Der etwas andere Nebenjob

Der etwas andere Nebenjob

Zu warten ist eine meiner Hauptaufgaben. Warten auf Anweisungen, warten während eines Umbaus, warten darauf, dass es losgeht. Und währenddessen gibt es eine Menge zu beobachten. Die Regeln: Verhalte dich ruhig! Sprich nicht mit den Schauspielern! Störe das Filmteam nicht! Ich bin Komparse.

 

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Voller Erwartungen bin ich eine halbe Stunde zu früh am Treffpunkt. Auf dem kleinen Parkplatz stehen mehrere LKWs, unterschiedlich beschriftet mit Maske, Garderobe oder Catering. Erste Station ist die Kostümauswahl. Jeder der etwa zwanzig Komparsen hat eine Tasche mit Kleidung bei sich. Die Kostümbildnerin Hanna (Name von der Redaktion geändert) sucht gewissenhaft aus: Unauffällige Farben, kein schwarz, kein weiß. Vor allem: Sommerklamotten. Es ist Ende Oktober und es weht ein scharfer Wind. Im Film jedoch ist Frühling. So sitze ich ein paar Minuten später mit den anderen Komparsen auf einer Holzbank, eingehüllt in meinen Wintermantel, den Schal um die Beine geschlungen, die unter dem knielangen Blumenrock nur in einer dünnen hautfarbenen Strumpfhose stecken. In einer langen Schlange werden wir anschließend zu unserem Aufenthaltsraum geführt: der kleine Kaffeestand im Chemie-Gebäude. An dem Gürtel der 2. Regieassistentin steckt ein Handy, dessen herum schlackerndes Kabel direkt mit ihrem Ohr verbunden ist. Sie lauscht, nickt und wendet sich dann an uns: „Wir sind ein bisschen im Verzug. Es dauert also noch ein bisschen!“

Nun beginnt der erste große Warte-Block. Wir haben es uns an den Tischen und an der Heizung bequem gemacht. Tassen klappern, Papier raschelt, Gespräche beginnen. Nach etwa einer Stunde kommt Hanna zu uns, um noch einmal die Outfits zu überprüfen. „Ist das Ihr erster Film?“, fragt jemand, woraufhin sie herzhaft lacht. „Sehe ich etwa so aus, als wäre das mein Erster?“ Wie ein Model stellt sie sich in Pose, um ihre Augen bilden sich kleine Lachfältchen. Schließlich werden wir von der 2. Regieassistentin (wo steckt eigentlich die erste?) in den Hörsaal gerufen und in den vorderen fünf Reihen verteilt. Der Regisseur, ein freundlich wirkender Herr mit Brille, kommt nun zu uns und grüßt in die Runde.

Langsam fühle ich mich wie in einem Bienenstock. Während wir Komparsen still sitzen, ist das Filmteam um uns herum ständig in Bewegung. Die Kamera wird positioniert, Licht und Ton werden aufgebaut. Die Hauptdarstellerin, ein kleines fragil wirkendes Persönchen mit wilden langen blonden Haaren, steht vorne am Pult und bespricht den Ablauf mit dem Regisseur. Wir werden weitestgehend in Ruhe gelassen. Dennoch kann ich das Gefühl, beobachtet zu werden, nicht abschütteln, denn hin und wieder werden wir angewiesen, unsere Plätze zu wechseln. Allmählich wandern die Studenten von der ersten Reihe einmal quer durch den Hörsaal. Erst als alles perfekt ist, geht es los mit zwei Proben, in denen die Kamera noch nicht zum Einsatz kommt. Die Hauptdarstellerin ist am Ende eines Vortrages angelangt. Wir spielen die Studenten, klopfen auf die Tische, packen unsere Bücher zusammen und verlassen zügig den Hörsaal. Soweit alles klar.

Jetzt wird es ernst: Der Aufnahmeleiter bittet um Ruhe, dann: „Kamera?“ „Kamera läuft!“, kommt es vom Kameramann, der schussbereit neben der Hörsaaltür steht. „Ton?“ „Ton läuft!“ Vorne an der Tafel klemmt sich ein Mann die Kopfhörer über die Ohren. Jetzt hat der Regisseur das Wort: „Und Bitte!“ Vor meinen Augen verwandelt sich die kleine konzentrierte Schauspielerin in eine nervöse Studentin, die durch ihren Vortrag stottert. Sie scheint das schon länger zu machen. Ich für meinen Teil muss mich erst einmal daran gewöhnen, gefilmt zu werden. Theoretisch könnte man ja später im Film jede Bewegung und jeden seltsamen Gesichtsausdruck von mir sehen. Ich habe Angst, beim Aufstehen einen Stift fallen zu lassen oder etwas ähnlich Peinliches. Aber zum Glück geht alles gut! Draußen vor dem Hörsaal warten wir auf das „Danke, Aus! Bitte alle wieder auf Anfang!“ vom Regisseur. Mit jeder neuen Aufnahme werde ich sicherer. Wir entwickeln uns zu Maschinen, die ihre Aufgabe immer und immer wieder ausführen. Und zwischendurch fliegen die Bienen wie auf Kommando los, um den Dreh der Szene aus einem anderen Blickwinkel vorzubereiten. Ganz so glatt läuft es natürlich nicht die ganze Zeit ab: „An der Tür klebt ein bunter Sticker!“, meldet der Kameramann. „Der lenkt zu viel Aufmerksamkeit auf sich!“ Der Regisseur persönlich läuft zwei Stufen auf einmal nehmend zum Ausgang. Es herrscht eine vollkommene Stille im Bienenstock. Niemand, außer ihm, bewegt sich. In dieser tiefen Konzentration wage ich es kaum zu atmen. Eine ganz schön ernste Angelegenheit, so ein Filmdreh. Doch der Regisseur bricht offenbar auch gern hin und wieder mit der Regel: Als er zurückkehrt, steppt er übermütig, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die letzten drei Stufen hinunter. Operation Aufkleber erfolgreich gemeistert!

Und dann – völlig überraschend: „Drehschluss!“, dröhnt es zu uns in den Flur, nachdem wir gerade wieder einmal aus dem Hörsaal kommen. Nach sieben Stunden verlasse ich das Set, die Antwort des Regisseurs auf meine Frage hin, wie man zu seinem Beruf kommt, noch in den Ohren klingend: „Davon rate ich ab!“ Dennoch bin ich fasziniert von dem Ablauf am Set und von der Herausforderung, die verschiedenen Gesichter des Teams ihren Aufgaben zuzuordnen. Es hilft, von vornherein zu wissen, dass man viel warten wird, so kommt Langweile gar nicht erst auf. Auch der Satz wetterfester Kleidung, ein gutes Buch und meine Eigenverpflegung haben mir gute Dienste geleistet.

Ob die Arbeit als Komparse so war, wie ich sie mir vorgestellt habe? Eigentlich nicht.

Ob ich sie trotzdem noch einmal machen würde? Aber klar!

 

 

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