Covid-19-Pandemie in Bayern, Berlin und Sachsen

Covid-19-Pandemie in Bayern, Berlin und Sachsen

Drei junge Frauen, drei unterschiedliche Bundesländer, eine Pandemie. Die drei Autorinnen studieren gemeinsam in Regensburg und sind im Zuge der Covid-19-Pandemie nun, wie so viele junge Mitmenschen, in ihre elterlichen Heimatorte zurückgekehrt. Sie schildern ihren Alltag, der sich beim Verlassen der eigenen vier Wände doch deutlich voneinander unterscheidet, im häuslichen Familienkern aber durchaus Gemeinsames aufweist. Die drei Autorinnen werden durch das ganze Corona-Prozedere und die unterschiedlichen Regelungen auf Regierungsebene doch das ein oder andere Mal ganz positiv von einem innerlich beruhigenden Effekt überrascht.

von Friederike Hirth, Marlene Grimberg und Paula Boden

Marlene (München): Standing Ovations und Sit-ups vor dem Sofa

Es ist das ungewohnte Gefühl einer gewissen Entschleunigung, das diese Tage und Wochen so  neu und dadurch besonders macht.

Jeder Tag scheint gleich zu beginnen: Ich wache auf, frühstücke mit meiner Mutter und meiner Schwester – mein Bruder schläft zu diesem Zeitpunkt meistens noch und mein Vater ist schon in der Arbeit – und dann beginnt der Tag. Ein Tag, an dem ich kein besonderes Ziel verfolge, keine besondere Tätigkeit plane. Zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen Anfang März war das noch anders, da habe ich die »gewonnene Zeit« genutzt, indem ich Schränke aussortiert, mein Zimmer aufgeräumt und sogar freiwillig das ein oder andere Fenster geputzt habe. Doch jetzt scheinen diese Aufgaben – zumindest die wichtigeren – weitestgehend erledigt und ich frage mich nach dem Frühstück oft, was ich nun tun soll. Freunde treffen? Nicht erlaubt. Bouldern gehen? Die Boulderwelt ist geschlossen. Und auch sonst fallen so ziemlich alle sonst ausgeübten Freizeitaktivitäten flach. Na klar, ich könnte mich der Recherche für meine Hausarbeiten widmen, doch das scheint gerade ehrlich gesagt so weit weg, dass ich das Gefühl habe, das getrost auch mal auf morgen verschieben zu können…

Stattdessen geht der Tag also meistens damit weiter, dass ich erstmal faulenze, ein Buch lese oder mich auf der Terrasse in die Sonne lege. Das kann schön sein und obwohl ich mich natürlich wie wahrscheinlich jede/r mittlerweile danach sehne, mit meinen Freunden im Café zu sitzen, mich abends mit ihnen auf ein Bier zu treffen oder generell einfach wieder selbst entscheiden zu können, was ich machen möchte, genieße ich diese entschleunigte Zeit mit meiner Familie auch.

Seit ich in Regensburg studiere, besuche ich meine Familie in München oft nur einmal im Monat und es ist schön, jetzt mal wieder mehr Zeit miteinander zu verbringen. Besonders mit meiner älteren Schwester, die in London lebt und sich angesichts der angespannten Lage in England dazu entschieden hat, die Zeit der Ausgangsbeschränkungen lieber in Deutschland zu verbringen, »unternehme« ich in dieser Zeit viel. Natürlich beschränken sich die Unternehmungen hierbei allerdings meist auf eine gemeinsam geschaute Serie, ein Glas Wein in der Küche oder eine Runde spazieren gehen.

Trotz dieser positiven Nebeneffekte der schlimmen Pandemie bringt diese »Isolation« mit der Familie natürlich auch gewisse Herausforderungen mit sich. Nach einiger Zeit steigt der Wunsch, etwas Abwechslung in den recht eintönigen Alltag zu bringen.

Und so beschließen meine Schwester und ich, etwas zu improvisieren… Am Samstag überträgt das Royal Opera House kostenlos eine aufgenommene Aufführung von »Der Nussknacker« und wir entschließen uns, daraus ein kleines Event zu machen. Zugegeben, die Langeweile treibt uns vielleicht dazu, das Ganze etwas enthusiastisch anzugehen, aber wir haben unseren Spaß dabei. Wir ziehen uns schicke Kleider an und erzählen unseren Eltern, dass wir heute früher Abendessen müssen, weil wir pünktlich im Ballett erwartet werden. Um acht Uhr sitzen wir dann auf Stühlen vor unserem Laptop und verfolgen die einmalig gestreamte Aufführung. Da das Ballett uns gut gefallen hat, stehen wir am Ende natürlich auf und geben den Tänzern klatschend und lachend unsere Standing Ovations.

