Neue Blickwinkel statt rosaroter Brille

Neue Blickwinkel statt rosaroter Brille

Neue Corona-Virus-Fälle in Deutschland, erneute Luftangriffe auf bereits völlig zerstörte Städte in Syrien oder wieder ein Neonazi-Anschlag. Man scrollt morgens beim ersten Kaffee durch eine x-beliebige Nachrichtenapp und beim Lesen der Neuigkeiten vergeht einem direkt der Appetit aufs Frühstück. Isolde Hilt hat dieser destruktive und immer um die gleichen Krisenszenarien kreisende Mediendiskurs gestört; vor drei Jahren gründete sie das Nachrichtenportal good news for you. Dass das nichts mit Beschönigen oder Verharmlosen zu tun hat, sondern mit konstruktiver und wertschätzender Berichterstattung, haben mir Isolde Hilt und ihr Kollege Florian Roithmeier im Interview erklärt.

von Charlotte Nachtmann

Eine Plattform, die ausschließlich über positive Nachrichten berichtet. Das klingt erst einmal so, als wolltet Ihr die Augen vor der Realität verschließen.

Isolde: Das Argument der rosaroten Brille hört man zum Thema »gute Nachrichten« öfter einmal. Man muss aber bedenken, dass hinter ungefähr zwei Drittel unserer good news bad news stecken. Wir wollen nichts schönreden, sondern noch eine andere Perspektive auf die Dinge bieten. Konstruktiver Journalismus nennt sich das. Wie schlimm die Buschbrände in Australien sind, wagen wir uns gar nicht vorzustellen. Wo soll es da noch eine gute Nachricht geben? Wir bekamen eine von einer Australierin vor Ort. Sie berichtete, dass die Hilfsbereitschaft unter den Menschen, obwohl sie sich gar nicht kennen, so groß ist wie noch nie. Darüber wird aber nirgendwo berichtet.

Was versteht Ihr unter konstruktivem Journalismus und wie setzt Ihr das Konzept mit good news for you um?

Isolde: Nachrichten sind letztlich so etwas wie mentale Nahrung. Sie verändern uns, nicht nur die Leserinnen und Leser, sondern auch die Berichtenden. Schlechte Nachrichten machen häufig Angst und verengen den Blick auf die Welt und ihre Perspektiven. Dabei gibt es so viele Projekte, Organisationen oder Ereignisse, die Mut machen, Hoffnung geben, im positiven Sinn anstecken, aber unerwähnt bleiben. Wir berichten über diese »unentdeckten Juwelen« – in einem wertschätzenden Ton.

Florian: Ich habe kürzlich sogar gesehen, dass good news for you auf Wikipedia als Beispiel für konstruktiven Journalismus im deutschsprachigen Raum angeführt wird. Was uns, glaube ich, von anderen Portalen unterscheidet, ist unsere eigene Recherche. Sammelbecken, die bereits existierende good news zusammenstellen, gibt es viele. Wir kommen aber mit den Leuten ins Gespräch und erzählen unsere eigenen Geschichten.

Ihr seid ja ein recht kleines Team. Wie läuft Eure Arbeit ab?

Isolde: Das Kernteam besteht aus drei Leuten: Florian, Kristin Frauenhoffer und mir. Darüber hinaus haben wir ein großes Netzwerk an ExpertInnnen, die wir immer wieder zu speziellen Themen interviewen können, Leute, die für uns Videos und die Website machen, und natürlich GastautorInnen, die zwischendrin immer mal wieder Artikel beisteuern. So müssen wir uns auch nicht auf lokale Themen beschränken. Letztlich schreiben wir über Projekte und Aktionen aus der ganzen Welt. Dann telefoniert man halt mit den Kontaktpersonen oder freie MitarbeiterInnen bringen Stories von Reisen mit. In erster Linie sehen wir uns als Portal für den deutschsprachigen Raum. Dank Kristins sehr guten Sprach-Kenntnissen veröffentlichen wir jetzt mehr Artikel auf Englisch, um internationaler zu werden. Unser Motto ist gerne »Think big«, dann gelingt einfach auch viel mehr.

Florian: Wir laden jede Woche drei Artikel auf unserer Website hoch und zwar immer sonntags. Die werden dann im Verlauf der Woche auf unseren Social Media-Kanälen beworben. Man kann auch unseren Newsletter good news telegram abonnieren und bekommt dann seine Sonntagslektüre um 8:30 Uhr per Mail zugeschickt. Ansonsten bieten wir auch noch andere Formate wie Podcasts oder Videos an. Das soll in Zukunft auch noch mehr werden.

Manchmal scheint es bei all dem negativen Input, der so auf uns einprasselt, gar nicht so einfach zu sein, good news zu finden. Wie kommt Ihr an Eure Stories?

Isolde: Eigentlich liegen die Themen in der Luft. Ich halte immer die Ohren offen, gerne auch auf Fortbildungen oder Messen. Ich gehe zum Beispiel jedes Jahr auf die Frankfurter Buchmesse. Vielleicht denke ich auch durch meine andere journalistische Arbeit anders, höre anders zu und frage direkter nach. Wenn man sich öffnet, bekommt man alle Themen und auch alle Hilfe, die man braucht. Das scheint in unserer materialistisch orientierten Gesellschaft leider oft verloren gegangen zu sein. Dabei muss man die Menschen nur offen ansprechen. Das ist die größte Schatzkiste an Ideen, die man sich nur vorstellen kann. Mit dieser Einstellung laufen Begegnungen ganz anders ab: Man erfährt von Gänsehautgeschichten, die einfach erzählt werden wollen.

