Ode an eine Bruchbude

Ode an eine Bruchbude

Ob Loch in der Wand des WCs, eine Garage, die jede/n TrödelhändlerIn glücklich machen würde oder ein Vorhang statt einer Eingangstür. Meine WG im Clermont-Ferrand gab mir schon so einige Gründe, um mich aufzuregen. Aber seien wir mal ehrlich: So nervig manche bauliche Eigenschaften diese merkwürde Altstadtwohnung auch waren, für einmalige Erinnerungen und Lacher hat mein damaliges Heim allemal gesorgt. Eine Ode an eine liebenswürdige Bruchbude.

von Lotte Nachtmann

Heute gibt es von mir mal wieder eine Kolumne aus meiner ehemaligen WG im französischen Clermont-Ferrand. Ein knappes Jahr habe ich dort zusammen mit drei Freundinnen aus Regensburg mein Auslandsjahr verbracht. Schon häufiger habe ich bereits anklingen lassen, dass wir in einer Wohnung gelebt haben, die – freundlich formuliert – stets Überraschungen parat hatte. Doch trotz blockierter Türen, kaputter/nicht vorhandener Klingel und einem weitgehend abwesenden Vermieter hatte unserer Heim seinen ganz besonderen Charme. Das wird mir jetzt, mit anderthalb Jahren Abstand so richtig klar.

Zwischen Automobilmesse und Stuntshow

Fangen wir mal ganz unten mit der Garage an. Das Haus, in dem sich unsere Wohnung befand, hatte eine riesige Garage mit gigantischen schweren Holzflügeltüren. Vermutlich war diese Art Scheune früher einmal wirklich dafür gedacht, ein Pferdefuhrwerk abzustellen. Heute steht da unten neben Waschmaschine, Fahrrädern und Mülltonnen das Auto der MieterInnen aus dem ersten Stock. Die Garage hatte auch noch eine Art Galerie. Als wir im Sommer 2017 in Clermont-Ferrand ankamen, freuten wir uns riesig über dieses Platzwunder, da wir dort unsere zahlreichen Koffer und von uns für unnötig erachteten Einrichtungsgegenstände aus der Wohnung zwischenzulagern konnten. Dann begann nach und nach ein durchaus interessanter Wandelprozess in dieser Garage. Nicht nur wechselten die Fahrzeuge eindeutig häufiger als die MieterInnen aus der Wohnung unter uns (eines morgens wurden wir sogar von einem quietsch-orangenen Hippie-Bus überrascht), sondern es akkumulierte sich auch in besorgniserregendem Ausmaß der Kram, den unser Vermieter und andere MieterInnen dort abstellten. Es blieb also stets spannend! Der Vermieter hatte letztlich seinen kompletten Hausstand auf der Galerie gestapelt, nachdem er beschlossen hatte, auf Weltreise zu gehen. Als wir am Ende unseres Aufenthaltes in Clermont dann wieder an unsere Koffer wollten, ähnelte diese Aktion eher eine Mischung aus archäologischer Ausgrabung und Hochseilakt. Irgendwie war es dann aber doch ganz witzig, unsere Sachen von der Galerie runterzuwerfen, weil man ohne Klettergurt und Sicherung doch eher ungerne mit Gepäck über die Sofas und Schränke gekrackselt wäre. Umzug mit Nervenkitzel sozusagen. Und so manches staubige Objekt in dieser Rumpel-Garage diente sogar als morbid-ästhetisches Fotoobjekt.

Vorhang auf für … eigentlich alle!