An einem anderen Tag in der Woche halte ich es nicht mehr aus, den ganzen Tag drinnen zu sitzen und außer einem ausgedehnten Spaziergang keine wirkliche Bewegung zu haben. So raffe ich mich – nach geraumer Zeit – mal wieder auf und gehe tatsächlich recht motiviert eine Runde joggen. Ich fühle mich besser danach und merke auch in den nächsten Tagen, wie sehr ich dieses kurze Auspowern brauche. Ob eine Runde Yoga in meinem Zimmer oder ein Ausflug zum Sit-Ups-Machen vor dem Sofa, diese physische Betätigung gibt mir auch in dieser skurrilen Zeit das Gefühl, etwas zu tun und scheint mir wichtig, um meine Energie irgendwo loszuwerden, bevor sie sich darin entlädt, einen unnötigen Streit mit meiner Familie anzufangen.

Die Tage unter der Ausgangsbeschränkung sind bisher zwar ungewohnt, aber durchaus erträglich. Beim Spazierengehen scheint es, als wäre der ganze Ort draußen unterwegs, weil sich natürlich alle, von der Langeweile geplagt, wenigstens etwas bewegen wollen.

Natürlich bin ich manchmal genervt von den Einschränkungen und hoffe, dass das Virus bald soweit unter Kontrolle ist, dass diese wieder gelockert werden können und ich mein »eigentliches Leben« mit Uni, WG und meinen Freunden fortsetzen kann.

Doch insgesamt bin ich auch sehr froh, diese Zeit so verbringen zu können,  wie ich sie verbringe, umgeben von meiner Familie, mit genügend Platz, einem eigenen Zimmer, bei dem ich auch mal die Tür hinter mir schließen kann, und einer Terrasse, durch die ich die Möglichkeit habe, draußen zu sitzen. Ich glaube, dass es ist wichtig ist, sich in diesen schwierigen Zeiten vor allem darauf zu konzentrieren, was man alles hat und anzuerkennen, wie gut es einem trotz allem noch geht.

Paula: Berlin ist wie New York und meine Seele baumelt wieder!

Heute trage ich zur Abwechslung ein luftiges Sommerkleid. Die Sonne scheint mich frohlockend an und die langsam aufblühenden Pflanzen auf dem Balkon vor mir wiegen sich sanft im Wind. Ich sitze am Schreibtisch meiner Mutter – mein eigener hat sich zurückverwandelt in den Schreibtisch meiner Grundschultage. Generell ist mein Zimmer, das sich einst als meine Rückzugshöhle verstand, einem Raum gewichen, der sich füllt mit Gegenständen, die in unserer Familienwohnung nicht mehr allzu öffentlich gesehen werden sollen: Ein Wäscheständer, eine alte Matratze, Bastelutensilien und alter Schulkram meiner Schwester und mir. Ich bin nun seit knapp zwei Wochen wieder zurück im elterlichen, heimeligen Berlin und empfinde die Zeit als eine ungewollte Hürde, der ich mich nun stellen muss und die mir erstaunlicherweise etwas schenkt, mit dem ich nicht gerechnet habe: Meine Seele baumelt wieder!

Eigentlich hätte ich gerade meine Schwester in Philadelphia getroffen, nachdem ich zwei intensive Wochen in New York verbracht hätte. Wir haben uns in unserer kleinen NMUN-Gemeinschaft ein halbes Jahr auf dieses Erlebnis vorbereitet und uns auf das eigentliche Happening gefreut. Es schien mir in letzter Zeit wie ein Weg voller Aufgaben, die mir zuriefen: »Bitte Paula, erledige uns!«. Am Ende dieses Weges lag für mich mein einmonatiger New York-Aufenthalt, den Donald Trump an einem Donnerstagmorgen im März durch seine neuen Einreisebestimmungen in nüchternen Worten zunichte machte. So lag es also auch an mir, eine Entscheidung zu treffen. Entweder in Regensburg bleiben, allein in einer leeren Dreier-WG verrotten, bei einer befreundeten WG unterkommen oder aber zu meiner Familie nach Berlin düsen. Ich entschied mich für Letzteres. 

