christentum für
Europäer?

Manuel: Nein, ich denke, dass das ja viel eher von der Tradition kommt. Ich bin
überzeugt, dass sich das in den nächsten hundert Jahren auch noch viel weiter vermischen wird.

Serkan: Wir sehen das so: Der Islam umschließt auch das Christentum und das
Judentum, ist also eine Art große Schnittmenge. Der Hauptunterschied ist, dass wir Jesus als Propheten sehen, nicht als Sohn Gottes. Im Koran steht, dass man auch als Christ oder Jude in den Himmel kommen kann – wenn man Gutes tut und Gott nichts gleichstellt. Man könnte also schon sagen, dass wir über Jahwe reden, wenn wir über Allah reden. Wenn der Islam etwas am Christentum auszusetzen hat, dann höchstens in Bezug auf die Dreifaltigkeit, weil das Christentum damit vom Monotheismus zum Polytheismus übergegangen ist.

Adham: Dass ich Moslem bin, heißt auch nicht, dass ich mit anderen nicht
sprechen will oder sie nicht lieben kann. Wenn ich so wäre, würde ich gegen den
Koran handeln.

Manuel: Das Positive ist doch, dass man über Unterschiede auch reden kann.
Die Ökumene hat das gleiche Ziel. Es wäre ja schlimm, wenn es nichts zum Reden geben würde.

Joto: Wenn wir alle gleich wären, wäre es ja auch langweilig.

Adham: Oft verhindern auch Missverständnisse einen Dialog. Ich habe Mitstudenten, die denken an Zwangsheirat oder Frauenfeindlichkeit, wenn sie an den Islam denken. Da ist manchmal eine Mauer. Vielleicht haben sie einfach Angst. Diese Vorurteile sind jedenfalls völlig falsch. Man muss nämlich eine Unterscheidung zwischen Religion und Tradition, zwischen dem Islam und den Bräuchen mancher Menschen vornehmen. Die Medien vermitteln da leider manchmal ein falsches Bild. Man denke nur an das Thema Terrorismus…

Serkan: Im Koran kommt der Mord an einem Menschen dem Mord an der ganzen Menschheit gleich. Und für Selbstmord kommt man in die Hölle.

Fotos: Moritz Geier.

Das Gespräch erschien im glauben-Heft 

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