Der Tragödie erste Aufführung

Der Tragödie erste Aufführung

Aus „Faust“ wird „Mittelfinger“: Regisseur Bernd Liepold-Mosser hat sich daran gewagt, beide Teile von Goethes Faust zu kombinieren. Bei der Premiere im „Velodrom“ des Stadttheaters gefiel das nur einem Teil des Publikums. Von Anna Jopp

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Ein Amphitheater als Kulisse. Links zu sehen: Solo-Musiker IDKLANG untermalt das Geschehen mit elektrischen Klängen

Fausts Welt im „Velodrom“ gleicht einem umgekehrten Amphitheater: Auf den Stufen schwitzen, schreien und singen die Schauspieler, das Publikum blickt aus dem Parkett zu ihnen auf. Der Bezug zum antiken Theater und somit zur Tragödie ist klar: Hier werden der Herr und Mephisto jene verhängnisvolle Wette schließen, wird Faust sich vom Teufel verführen lassen und Gretchen im Kerker den Verstand verlieren. Doch das Bühnenbild bricht wiederholt mit den Erwartungen der Zuschauer: Zwar ziert die Stufen in mehreren Szenen ein mahnender Chor und somit ein typischer Bestandteil des klassischen Dramas, neongrüne Haare und neben den Choreuten platzierte Trinkflaschen aus Plastik sind jedoch weder aus antiker, noch aus Weimarer Zeit überliefert.

In Kombination mit dem transparenten Vorhang werden die Stufen immer wieder zur Projektionsfläche für verzerrte Filmeinspielungen aus der Feder von Videokünstler Philip Kandler. Untermalt mit den Klängen des auf der Bühne platzierten Solo-Musikers Markus Steinkeller alias IDKLANG, der das tragische Geschehen im Alleingang mit Gesang, sowie ganz „un-klassisch“ mit elektrischer Gitarre und Synthesizer begleitet, wirkt das Stück auf den ersten Blick also durch und durch „verfremdet“.

Erst entkleidet sich Faust, dann Gretchen

Faust_3Es ist seit 19 Jahren der erste Regensburger „Faust“, der am Freitag im Velodrom des Stadttheaters Premiere feierte. Wie so viele seiner Kollegen, hat es sich der österreichische Regisseur Bernd Liepold-Mosser dabei zur Aufgabe gemacht, Johann Wolfgang von Goethes berühmten Stoff zeitgenössisch zu interpretieren. Ebenso wie das Bühnenbild sind die Kostüme daher schnörkelfrei, wirken teilweise geradezu krampfhaft modern. Patrick O. Beck als Mephisto trägt Jogginghose, Kapuzenpullover und in manchen Szenen lange Haare, der brave Doktor Faustus (Gerhard Hermann) wirkt in Anzug und gestreifter Krawatte wie ein Sparkassendirektor. Überhaupt ist Kleidung in Liepold-Mossers Inszenierung das wohl wichtigste Requisit: Die Verjüngungsszene in der „Hexenküche“ zeigt Faust, wie er sich unter manischen Zuckungen des Jacketts entledigt. Gretchen (Andine Pfrepper) trägt Lederjacke und Glitzerkleider, in Fausts Gegenwart jedoch irgendwann nur noch ihre Unterwäsche – im Gespräch mit Bruder Valentin (Benno Schulz) verbirgt sie sich jedenfalls weiterhin züchtig unter einem großen Pullover. Die von Stöhngeräuschen begleitete erste Liebesnacht endet – wie könnte es anders sein – mit über die Bühne verstreuten Schuhen und Kleidungsstücken. Die Bühne selbst liegt währenddessen größtenteils im Dunkeln, mit einzelnen, auf die Akteure gerichteten Spotlights und ansonsten nur spärlicher Beleuchtung.

Im auffälligen Gegensatz zu allen stilistischen Extravaganzen, hält sich die Inszenierung textlich exakt an die Goethe’sche Vorlage. Überraschend erscheint höchstens die Szenenauswahl. So trällert Gretchen zwar das Lied vom „König von Thule“ und Faust und Mephisto steigen in der Walpurgisnacht auf den Brocken, dafür fehlen gleich mehrere von Deutschlehrers Lieblingsszenen: die Geisterbeschwörung in „Nacht“, der Osterspaziergang mit Famulus Wagner, „des Pudels Kern“ im Studierzimmer und das Trinkgelage in Auerbachs Keller – all das spart Liepold-Mossers Inszenierung aus. Statt der Wissenschaftsdebatte stehen hier die Wette und die daraus resultierende Tragödie im Vordergrund. So verstirbt Gretchen zwar schon kurz nach der Pause, das Ende der Vorführung bedeutet das jedoch, anders als in der Textvorlage zu „Der Tragödie Erster Teil“, nicht. Stattdessen geht das Stück ab jetzt stark verkürzt in die Handlung des dritten und vierten Aktes von „Faust II“ über, illustriert Fausts wachsende Hybris und schließlich seinen Tod und die folgende Errettung. Der Vorhang fällt mit Mephistos Erkenntnis, dass er getäuscht wurde: „Bei wem soll ich mich nun beklagen? / Wer schafft mir mein erworbenes Recht?/ Du bist getäuscht in deinen alten Tagen / Du hast’s verdient, es geht dir grimmig schlecht“.

„Buuuuuh“-Rufe und ein Mittelfinger

Dass all dies vom Premierenpublikum am 25. September wiederholt mit „Lauter!“-Rufen kommentiert wurde und der Regisseur sich am Ende bewegt sah, den teils buhenden Zuschauern den Mittelfinger zu zeigen, mag mehrere Gründe haben. Nur in wenigen Szenen treten die Akteure an ein an der Vorderkante der Bühne installiertes Mikrofon, etwa, um einen gereimten Monolog direkt an das Publikum zu richten – zu IDKLANGs technischen Klängen klingt das manchmal fast wie Rap. Ansonsten entfernen sich Faust und Mephisto durch das Stufendesign der Kulisse oft zwangsläufig räumlich vom Publikum, es läge in diesen Momenten an der Tontechnik, ihre Zeilen dennoch hörbar und verständlich zu gestalten.

Zum inhaltlichen Verständnis kann bei einem Werk wie „Faust“ zwar tatsächlich vorausgesetzt werden, das dieses den Zuschauern bekannt ist, die Entscheidung, action- und personenreiche Szenen aus dem Stück zu streichen (es werden, wie gesagt, weder Geister beschworen, noch reitet Mephisto auf einem Weinfass) führt jedoch dazu, dass kaum mehr als zwei Protagonisten je gleichzeitig miteinander interagieren. Besonders in handlungsarmen Abschnitten („Zueignung“, „Wald und Höhle“) wirkt die Aufführung daher manchmal wie eine verkopfte Lesung im Blankvers, nicht länger wie eine Theateraufführung. Dass Mephisto in Fausts Gegenwart ab und zu tatsächlich gelangweilt in der gelben Reclam-Ausgabe des Stückes blättert, ist zwar für einen Lacher gut, wirkt in diesem Zusammenhang jedoch schnell wie Hohn.

Spätestens nach der Pause wurde es bei der Premiere dann auch jenem geduldigeren Teil des Publikums zu viel, der sich zurück in den Zuschauerraum gewagt hatte: Faust II, erschienen fast 30 Jahre nach Vollendung des ersten Teils, gilt allgemein als höchst komplex bis wirr. In Liepold-Mossers stark gekürzter Fassung erfährt eine zentrale Figur des Stücks, die antike Schönheit Helena von Troja, keinerlei erklärende Einführung, sie erscheint nach Gretchens Tod schlicht auf der Bühne und begleitet des Helden Mauerschau über die rückwärtige Wand des „Amphitheaters“. Nicht umsonst scheuen sich seit der Erstaufführung viele Verehrer des ersten Teils vor der Lektüre, viele Regisseure vor der Inszenierung von „Faust II“. In der finalen „Grablegung“ lässt sich Faust zu den verhängnisvollen Worten „verweile doch / du bist so schön“ hinreißen, woraufhin er in ein zuvor auf seine eigene Anweisung hin als Deichprojekt ausgehobenes Grab sinkt. Seine Seele jedoch gehört trotz allem nicht dem Teufel – Mephisto bleibt getäuscht zurück. Diese Todesszene, die Auflösung des in Teil 1 aufgebauten „Cliffhangers“ der Wette, ist jedoch einer der wenigen auch ohne tiefere Kenntnis des Stückes verständlichen Abschnitte der zweiten Hälfte.

Meeresschnecken auf dem Brocken

Rätselhaft wirkten auch viele der auf die Bühne und zwei angrenzende Leinwände projizierten Filmsequenzen. Wenn Hauptdarsteller Gerhard Hermann in diesen wie in Panik durch eine Felslandschaft rennt und klettert, mag das als Kommentar zur inneren Seelenwelt Fausts verstanden werden. Eine Baggerschaufel in Nahaufnahme illustriert, auch das ist naheliegend, die Arbeiten an Trockenlegung und Grab. Spätestens als die Walpurgisnachtszene jedoch mit kriechenden Meeresschnecken und Faust, der in verzweifelter Zerstörungswut die Kulisse demoliert, mit einer in Zeitlupe ertrinkenden Frau unterlegt wurde, erschien der Bezug zur Handlung aber zunehmend unklar. Zwar wirken Kandlers Projektionen von Landschaften und Personen in Nahaufnahme kunstfertig und erschaffen, da sie die Bühne gewissermaßen indirekt beleuchten, eine geradezu gespenstische Stimmung – inhaltlich scheinen sie jedoch oft nur wenig zur eigentlichen Aufführung beizutragen.

Abschiedsgruß vom Hauptdarsteller

Trotz allem überzeugt die Inszenierung in Bühnenbild, Musik, Kostüm und schauspielerischer Leistung. Insbesondere Patrick O. Beck als spöttischer Mephisto, Gerhard Hermann als zunehmend verschwitzter und verzweifelter Faust, sowie Andine Pfreppers gar nicht so unschuldiges Gretchen erhielten denn auch einen ausgiebigen und verdienten Schlussapplaus. Auch die Nebendarsteller Silke Heise als Marthe, Hildegard Krost als Hexe, Christin Wehner als Lieschen sowie Robert Herrmanns als „Der Herr“ konnten rundum überzeugen. Die Schwierigkeiten dieses neuen „Faust“ im Regensburger Stadttheater liegen nicht in der Wahl des Ensembles, sondern in dem (zu) großen Anspruch, beide Teile der Tragödie in nur zwei Stunden Spielzeit miteinander zu verbinden, in der Szenenauswahl sowie in technischen Feinheiten wie der teils zu niedrigen Lautstärke. Dem Publikum der folgenden Aufführungen sei daher zu mehr Geduld geraten – und Regisseur Bernd Liepold-Mosser zu einem besseren Gespür für einen angemessenen Umgang mit Kritik. Ein Beispiel nehmen könnte er sich dabei an Hauptdarsteller Gerhard Hermann, der einem Zuschauer, der den Raum verließ, mitten im Monolog munter hinterherwinkte.

Faust steht noch bis Ende April 2016 auf dem Spielplan des Regensburger Stadttheaters.

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Faust (Gerhard Hermann) und Mephisto (Patrick O. Beck) schließen einen Pakt.

Text: Anna Jopp
Fotos: Copyright Jochen Quast 2015

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