Die ersten Tage waren ungewöhnlich, schnell bemerkten wir Vier, dass wir uns in völlig unterschiedlichen Verfassungen wiederfanden. Nur eines hatten wir gemein: das Wissen, die kommenden Beschränkungen hinnehmen zu müssen, um dem ganzen Pandemie-Wahnsinn irgendwann ein Ende oder eine Erleichterung zu verpassen. Inmitten meiner Familie fand ich mich dann in einer in mir empfundenen »Endloszeit« wieder. Ich bin es gewohnt, immer auf Achse zu sein, immer etwas zu tun und zu erledigen; und wenn es nichts fristgerecht abzugeben gilt, bin ich auf der ununterbrochenen Suche nach sozialen Regungen und Reizen. 

Aber nun wache ich seit zwei Wochen in meinem Jugendhimmelbett auf, liege verdutzt da und denke mir: »Cool, 21 Jahre alt und zurück bei Mama und Papa! Richtig gerockt!« Aber wie singt Bosse in »Schönste Zeit« so schön? »Berlin ist wie New York«, also alles halb so wild!«

Mir war klar, ich darf die Zeit jetzt nutzen! »Meene Beene baumln lassen und meene Seele ebenso«. Ich lerne Gedichte auswendig, bastele an meinem Fotoalbum herum, klimpere auf meiner Gitarre und singe mit meiner Schwester im Duett. Ich hänge viel und zu genau meinen Gedanken nach und lerne den Lieblingssatz meiner Mutter (»Paula, Langeweile ist eine Bereicherung für dich«) auf eine neue Art und Weise schätzen. Meine Schwester und ich machen täglich gegen 14 Uhr unser Workout. Wir wechseln geschickt und gewitzt ab zwischen »All-Body« mit Pamela, die uns dann immer mit ihren aufgeblasenen Lippen zuschnutet: »Well Done«, und »Yoga-Stretch« mit Medy, die uns täglich zusäuselt: »Genau da, wo du bist, ist es richtig«. 

Unsere tägliche Bewegung bringt auch meinen Geist mehr in Schwung, ebnet augenblicklich meine Traurigkeitsregungen in mir ein und lässt mich jedes Facetime-Telefonat, jeden Zwei-Meter-Abstand-Spaziergang mehr und mehr freudig genießen. An sonnigen Tagen kommt es mir fast schon so vor, als wäre ganz Berlin auf den Beinen und am Luft schnappen. Die Helikopter und Polizeistreifen sind bei uns im Kiez noch nicht augenscheinlich on tour und so kommt es doch des Öfteren vor, dass mir eine fünfköpfige Freundesgruppe, bestehend aus »Halbwüchsigen« (wie meine Schwester die wilden 15-jährigen Rabauken in dieser tapferen Zeit zu taufen pflegt), fast gegen den Kopf rennt. Das allgemeine Verständnis der Ausnahmesituation und ein gewisses Solidaritätsempfinden scheint in Berlin erst nach und nach durch das Tragen von einem Mundschutz  aufzutauchen, und das auch deutlich mehr von der Ü40-Generation.

Trotz allem Beine-und-Seele-Gebaumel fällt auch uns Vieren an dem ein oder anderen Morgen die Decke auf den Kopf. Ich sitze am Küchentisch und, wie es sonst meinem Vater so oft geht (»So, mein Zwischenspeicher ist jetzt voll« und er verlässt die Küche und zieht sich für ein paar Stunden zurück von uns drei plaudernden Frauen), bin ich nun diejenige, die erschöpft und gedankenverloren ins Wohnzimmer läuft, auf dem Teppich liegt und dem Bismarckplatz im Sommer entgegenträumt, wo ich doch eigentlich mein Sommerkleid hätte tragen wollen. So ganz gebe ich das sommerliche Regensburg jedoch noch nicht auf – Bier an der Donau, ein kurzes Untertauchen im treibenden und kühlen Wasser und das summende Rauschen der Stadt bei Nacht. 

Was wir Vier hier in Berlin an solchen Tagen dann tun: Heimlich die Picknickdecke und eine gefüllte Kaffeethermoskanne in den Kofferraum legen, nach Brandenburg brettern und auf einer menschenleeren Lichtung Federball spielen, dann in den Himmel schauen. Unschuldig dreinblickend an der Polizei vorbeifahren (kurzer Side-Fact: nach Brandenburg zu fahren, wird bisher offiziell nur nicht empfohlen; strafbar ist das noch nicht), Musik hören und uns abends gegenseitig wohlgesonnen bei einem Glas gutem Vino, den uns der Opa aus Freiburg als Care-Paket hat schicken lassen, Märchen vorlesen. 

Wenn Berlin wie New York sein soll, stelle ich mir dieses Szenario nun aber in besseren Zeiten vor und bin dankbar, diese aktuelle Zeit mit meiner gesunden Familie verbringen zu dürfen, die ich sonst nur alle halbe Jahre zu Gesicht bekomme. So lernen wir auf eine neue Art und Weise miteinander zu harmonieren, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen und gemeinsam auch mal durchzuhängen. 

Unsere Seelen baumeln wie wild und so kann das noch ‘ne Weile weitergehen!

Friederike (Oetzsch bei Leipzig): Alles so wie immer 

Seit ich wieder zu Hause bin, werde ich nicht mehr durch das Geräusch von herumfahrenden Autos oder von Stimmen der Leute auf der Straße geweckt. Hier wird man höchstens vom Gemecker der Schafe oder einem gelegentlich vorbeifahrenden Traktor aus dem Schlaf gerissen. Okay, zugegeben, das Nachbarskind ist auch ziemlich laut. 

Ich wohne in einem kleinen Dorf, in der Nähe einer kleinen Stadt, also sozusagen ziemlich abgeschieden. Immerhin ist Leipzig nur eine Dreiviertelstunde entfernt, sodass man doch mal schnell unter Leute kann, sollte einen diese sächsische Provinz hier zu sehr vereinnahmen. Das ist zurzeit natürlich ausgeschlossen, jetzt sind mindestens vier Wochen pures Landleben angesagt. Und obwohl ich anfangs nicht so überzeugt war von dem Gedanken, über nicht absehbare Zeit aus der Stadt aus- und bei meinen Eltern wieder einzuziehen, war das die beste Entscheidung, die ich hätte treffen können. Die allgegenwärtige Pandemie scheint hier irgendwie so gar nicht gegenwärtig, es ist quasi so wie immer. Denn es kann schließlich nichts fehlen, wenn von Anfang an nichts da war. Die nächste Kleinstadt ist fünf Minuten mit dem Auto entfernt und besteht lediglich aus ein paar Lebensmittelgeschäften, einer Apotheke, einem Rathaus und zwei Schulen. Und bis auf Letztere ist alles noch geöffnet. Nur durch das Vorhandensein der Abstandsmarkierungen auf den Böden der Supermärkte könnte einem auffallen, dass etwas doch nicht so ganz stimmt. 

Ich bin mit den Erwartungen hergekommen, spätestens nach einer Woche nicht mehr zu wissen, was ich mit meiner ganzen Zeit und der unglaublichen Weite hier anfangen soll. »Immerhin lenkt mich dann nichts und niemand von meiner Hausarbeit ab«, dachte ich mir, motiviert, die beste Arbeit meines Studierendendaseins zu schreiben. Angefangen habe ich noch immer nicht. Dafür habe ich meine Leidenschaft für’s Spazierengehen entdeckt, das ist doch auch mal was. Im Großen und Ganzen gibt es hier nur Felder und Wiesen, gelegentlich kommt man auch an einem kleinen See vorbei. Und tatsächlich finde ich diese Idylle auch nach zweieinhalb Wochen noch nicht langweilig und ziehe immer größer werdende Runden. Da momentan wahrscheinlich die halbe Welt spazieren geht und sich hier eh jeder kennt, treffe ich zufällig immer wieder bekannte Gesichter von früher. Auch sind meine Schulfreunde bei ihren Eltern, alle auf den umliegenden Dörfern verteilt. Mit einem Abstand von zwei Metern kann man so also wieder ein paar alte Kontakte pflegen (in Sachsen darf man momentan mit bis zu vier Personen aus dem eigenen Hausstand oder mit einer Person aus einem anderen Hausstand mit einem Abstand von mindestens 1,5 Metern spazieren gehen). Es fühlt sich fast schon so an, als wären Sommerferien. 

Durch Spazierengehen, Lesen, Podcasthören, Telefonieren, Gartenarbeit und natürlich Ausschlafen geht so ein Tag auch einfach schnell vorbei, sodass schließlich kaum noch Zeit für Uni bleibt. Wahrscheinlich werde ich bald auch arbeiten gehen. Da gerade kaum Erntehelfer ins Land dürfen, suchen die Landwirtschaftsbetriebe dringend nach Arbeitskräften, weshalb ich mich mal zusammen mit Freunden von früher an der Spargelernte ausprobieren werde, um wenigstens etwas sinnvolle Struktur in meinen so dahinplätschernden Alltag zu bekommen.  

Nichtsdestotrotz vermisse ich Regensburg, vor allem jetzt, da es endlich wärmer wird. Ich bin sehr dankbar und froh, während dieser Zeit hier auf dem Dorf sein zu können, aber hoffe, dass sich die Situation bald etwas entspannen wird und ich das Bundesland noch verlassen kann, bevor sich doch das ein oder andere sächsische Wort in meinem Sprachgebrauch etabliert. 

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