Weiter geht es und wir steigen die durchaus verletzungsintensive Steinwendeltreppe zu unserer Wohnung hinauf (aber die diversen Unfälle meiner Mitbewohnerinnen und mir geben einen weiteren Wohnsinn ab). Nach einem geländerfreien Balance-Akt mit Kopfstoß-Gefahr kam man vor unserem Wohnungsvorhang an. Ja Ihr habt richtig gehört: Vorhang, nicht Tür. Wenn man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat, kann man es fast nicht glauben, dass wir keine separate Wohnungstür hatten, also jeder, der einmal unten reingekommen ist, auch in unsere Wohnung spazieren konnte. Da nur eine weitere Partei im Haus wohnte, waren unsere Sorgen diesbezüglich nicht allzu groß (außer natürlich nachdem unsere blockierte Haustür aufgebrochen werden musste). Echt nervig war allerdings, dass die ohnehin schon schwierige Heizsituation sich durch einen wenig dämmenden Vorhang zum Treppenhaus nicht gerade verbesserte. Dieser absurde Zustand hat aber bei so mancher Erzählung über unser Auslandsjahr immer wieder eine lustige Anekdote angegeben. Auch machten wir uns bei der Volksbefragung, dem »recensement national«, an dem wir auch als Nicht-Französinnen teilnehmen mussten (weiß Charles de Gaulle warum) einen Spaß daraus, auf die (sich mir bis heute nicht erklärende) Frage nach der Position unserer Wohnungstür zur Treppe zu antworten, dass wir keine Tür, sondern nur einen Vorhang hätten.

WC im Wandschrank

War man mal durch den ominösen Vorhang, der zumindest für dramatische Auf- und Abgänge gut war, getreten, so offenbarte sich zu unserer rechten eine weitere Kuriosität unserer Wohnung: das WC. Wie es in Frankreich so üblich ist, war auch in unserer Wohnung die Toilette in einem vom restlichen Bad separatem kleinen Raum. Obwohl es Kämmerlein vielleicht besser traf. Tatsächlich lagen die Türen zum WC und zur Abstellkammer direkt nebeneinander und sahen auch fast gleich aus: eine schlecht schließende Holztür mit Schanierverschluss statt Schloss. Das Highlight dieser Toilettenlösung war jedoch das Loch in der Wand zum Treppenhaus. Ja, auch hier habt Ihr wieder richtig gehört: ein Loch, zum Treppenhaus … sodass jede/r (auch die NachbarInnen), die/der gerade rein oder raus ging, einen hören könnte, wenn man seine Notdurft verrichtete. Vor allem für Gäste war das ein Zustand, dem sie sich nur widerwillig ergaben. Wir haben uns wohl oder übel daran gewöhnt und freuten uns hin und wieder wie die Kinder, wenn wir durch diese Schießscharte jemanden erschrecken konnten, der nichtsahnend die Treppe hochkam.

Eine Wohnung mit Steigung

Es gäbe noch zig andere Absurditäten, die den Charme dieser einzigartigen WG ausgemacht haben: Ich sagen nur dunkelrote Wände, die bei der Deckenhöhe von um die 2,50 Meter gerade den Flur in einem speziellen Rotlicht geradezu pornös erscheinen ließen. Oder die alten Holzdielen, um die sich vermutlich 20 Jahre niemand mehr gekümmert hat und die wir laut Aussage des Vermieters auf keinen Fall mit Wasser schrubben durften, da dieses sonst in der Wohnung unten drunter ankommen würde. Wir mutmaßen deshalb auch, dass sich in deren großen Ritzen und Spalten so allerhand Halblebendiges versteckt haben muss. Wenn ich so daran zurückdenke, wie viele Socken, ich mir an Holzsplittern kaputt gerissen habe und wir oft Stifte einfach weggerollt sind, da der Boden zur Mitte der Wohnung hin mit siebenprozentiger Steigung abfiel, hege ich dennoch keinen Groll. Manchmal vermisse ich sogar das Knarzen der Dielen, jedes Mal, wenn eine meiner Mitbewohnerinnen sich rührte. Denn ob versiffter Holzboden hin oder her, die Wohnung lebte und hat wohl schon dutzenden ausländischen StudentInnen ein Heim geboten, das sie nicht nur mit immer neuen Einrichtungsgegenständen, sondern auch mit Geschichten füllten. Genauso wie wir. Und die Stories aus unserer WG haben auch nach anderthalb Jahren schon den Status legendärer Anekdoten erreicht.

Das kann unsere Kolumnistin Selina sicher auch bestätigen, denn sie hat uns einmal in unserer WG in Clermont besucht. Nächste Woche erzählt sie Euch jedoch aus ihrer Wohnung im Regensburger Westen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert