Places to be&to see | Das Kapellchen

Places to be&to see | Das Kapellchen

Wenn Freunde von auswärts nach Regensburg kommen, dann versuche ich mich gerne als Stadtführerin. Ich leite die Gäste durch die engen Regensburger Gassen, erzähle von Römerlagern, Goliarden, Geschlechtertürmen, dem Folterkeller im Alten Rathaus – und von der Legende über den verhängnisvollen Wettstreit zwischen Dombaumeister und Urheber der Steinernen Brücke.

Foto-dasKapellchenUneingeweihte können diese Stadtsage problemlos im Internet nachlesen: Die Herren Architekten wetten, welches der beiden Regensburger Wahrzeichen zuerst vollendet sein wird. Nachdem der Bau der Kathedrale zunächst schneller vorangeht, schließt der Brückenbaumeister in Faust-Manier einen Pakt mit dem Teufel: Wenn Satan ihm hilft, die Brücke zu bauen, verspricht der Baumeister diesem im Gegenzug die ersten drei Seelen, welche die Donau auf dem neuen Bauwerk überqueren. Die Brücke wird fertig, die Wette ist gewonnen  und der Teufel muss erkennen, dass er getäuscht wurde: Statt der gewünschten Menschenseelen scheuchen die Regensburger kurzerhand zwei Hühner und einen Hund über die Steinerne Brücke. Aus Wut, so will es die Sage, boxt der frustrierte Teufel schließlich mit der (diesmal nicht dem) Faust in die fertige Brücke, wodurch diese im momentan von Baugerüsten verdeckten Teil bis heute einen sichtbaren »Buckel« aufweist.

In Wirklichkeit, erkläre ich meinen Zuhörern dann, war die Brücke schon längst fertig, als 1279 mit dem Bau der heutigen Kathedrale begonnen wurde. Wirklich vollendet wurde diese sowieso erst 600 Jahre später, weil zwischendurch immer wieder mal das Geld ausging oder Kriege den Bau verzögerten. Auf alten Abbildungen der Stadt Regensburg erscheint der Dom deshalb oft noch ohne seine zwei charakteristischen Turmspitzen.

Nun zeigte eine Lautschrift-Umfrage im vorletzten Heft, dass jeder sechste Regensburger Student eben diesen Regensburger Dom, den ein Kölner Bekannter beim ersten Anblick mitleidig als »das Kapellchen« betitelte, noch nie von innen gesehen hat. Ein Fehler.

Außerhalb der Gottesdienstzeiten kann, wer sich an die in Kirchen üblichen Verhaltensregeln hält, beim Betrachten der romanischen Krypta unterhalb des Doms oder der Dombauhütte* hinter dem Gebäude, in der Skulpturen und Gebäudeteile restauriert werden einen von außen nicht sichtbaren Eindruck von der Baugeschichte und den Fähigkeiten mittelalterlicher Handwerker gewinnen.

Doch auch ohne theologisches oder kunsthistorisches Interesse lohnt sich ein Abstecher in den Dom. Denn an heißen Sommertagen, wenn die Regensburger Altstadt überquillt vor Touristen (echten Reisegruppen und solchen, die mit Wikipedia-Wissen bewaffneten Besserwissern zum mittelalterlichen Folterkeller folgen) sowie grillwütigen Studenten auf dem Weg zur Jahninsel, an diesen Tagen bietet St. Peter auch Atheisten und Agnostikern einen angenehm kühlen und ruhigen Ort zum Nachdenken. Ob Prüfungsstress, Liebeskummer oder Streit mit den Freunden die hohen Decken wirken beruhigend, das durch farbige Glasfenster gedimmte Licht lädt zum Verweilen ein.

Wem das nicht reicht, der kann sich anschließend immer noch auf den Weg zur Steinernen Brücke machen und beim Jahninsel-Bier mit den Gästen auf die vor Jahrhunderten gewonnene Wette anstoßen.


*An Wochenenden ist der Durchgang geöffnet und man kann einen Blick über den Zaun in die Werkstätten werfen.

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