Florian: Die Arbeit verändert einen auch selbst im Laufe der Zeit und man beginnt, Situationen anders wahrzunehmen. So kommt man aus jeder Begegnung, jedem Interview mit zehn neuen Ideen wieder raus. Was ist denn eigentlich Deine Lieblingsgeschichte Isolde?

Isolde: Eine Geschichte hat mich tief berührt und zwar die von Nahid Shahalimi, die ursprünglich aus Afghanistan stammt. Sie musste bereits vor vielen Jahren mit ihrer Mutter und ihren Schwestern aus ihrer Heimat fliehen, wuchs in jungen Jahren in Kanada auf und lebt inzwischen in München. Dennoch fliegt sie immer wieder nach Afghanistan, um dort mutige Frauen zu portraitieren. Dabei setzt sie ihr eigenes Leben aufs Spiel, kann dort nur wenigen Menschen vertrauen, muss ihre Reiserouten ständig verändern und im Verdeckten arbeiten. Ich weiß nicht, ob ich mich das trauen würde. Und Deine Lieblingsgeschichte, Florian?

Florian: Da kann ich mich gar nicht entscheiden, so viele tolle Geschichten hatten wir schon. Beeindruckt hat mich ein ehemaliger verurteilter Mörder aus Hamburg. Nach seiner Haftstrafe nutzt er jetzt seine Erfahrungen und macht Präventivarbeit mit Jugendlichen. Oder das Berliner Graffiti-Projekt PaintBack, das aus Hasssymbolen Kunst macht. Die Hakenkreuze und ähnliches werden dabei aber nicht einfach übermalt, sondern in Kunstwerke transformiert, bis man sie nicht mehr erkennt.

Woher kennt Ihr beide Euch und seid auf die Idee gekommen, zusammen good news for you aufzubauen?

Isolde: Ich bin eigentlich gelernte Journalistin. In meiner Agentur arbeite ich vor allem im sogenannten Non-Profit-Bereich, sprich Bildung, Gesundheit, Ökologie, Soziales. Über ein Projekt mit der Katholischen Jugendfürsorge in Regensburg habe ich 2011 dann Florian kennengelernt.

Florian: Genau, ich habe dort ein Praktikum im Pressereferat gemacht, bevor ich für ein Radio-Volontariat nach Landshut gegangen bin. Der Kontakt zu Isolde blieb aber bestehen. 2014 habe ich dann in Regensburg angefangen, Jura zu studieren und nebenbei immer mal wieder in ihrer Agentur mitgearbeitet. Als Isolde dann 2017 die Idee mit good news for you hatte, war klar, dass ich da auch dabei bin. Jetzt bin ich fertig mit dem Studium und fange ab April mein Referendariat an.

Ihr macht die Arbeit für good news for you also neben Euren »normalen« Jobs?

Florian: Für mich ist das gar keine »Arbeit« im klassischen Sinne. Ich kann mein Interesse an journalistischer Tätigkeit mit meiner Neugierde auf neue Themen, die es wert sind, in die Welt getragen zu werden, verbinden. Manchmal frage ich mich wirklich: Warum weiß niemand etwas davon?

Isolde: Das Schöne ist ja auch, dass wir über nichts berichten müssen. Uns sind keine Grenzen gesetzt. Außerdem bekommt man durch die Berichterstattung über good news so viel an Lebensqualität zurück.

Was sind Eure Pläne für good news for you?

Isolde: Erstmal wollten wir sehen, wie und ob das Ganze überhaupt funktioniert. Jetzt haben wir mit 8.000 Clicks im Monat und weit mehr als 500 Newsletter-Abos einen Punkt erreicht, an dem wir darüber nachdenken, wie wir unsere Reichweite weiter erhöhen und Einnahmen erzielen, um unser Nachrichten-Portal weiter ausbauen zu können. Bisher erhalten wir Spenden, vieles ist aus eigener Tasche investiert. Ich bin Florian und Kristin sehr dankbar, dass sie mir bei ihrem Honorar so entgegenkommen. Einige unserer freien MitarbeiterInnen schreiben auch einfach umsonst für uns. Aber wir wollen größer werden. Ein Traum wäre es natürlich, irgendwann jeden Tag Artikel zu veröffentlich. Soweit sind wir zwar noch nicht, aber ich spüre, dass wir das hinkriegen.

Abschließend noch eine Frage: Was wollt Ihr mit good news for you erreichen?

Isolde: Wir wollen mit unserer Plattform unseren Beitrag zu einer besseren Welt leisten. Jede/r ist in seinem Bereich besonders gut; bei uns ist das der journalistische Bereich. Deshalb wollen wir genau hier etwas verändern, einen anderen Ton in die Kommunikation, in den Umgang der Menschen miteinander bringen. Letztlich wieder ins Gespräch miteinander kommen. Das ist in den letzten Jahren leider viel verloren gegangen. Wir haben es Hatern überlassen, den Diskurs – gerade im Internet – zu dominieren. Sie sind aber nicht die Mehrheit. Wir möchten die Leute für gute, konstruktive Nachrichten sensibilisieren. Wir müssen uns wieder mehr bewusst werden, dass so viel Gutes passiert und wir selbst Gutes tun können. Dafür wollen wir andere begeistern, wir brauchen das alle, wenn wir wirklich etwas verändern wollen.

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